hermann- und radioeins-Filmkritiker berichten vom 27. FilmFestival Cottbus

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Samstag, 11. November

Psychische Strapazen in den einsamen Wäldern der Sudeten

Wisst ihr was vielleicht nicht eine so gute Idee war? Sich nie vorher durchzulesen, was mich bei meiner Filmauswahl erwarten würde. Ich wollte komplett neutral in die Filme gehen, um weder enttäuscht, noch überrascht sein zu können. Gestern wagte ich mich an den Film „Under The Family Tree“ von Constanze Knoche, so ziemlich der letzte Film aus der U18- Kategorie.
Heute wartet nur noch „Der Beste“ im Weltspiegel auf mich und laut Henning soll dieser Film genau das sein: der beste Spielfilm seines Festivalerlebnisses. Was nimmt man aus dem deutsch-polnischen Film „Under The Family Tree“ mit, wenn man den Raum verlässt?

1.       Er ist nicht das was man erwartet, vor allem nicht, wenn man nichts erwartet hat.

2.       Polen ist ein wunderschönes Land und der Film macht mächtig Lust auf einen Kurztrip über die Grenze.

3.       Meine Mutter könnte ich in diesen Film nicht mitnehmen, da ich Psychospielchen und Terror nicht als ihre Favoriten bezeichnen würde.
Beginnen tut der Film wie eine kommerzielle Wanderdokumentation, oder der ausgeleierte Start eines jeden Horrorfilms. Mutter und Tochter, von Problemen komplett voneinander abgeschottet, stapfen mit ihrem Gepäck irgendwo in den Sudeten zu einem Haus voller Fremde, jenseits jener Zivilisation. Isabelle, die Tochter, kennt weder die Menschen die dort wohnen, noch was sie erwartet. Ihre Mutter, Meret, war schon einmal bei dieser „Heilungswoche“. Relativ früh im Film wird klar, dass die Tochter von vielen Problemen zerfressen wird. Kleptomanie, Zigarettensucht und die Absenz einer Vaterfigur sind nur ein paar ihrer Therapiegründe. Meret hofft, ihr Kind durch die „Systematische Familienkonstellation“ wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Das Konzept ist einfach. Mehrere Fremde treffen sich für unbestimmte Zeit in einer Berghütte, mit den Seminarleitern Einar und Julie. Handys und auswertiger Kontakt sind strikt verboten. In den Seminarräumen werden Menschen aus der Gruppe ernannt, um die Probleme einer ausgewählten Person nachzuspielen. Dies soll Klarheit über die Gefühle geben, die der Mensch empfindet. Am Anfang hat mich der Film sehr an ein herzrührendes Drama erinnert, in dem Mutter und Tochter langsam wieder zueinander finden. Doch dies nimmt eine schnelle Wendung, als eine der Patienten im Wald spurlos verschwindet und nicht wiederkehrt. Ab da versinkt der Film in einer Kombination aus psychischem Terror, einer sich langsam entwickelnden Liebesgeschichte zwischen Isabelle und einer Köchin und vielen fragwürdigen Momenten. Ich muss ehrlich sein. Der Film hat mir gut gefallen, aber es gibt auch Dinge, die ich zu kritisieren habe. Vorweg muss ich sagen, dass der Schauspieler von Einar (Godehard Giese) absolut genial war. Er findet eine perfekte Balance zwischen gruseligem Lächeln und seiner autoritären Art, die den Zuschauer bis zum Ende verwirrt und gespannt im Sitz behält. Ich weiß auch nach dem Film noch nicht genau, was ich von ihm halten soll. Des Weiteren fand ich es toll, dass der Film nicht für jeden Zuschauer gleich sein muss. Man kann sich selbst darüber ein Bild machen, ob die Dinge wirklich so passieren wie dargestellt, oder ob viele Momente einfach nur die Imagination einer emotionalen, überforderten Teenagerin sind. Selbst bei dem Todesfall kann man noch nach dem Ende debattieren, wie und ob er überhaupt passiert ist. Leider kann ich den Film trotzdem nicht als meinen Liebling bezeichnen, da ich finde, dass er sich zum Ende etwas verliert.

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Zu viele kleine Handlungsstränge werden entweder nicht mehr beleuchtet oder nicht genug erklärt. Dies mag ein Stilmittel der Filmemacher gewesen sein, aber ich hätte mir ein größeres „Finish“ gewünscht. Nichtsdestotrotz habe ich so eine Art Film noch nie gesehen und war sehr positiv überrascht. Auch das Verspinnen eines Wolfes in die Geschichte gab dem Ganzen ein märchenhaftes Feeling. Am besten jedoch gefiel mir das Drehbuch, was sich immer selber hinterfragt und ein paar tolle Zitate während des Films hinzugibt. Ich habe das Abwegen von Gut und Böse sehr genossen!

IMG-5338Da diese Kritik schon viel zu lang ist, möchte ich über die Abschlussgala nur noch ein paar letzte Worte verlieren. Die Preisverleihung war sehr gelungen und ich bin sehr traurig, dass ich den Siegerfilm nicht sehen könnte. Trotzdem meine herzlichsten Glückwünsche an „Wild Roses“ aus Polen, der von allen die ich gefragt habe nur Lob bekommen hat. Auch mein absoluter Favorit „Barefoot“ aus Tschechien bekam den Publikumspreis! Henning, Judith und ich haben uns dann noch ein paar schöne Stunden gemacht und die Eindrücke auf uns einwirken lassen. Heute erwarten mich noch zwei Filme und dann war es das auch schon mit meiner Kritiker-Karriere. Ich bin jetzt schon ganz nostalgisch auf die geniale Woche.
Marie Bernards

Bilder:
Stadthalle. Foto: Marie Bernards
Wir Filmkritiker. Foto: Henning Rabe
Henning auf der Bühne. Foto: Marie Bernards

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