hermann- und radioeins-Filmkritiker berichten vom 27. FilmFestival Cottbus

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12. November

Heimat, Melancholie und Abschied!
Nach einem feuchtfröhlichen Samstagabend mit reichlich Rosen für und aus Polen und einer doch nicht explodierten Sektflasche auf der Bühne (dabei wäre das doch auch mal ganz lustig gewesen!) machte ich mich heute ein letztes Mal auf zum Filmfestival. Zunächst gab es um 12 Uhr im Gladhouse sorbisches Filmerbe; d.h. vier Kurzfilme aus verschiedenen Jahren, die sorbische Traditionen wie Johannisreiten oder das zur Weihnachtszeit umherziehende Christkind zeigten – für mich waren diese Filme vor allem sehr lehrreich, denn das Meiste hörte und sah ich zum ersten Mal.

Ich komme ja nicht aus der Lausitz, und leider (und das bedaure ich) weiß man z.B. im Rheinland nur sehr wenig bis gar nichts über die Sorbische Kultur.
Ich finde es toll, dass die Digitalisierung des audiovisuellen Erbes der Sorben weiter vorangetrieben wird und sehe den Prozess, die Filmrollen vor dem Verfall zu retten, als äußerst wichtig an. Die 4 Kurzfilme waren jetzt nicht unbedingt immer mitreißend und manchmal war mir die Fülle an Informationen auch etwas zu verdichtet oder an einigen Stellen etwas monoton erzählt. Jedoch ist jeder Film auch ein Zeitzeuge bestimmter Bräuche, Traditionen und Ansichten. Das Medium Film vermag es, diese mit (fast) allen Sinnen in die Gegenwart zu transportieren, und hilft dabei, die Entwicklung sorbischer Lebensart und Kultur zu erhalten, zu dokumentieren und darüber zu lernen.

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Und für manche bedeuten die Filme eben auch ein Stück Zuhause: eine Frau vor mir hat während der gesamten Vorführung verstehend gelächelt und bei vielen Szenen bestätigend genickt. Wahrscheinlich hat sie darin auch ein Stück „Domownja” gefunden!
Der letzte Film für mich heute: „Quod erat demonstrandum“ ein melancholischer Schwarz-Weiß Streifen über das kommunistische Rumänien unter Ceaușescu in den 80ern. Der geniale Mathematiker Parvu ist seiner Zeit voraus, findet aber daheim keine Anerkennung. Dann hört er von den Plänen Elenas (die Frau seines nach Frankreich ausgewanderten Freundes und seine heimliche große Liebe), zur Familienzusammenführung nach Paris zu gehen. Parvu wittert seine Chance, ein wichtiges Forschungspapier mit ihrer Hilfe ins Ausland zu schmuggeln – zugleich überwacht ihn jedoch der Geheimdienst-Angestellte Alexandru Voican, der darauf aus ist, Parvu’s illegale Veröffentlichung aufzudecken um damit seiner stockenden Karriere voranzutreiben. Dafür zählt er ausgerechnet auf Elena, die so lange mit Verweigerung der Ausreise unter Druck gesetzt werden soll, bis sie ihren Freund verrät…Bei diesem äußerst brisanten Material ist kein stressiger Agentenstreifen, sondern ein ganz feines, visuell wunderschön umgesetztes Drama entstanden, dessen Handlung sich sehr langsam entfaltet und einen doch von Anfang an in den Bann zieht. Freundschaft und Verrat liegen in diesem System so nah beieinander, dass man sich zu fragen beginnt, wie man selbst wohl gehandelt hätte.
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Auch heute fiel es mir schwer, mich bei der Fülle an Eindrücken kurz und knackig zu fassen, wahrscheinlich sogar noch schwerer als sonst. Ich glaube, das liegt auch ein bisschen daran, dass ich gar nicht aufhören möchte, Filme zu schauen und darüber zu schreiben!
Es war für mich ein Riesenspaß und eine große Ehre, für hermannimnetz.de und rbb eins als Gastkritikerin vom 27. FilmFestival Cottbus berichten zu dürfen. Ein dickes fettes Danke ans HERMANN Magazin für diese tolle Chance, und danke auch an meine wunderbaren Kolleg*innen Marie und Henning, es hat mir große Freude gemacht, mit euch gemeinsam zu bloggen. Was für eine zauberhafte Woche!!!

 

Judith Lippelt

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