hermann- und radioeins-Filmkritiker berichten vom 27. FilmFestival Cottbus

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Sonnabend, FFC17

Zum Auftakt „Horizont“ aus Belorussland. Der meistgesehene Film des Landes aller Zeiten. Warum? Die hauptfördernde Institution – die zur Aufklärung über AIDS – hat für das Sponsoring zur Bedingung gemacht, dass der Film niemals zu kommerziellen Zwecken gezeigt wird. So läuft er als Pflichtprogramm in allen 6. bis 10. Klassen. Eine tolle Sache, denn der Film kommt kein bisschen lehrhaft daher, sondern jugendlich und in kräftigen Farben. (Auf dem Festival gibt es ja viel Abgedunkeltes oder Entfärbtes zu sehen.)
Zur Handlung: Nikita bekommt einen HIV-Befund. Uni, Freundin und Band sind auf einmal passé. Er stiehlt Geld seines Vaters, eines Kommissars, und taucht in einer privaten Drogenhöhle unter. Hier gibt es eine Tote – an dieser Stelle setzt eine Kriminalhandlung ein, die aber nicht Zentrum des Films wird. Denn dies ist etwas anderes: Für die jüngeren Leute die Geschichte der Band von Nikita, die sich wieder zusammenrauft und schließlich bei einem großen Festival auftritt. (Ein Lied ist ein tatsächlicher Smash-Hit in Belorussland.)
Für die Älteren indes ist es ein Film über Generationen, ihre Konflikte miteinander, und wie eben dann doch die anders konditionierten Eltern mit dem Willen zur Toleranz den Dialog mit den schwierigen Sprösslingen suchen. Und finden. Es gibt kaum Längen in den 134 Minuten von Andrej Kurejtschik und Dmitry Marynin.
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Oben danach – wenn sie wissen, was ich meine – gibt es einen nationalen Hit aus der Slowakei. Der Tatsachen-Thriller „Entführung“ beleuchtet einen Mord, der nie aufgeklärt wurde. Mitte der 90er Jahre. Ein junger Mann heuert beim Geheimdient an. Der Sohn des Präsidenten wird entführt, betäubt und in Österreich aus dem Auto geworfen, damit er dort nach internationalem Recht angeklagt werden kann. Weil es Spuren gibt, muss es einen Sündenbock geben – den „Azubi“, dessen Kopf im Familiengarten landet.
Über die Verstrickungen der parlamentarischen Auftraggeber mit der Mafia und über die Vertuschung des Verbrechens kann man einfach nur den Kopf schütteln.

Auf den Straßen von Cottbus fällt ein kalter Regen. Vor dem Blechen-Carré stehen dreißig Jugendliche und hören aus einer lauten Kofferheule R’n’B, auf der Sprem gönne ich mir ein Stück Käsetorte. Zurück zum Gladhouse und dann kommt’s:
„Der Beste“ von Lukasz Palkowski zeichnet die wahre Geschichte des Jerzy Górski nach, der vom Junkie zum Gewinner des Iron Man-Triathlons in den USA (1990) wurde. Mitreißend, einfach großartig. Das ist so ein Film, der solche manchmal nörgelnden Kritiker wie mich und das große Publikum miteinander versöhnt.
Dieser schmutzige Drogenkeller, in dem es zu Deep Purple-Klängen als Initiation für Neulinge erstmal einen Schuss in die Vene gibt! Der Horror des Gefängnisses und später des Entziehungsheims (im Sozialismus)! Das ist überhaupt nicht didaktisch, sondern ergreifend in Szene gesetzt. Während er zum Spitzensportler avanciert, sucht ihn immer wieder sein drogenabhängiges Zweit-Ich heim. Manchmal im Spiegelbild, meist nur als diabolisch lockendes Atemgeräusch, das jeder im Saal sofort erkennt. Er hat den Kampf gegen die finstere Vergangenheit gewonnen und schließlich auch den härtesten Wettkampf der Welt!
Für mich der beste Spielfilm im Festival. Ich sehe ihn irgendwie schon im normalen Kino vor mir. (Mein reißerischer, aber passender Titel wäre: „Iron Man versus Narcomaniac“.)

Dann spaziere ich zur Preisverleihung in der Stadthalle. Für die Vielzahl an Preisen war es eine erstaunlich kurzweilige Veranstaltung; die Moderatorin war brillant, die Stimmung gelöst. Immer wieder schön, wenn die Leute im Publikum nach der Laudatio, wenn der Gewinnerfilm ganz kurz gezeigt wurde, in Jubel oder Applaus ausbrachen. Bei „Der Beste“ habe ich auch ganz schön Lärm gemacht.
Kurios auch, dass manche Protagonisten des Abends einfach ständig auf die Bühne mussten. Miroslaw Haniszewski bekam die Lubina als bester Schauspieler, musste dann aber noch den Spezialpreis für die beste Regie entgegennehmen. Das war aber noch gar nichts gegen Anna Jadowska! Die Regisseurin von „Wilde Rosen“ war vor ihrem Hauptpreis schon so oft auf die Bühne gebeten worden, dass das Publikum dann irgendwann nur noch lachte. „Ha ha, wer sonst?“
Sonnenklar, dass der Film eine Meisterleistung gewesen sein muss. Die ich leider nicht gesehen habe. Knapp war die Zeit, aber wieder so wunderschön! Danke Cottbus.

Henning Rabe

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