Ist Pontevedro noch zu retten?

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„Die lustige Witwe” unter der musikalischen Leitung von Johanns Zurl

 Wegen der Corona-Pandemie verharren viele Vorhaben des  Staatstheaters Cottbus in der Warteschleife. Bei Redaktionsschluss dieses Heftes Mitte Januar konnte noch keiner sagen, wann sich der Vorhang wieder öffnen wird. Leben wir also von der Vorfreude, zum Beispiel auf die  Operette „Die lustige Witwe” von Franz Lehár. Die musikalische Leitung hat Johannes Zurl, seit August 2019 als Kapellmeister und seit Januar 2020 als 1. Kapellmeister des Philharmonischen Orchesters engagiert. Dieses Hermann-Gespräch ist seinem Werdegang und dem neuen Höhepunkt gewidmet.

Johannes Zurl liebt das Genre Operette. Es gibt in seinem Werdegang viel Klassik, Opern, Sinfonien, aber wir wollen uns aus gegebenem Anlass an die heitere Muse halten. Die Cottbuser Theaterbesucher haben ihn am Dirigentenpult u.a. bei Aufführungen von „Frau Luna”, „Die Csárdásfürstin” und „Im weißen Rössl” erleben und in der Rössl-Premierenfeier sein Temperament bewundern können. Für ihn hat die Operette dem älteren und berühmteren Genre Oper etwas voraus: „Nichts gegen die Oper. Sie ist kunstvoller, artifizieller und trägt oft tragische, ja tödliche Konflikte aus. Die Operette ist näher am Leben dran, gestaltet Alltag. Sie spielt auf eine versöhnliche Lösung, auf ein Happy End zu. Oft werden auf einfache Weise soziale Probleme angesprochen und gelöst.”

Ein Fan, kein Fanatiker, weil seine musikalischen Interessen, wie schon gesagt,  weiter gespannt sind. Der Operette zugetan, sucht man natürlich in seiner Vita nach Operetten-Anklängen. . . und findet sie. Zurl hat seine Wurzeln in der niederbayrischen Kreisstadt Dingolfing. Klingt wie Operettenort. Der Dirigent: „Ist es aber nicht. Die Autoindustrie macht die Stadt vielgestaltiger, bricht  dieses romantische Flair, obwohl es sich in Dingolfing hervorragend leben lässt.” Und doch findet man ein bisschen Operette. In der Stadt gibt es den längsten Straßennamen im deutschsprachigen Raum: „Bischöflich-Geistiger-Rat-Josef-Zinnbauer-Straße”. Spötter behaupten, da sei die Straße, gerade mal 228 m, für ein Namensschild viel zu kurz. Der Namensgeber ist in der Ehrenbürgerliste, bei wikipedia und in Lexika unbekannt. Wie operettenhaft erfunden.

Menschenkenner Masur

 Sei es, wie es sei. In dieser beschaulichen Kleinstadt mit langer Blasmusiktradition ist Johannes Zurl großgeworden. Im bürgerlichen Haushalt zweier Lehrer, die sich – ohne Profession – fleißig musikalisch betätigten und auch ihren Sohn auf ein musisches Gymnasium schickten. Er lernte mit Begeisterung Klavier und Klarinette spielen. Und als Organist für die Begleitung des Kirchenchores verantwortlich, begann er sich für das Dirigieren zu interessieren. Seine Studien wurden von bedeutenden Lehrern flankiert: Prof. Karl-Heinz Steffens, der es als Klarinettist zum Dirigenten schaffte, dem deutsch-US-Amerikaner Prof. Steven Sloane und Kurt Masur. Für den Helden der sanften Revolution in Leipzig, einen Künstler  interessieren wir uns besonders. Johannes Zurl: „Ich bin Kurt Masur dreimal begegnet,  daheim in Deutschland und in New York. Ich habe viel von ihm gelernt. Er war ein Menschenkenner und deshalb in der Lage, Richtungen zu weisen. Er hat mir das Gefühl gegeben, auf dem richtigen Weg zu sein.”

Der richtige Weg – das waren Meisterkurse, Musikwettbewerbe, Festivals, die ihn in viele Länder, u.a.  die Niederlande, Portugal, Schweiz und die USA, führte. Dass er dort, das Colorado Symphony Orchestra Denver dirigierend, ein Konzert mit Max Steiners berühmter Filmmusik „Casablanca” gestaltete, lässt uns, auf den Spuren der heiteren Muse,  wieder aufmerken. Er wollte die Musikwelt erkunden und hinter die Geheimnisse von Dirigenten und Komponisten kommen. Dass er viele Debüts bei bekannten Orchestern gab und mit CD-Einspielungen aufhorchen ließ, zeigt,  dass er einer ist, der gewissermaßen lernend und mit großer Neugier voranschreitet.

Und nicht nur das. Wo er ist, da ist Musik. Wie in Kindheit und Jugend im Elternhaus so auch heute in der Familie. Karoline Zurl, die Ehefrau, musiziert als Solofagottistin im Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. Und wo drei Kinder sind, die Zurl-Junioren zwischen sechs und zehn, hat Musik, welcher Klänge auch immer, zeitlebens eine Chance. Dann sind in der Berliner Nachbarschaft die Schönebergers. Ja, richtig Barbara Schöneberger, TV-Star, Entertainerin, Moderatorin, Sängerin und Schauspielerin. Viele  gemeinsame Auftritte (u.a. mit „Peter und der Wolf”) und CD-Einspielungen einen sie. Nebenbei: Schönebergers Vater war Zurls Klarinettenlehrer, und die Kinder beider Familien besuchen die gleichen Schulen und teilweise Klassen. (Solche Zufälle gibt es wirklich  nur in der Operette!)

Die Erfahrungen, auf Reisen und Gastspielen gesammelt, wollten irgendwann kontinuierlich angewandt werden. „Bei Gastspielen bin ich unterwegs, probe mit einem Orchester, bringe mich als Dirigent ein, es gibt ein Konzert, und dann bin ich wieder weg. Das Gleiche folgt dann neu und immer wieder. Es geht aber auch anders: längere Zeit mit einer Gruppe von Menschen, einem Orchester, zusammenzuarbeiten, Impulse zu geben, Entwicklungen anzustoßen und zu beeinflussen, Rahmenbedingungen zu schaffen,  in denen jeder sich wohlfühlt und sein Bestes geben kann und will.”

Johannes Zurl, 1. Kapellmeister des Philharmonischen Orchesters des Staatstheaters Cottbus
Foto: Marlies Kross

Ein Bürgertheater

Das waren Überlegungen, die in diesem Künstlerleben den Festivals eben die Festanstellung folgen ließen. Johannes Zurl: „Das Engagement in Cottbus hat mir mehr gebracht, als ich erwarten konnte. Dieser tolle Theaterbau mit seinem historischen Flair zieht an. Ich bin beeindruckt davon, dass in seinem Inneren Menschen wirken, die Neuem gegenüber aufgeschlossen sind und große künstlerische Kraft haben. Die Bürger dieser Stadt haben sich vor über hundert Jahren dieses Theater – ihr Theater – geschaffen, und das ist es bis heute geblieben. Die Identifikation mit ihm ist wesentlich größer als in anderen Städten.”

Hier nun wird Johannes Zurl, für den musikalischen Teil verantwortlich, Regie führt Felix Seiler, Debütant in Cottbus,  Franz Lehárs Operette auf die Bühne bringen. Unter Beachtung der aktuellen aha-Regeln: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen. Wie viel geht da von der Operette verloren? Der Dirigent: „Unsere Besucher müssen auf nichts Wichtiges verzichten. Diese Operette hat eine lange Tradition kleiner Aufführungen. Unsere Spielfassung ist gegenüber der Original-Operette nur geringfügig modifiziert und bietet eine sehr schmissige Instrumentation.” Da kann man nur vorsichtig befreit reagieren: „Aha” und uns freuen auf Ohrwürmer wie „Ja, das Studium der Weiber ist schwer”, das Vilja-Lied, „Lippen schweigen” oder „Da geh ich ins Maxim”. Unmöglich, sich von letztem Lied nicht bannen zu lassen. Das geschah sogar dem großen Schostakowitsch. Er verarbeitete in seiner „Leningrader Sinfonie” trotz deren tragischen Hintergrundes  Motive aus diesem Lied.

Was geschieht auf der Bühne: Ein Politthriller mit frivoler Untermalung. „Korruption, politische Scharlatanerie, Nationalismus, Missachtung der Frauenrechte, alles, was heute den politischen Alltag stört, ist dieser Operette eingeschrieben und wird operettenhaft satirisch abgehandelt. 115 Jahre alt, wirkt sie damit ganz heutig”, gibt Johannes Zurl einen kleinen Vorausblick. Der (fiktive) Staat Pontevedro ist Pleite. Es gibt keine Rettung, wenn nicht ein großer Coup gelingt. Ein Einheimischer muss die reiche Witwe Hanna Glawari heiraten, um deren riesenhaftes Vermögen im Lande zu halten. Doch die Glawari sucht ihre amourösen Abenteuer im Ausland.

Ist Pontevedro noch zu retten?

Wir werden es erleben, wenn uns Corona – hoffentlich recht bald – ZUR L-ustigen Witwe lässt.

 

Klaus Wilke

P.S. Unser „Operettenmacher” Johannes Zurl hat übrigens auch die musikalische Leitung zweier naher Opernprojekte inne: „Carmen” von Georges Bizet und „L’Orfeo” von Claudio Monteverdi.

 

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