Ach, ihr kleinen Bahnhöfe! Was ihr alles hört!

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Eine Bahnfahrt durch die Lausitz

So ziegelrote Perlen auf der Görlitzer Strecke, Uhsmannsdorf, Hähnichen, Rietschen, Weißwasser. Was sprachen die Wartenden miteinander? Worüber fluchten, lachten sie, 1918-20 schon einmal maskentragend? Schleife, Spremberg hinauf ins Brandenburgische, Bagenz, diese wohlüberlegten, gelungenen nutzbaren Gebäude, aus Ziegel, Fuge, Fenster, Dachschräge und Tür. Drinnen Öfen für die Wartenden.

Bagenz – Bahnübergang.

Ein extra Gleisabzweig für den einen Waggon jeden Tag, der blieb und Güter geladen hatte, Mehl, Tierfutter, gepresste Kohlen. Fuhrwerke näherten sich, die Rampe des Bahnhofs hatte die Höhe der Anhängerfläche. Man schleppte Säcke, Stiegen, Kiepen, Klafter, schon Flachbildschirme auf die Ladeflächen, deren Bildschirmdiagonale lang wie die Deichsel zwischen Kutschbock und dem nimmermüden, klaglosen Zweispänner.

Gute, alte Zeiten! Auf den Bildschirmen sah jeder, was im Osten zu holen war. Zeppeline luden derweil in den Ortskernen SUVs ab. (Nur einer brannte medienanbiedernd, alle anderen flogen und landeten stets unversehrt.) 1939 hatte man genug gesehen, baute die SUVs zu Panzern um, sich all diesen Reichtum, Getreide und Geschmeide, zu holen, Großgrundbesitzer in der Ukraine werden, zehntausende Hektar, Werst, glänzende Reitstiefel.

Bagenz – am Bahnsteigen.

Doch kurz vorm Gebirge Ural versagten, obsoleszenzgeschuldet die Standheizungen der SUVs. Da hieß es Doswedanja und Tschüß und Entschuldigung zu sagen, umzukehren.

Ach, ihr kleinen Bahnhöfe, wie viel Kriegsgerät saht ihr Nacht für Nacht schwellenschlagend vorüberzieh’n? Feldpostsäcke ihren wechselvollen Inhalt in die umgebenen Dörfer zu entleeren? Tränen gab es damals auch, Posttrauma noch nicht, nur „der hat da was, wegen… also, wo der da gewesen war.“

Die verstimmten, nachtragenden Russen folgten den immer kälter werdenden SUVs bis nach Berlin. Die Entschuldigung war ihnen nicht genug. Was denn noch, murrte man leise auf den Bahnsteigen, nachdem man sich mehrmals umgeschaut hatte.

Bagenz – Rampenimpression.

Aus dem Westen kamen Amerikaner. Amerikaner! Keiner wusste, warum. Und es dauerte lange, bis die Russen zufriedengestellt und abgezogen waren. Sie verlangten viel, doch „hatten wir ja auch genug mitgenommen. Auch aus Polen. Gut, sehen wir es sportlich, auf ein nächstes.“

Kleine Bahnhöfe. Kleinode, ziegelgestärkte, zeitlose Schmuckstücke, die Gleise zwischen euch weniger aufdringlich, als 1000 km 6-spurige Autobahnen. Sieh aus dem Wagenfenster Gräben, Erle,

Im Vobeifahren – Bahnhof Hänichen.

bespannte Teiche, blinkende Karpfenrücken, später das geheimnissvolle Blau eines Feldes aus Solarpanel. Neuhausen, Kieckebusch. Menschen in Waggons lächeln, heute wie damals, Mütter erzählen von der Tochter, die in Leipzig studiert, eine Kiste mit Küken auf dem dickberockten Schoße, Väter dabei, eine Aktentasche vor den Knien, darin eine Stullenbüchse und ein Brillenwischtuch. „Voriges Jahr um die Zeit lag schon Schnee.“

An der Rampe.

„Ja, keiner weiß, was kommt.“

„Kurt hat’s mit 62 erwischt!“

„Womit denn?“

„Darm.“

„Und andere bleiben und bleiben…“

Ihr gottgewollten, kleinen Bahnhöfe, Merzdorf, Klinge, Gosda, soviel Anmut bei so vielen Worten.

 

Udo Tiffert

 

Mein Tipp: Die Tage werden länger, wärmer, Fallzahlen freundlicher. Alte Bahnhofsgebäude sind Kunstwerke. Die Betrachtung gewinnt mit jeder Minute. Fahren Sie Regionalbahn, steigen sie spontan irgendwo aus, wo? Vielleicht hilft ein Schienenersatzverkehr bei der Auswahl? Oder eine Verspätung? Verspätungen – geschenkte Lebenszeit.

 

 

Bilder: Alle Fotos: Udo Tiffert

Bagenz – Bahnübergang.

Bagenz – am Bahnsteigen.

Bagenz – Rampenimpression.

Im Vobeifahren – Bahnhof Hänichen.

An der Rampe.

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