Stadt-Spaziergang durch Weißwasser mit Theater, Tanz, Musik, Bühne und Film

Weißwasser in der Oberlausitz ist – historisch gesehen – ein recht alter Ort. Dieser wurde 1552 erstmals erwähnt und hatte 1593 Landkartenpremiere. Zur Stadt wurde er aber erst viel später – 1935 – gekürt. Dazwischen hatte sich eine Menge getan. 1772 wurde in dem Dorf die erste Schule eröffnet; 1817 kam der erste geprüfte Lehrer dorthin. Richtigen Aufschwung brachte aber die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1860 begann die Kohleförderung, und 1866/67 entstand die Eisenbahnstrecke Berlin-Görlitz; Weißwasser erhielt seinen Bahnhof. Besonders die Glasindustrie profitierte von diesen Bedingungen. Bis 1904 entstanden elf Glashütten, vier Glasraffinerien, drei Ziegeleien, eine Spiegel- und eine Porzellanfabrik. Von Fensterglas über technisches Glas bis hin zu feinst geschliffenem Kristallglas kamen aus Weißwasser. Die Bevölkerungszahl schoss in die Höhe, von 2.000 im Jahr 1900 auf 14.000 im Jahr der Stadternennung. Ihren Rekordstand erreichte sie 1988 mit 38.000 Einwohnern. Nach 1990 wurden aus wirtschaftlichen Gründen viele Betriebe geschlossen; eine große Stadtflucht und ein Rückbau von Wohngebieten setzte ein. Heute leben noch etwa 16.000 Menschen in Weißwasser.

„masznehmen#1: Licht an”, hieß es im Dezember 2018, wobei eine Lichtbrücke der Kommunikation zwischen dem Neufert-Bau und Volkshaus inszeniert wurde. Im Bild die Herren Ernst Neufert (alias Sebastian Straub) und Wilhelm Wagenfeld (alias Heiner Bomhard).

„masznehmen#1: Licht an”, hieß es im Dezember 2018, wobei eine Lichtbrücke der Kommunikation zwischen dem Neufert-Bau und Volkshaus inszeniert wurde. Im Bild die Herren Ernst Neufert (alias Sebastian Straub) und Wilhelm Wagenfeld (alias Heiner Bomhard). Fotos: Christine Schulz

Die wollen dieses Schicksal nicht leidenschaftslos hinnehmen. Mit dem großen Stadtprojekt „Modellfall Weißwasser“ entwickelt sich in fünf künstlerischen Werkstätten ein neuer „selbstgemachter“ Stadt-Gebrauch in der einstigen Weltstadt der Glasproduktion in der Oberlausitz. Im Herbst 2018 in Angriff genommen, knüpft es dabei an das Wirken der beiden Bauhaus-Schüler Wilhelm Wagenfeld, Produktdesigner, und Ernst Neufert, Architekt, im Weißwasser der 1930/40er Jahre an, das bis heute als Modellfall für die Umsetzung der Ideen des Bauhauses in der Großindustrie gelten kann.

Alle BürgerInnen Weißwassers waren eingeladen und haben regen Gebrauch davon gemacht, sich mit ihren Begabungen an diesem visionären Stadtentwurf zu beteiligen und spielerisch Antworten auf die drängenden Zukunftsfragen der Stadt zu suchen: Was kommt nach dem Boom von Glasproduktion und Braunkohle? Keine andere Stadt Deutschlands – die obigen Einwohnerzahlen belegen dies – weist eine vergleichbare Dynamik von rapidem Wachstum und schneller Schrumpfung auf.

Nun führt demnächst ein interdisziplinärer Parcours mit Theater, Musik, Chor, Film und Installation durch die Stadt. Vom Bahnhof geht es vorbei am Neufertbau, zu Telux, zur Glasfachschule, vorbei am Volkshaus zur Schnitterbrache (vormals Brauerei) und endet auf dem Boulevard. Er nimmt die Ergebnisse der Werkstätten auf und führt durch Geschichte, Gegenwart und Zukunft Weißwassers, dessen Bauhaus-Erbe bisher weitgehend unbekannt ist.

Die Vorführung des Dokumentarfilms und die überarbeitete Website schließen das Projekt im Herbst 2019 ab und stellen den Neugebrauch zum Weitergebrauch als Open Source zur Verfügung. So kann Weißwasser auch über Deutschland hinaus zum Modellfall für eine mögliche Transformation werden.

Klaus Wilke

21., 22.,28.,29. Juni, jeweils 18 Uhr Treffpunkt Bahnhof; Ende gegen 21 Uhr Boulevard.

 

 

Teilen.

Hinterlasse eine Antwort