Scharfer Theaterstart im Süden

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Die Lausitzer Bühnen starten mit spannenden Gegenwartsbezügen in die Spielzeit

Als Dresdner Theaterkritiker lernt man – latent zunehmend – die Provinz lieben. Aber natürlich darf man das nirgends so sagen. Sondern eher: Die Häuser an peripheren Tangenten bieten oft das passendere Theater.

Natürlich binden große Staatstheater mit ihren Möglichkeiten die größeren Talente – und finden auch immer ein gewisses Publikumsquantum in den in vielen Belangen ausufernden Metropolen für alle mögliche Performanzen, aber prickelndes Theater mit spannenden Bezügen zum Leben findet man zunehmend in den Stadttheatern – also in Chemnitz, Plauen, seltener in Freiberg und Annaberg, aber ganz oft in der Lausitz.

Dort wird sich gekümmert: Um junge wie spannende Dramatikentwicklungen jenseits des Mainstreams und dessen heimatlosen Künstlerhoppings zu entwickeln, deren wahren Wert fürs deutsche Theater und dessen identitätsstiftende Wirkung man erst in der Zukunft erkennen kann und die es besonders im Auge zu behalten gilt: Im trinationalen Dreieck zwischen Zittau, Reichen- und Hirschberg werden im Rahmen der Schauspielkooperation „J-O-S“ in nächster Zeit drei Residenzautoren für je vier Monate weilen, um daraus jeweils ein neues Stück zu entwickeln – aufgeführt mit trinationalen Ensemblen und in allen drei Ländern. Das wird noch ein wenig dauern.

Fleckiges Zittau, deutschfreies Bautzen

Zuvor jedoch steht – am 6. Oktober mit „Der Fleck” – eine Uraufführung an, die einerseits den Zeitgeist Europas – also scheiternder Turbokapitalismus aufgrund zunehmder Moralunterzuckerung – widerspiegelt, anderseits aber durch den neuen Grenzgeist der getragen: Entsprechend dem J-O-Ś-Anspruch wird die Ausstattung von Kostümdesignerin Petra Goldflamová Štětinová und dem Bühnenbildner David Marek, beide aus Prag, übernommen. Außerdem wird die Besetzung um die tschechische Schauspielerin Jana Podlipná (bekannt aus „Eine Party für den Berggeist“) und dem polnischen Schauspieler Grzegorz Stosz („Alois Nebel“ und „Der König der Schmuggler“) verstärkt.

Die  Uraufführung „Der Fleck“ aus der Feder der Polin Joanna Mazur, die in Regie von Jürgen Esser gezeigt wird, ist ein Sechs-Personen-Stück, das beim osteuropäischen Dramenwettbewerb »Talking about Borders« 2016 mit dem zweiten Preis und damit dieser Uraufführung ausgezeichnet ward. Auf einer seltsamen Insel (vermutlich in der Ostsee) arbeiten Menschen unterschiedlicher Nationen in einem Hotel – sie haben unterschiedliche Motive, sich hier ausbeuten zu lassen und wollen eigentlich alle schnell wieder weg. Am besten mit ganz viel Kohle.

Am Boden, Foto: Pawel Sosnowski

Theater Zittau: Martha Pohla spielt „Am Boden.“ Foto: Pawel Sosnowski

Zeitgeistig auch die erste Premiere namens „Am Boden”: Martha Pohla wird in Regie und Ausstattung von Intendantin Dorotty Szalma den Monolog von George Brant bestreiten. Sie ist Pilotin und jagt per Kampfjet vermeintliche Terroristen im nahen Osten. Als sie schwanger wird, ist Schluss mit der Flieger- und Bomberei – sie steuert jetzt Drohnen von der Heimat aus – und soll auf Kinder schießen, worauf sie erstmals Moralin spürt …

Die Görlitzer Musik- und Tanzsparte startet hingegen am 7. Oktober wie gewohnt spritzig in die Spielzeit: „Die Großherzogin von Gerolstein“ führt als Operette von Jacques Offenbach auch ins Soldatenmilieu und erzählt die Liebe vom Soldaten Fritz zur Bäuerin Wanda, torpediert von General Bum – sicher wird üppig gesungen, gespielt und getanzt, Regie führt Steffen Piontek.

In Bautzen wartet der Höhepunkt noch ein wenig: Die erste Uraufführung von „Lausitzen“ am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen steht am 9. März 2018 an, bevor deren Biennale-Stab, der auch jeweils Gastspiele bei den beiden Partnern vorsieht, nach Cottbus und Senftenberg weitergereicht wird. Die Inszenierung ist als Intendantensache vereinbart: Lutz Hillmann inszeniert so zum wiederholten Male Ralph Oehme aus Leipzig, der im letzten Jahr die erste Ausschreibung gewann und heißt „Lausitzer Quartiere oder der Russe im Keller“.

Deutsche im Museum, Siegfried am Hagen

Das Museum der Deutschen, Foto: Uwe Soeder

Burgtheater Bautzen: Das Museum der Deutschen. Foto: PR

Hillmann hebt zuvor aber seine sorbische Fassung von Oliver Bukowskis „Birkenbiegen“, bei dessen Uraufführung Senftenberg einst schneller war, ins Deutsche (Premiere: 10. November) und startet fürs Volkstheater geradezu sensationell in die Spielzeit: Erstens per Performance am 3. Oktober im gesamten Burgtheater, zweitens mit der Leipziger Gruppe „friendly fire“ um Michael Wehren und drittens per „Das Museum der Deutschen“ mit einer mutigen Story über die wahre Kornmarktmacht im 22. Jahrhundert. Denn die Deutschen sind verschwunden, die sorbischen Sagengestalten wieder am Ruder – heiße Diskussion jenseits der reinen Gunst sind quasi vorprogrammiert. Leider sind „Good News“ schlecht fürs Geschäft der Nachrichtenkollegen.

Zuvor startete Bautzens Puppendirektorin Therese Thomaschke ihre Zweitkarriere als Chansonette: Sie bietet einen Liederabend namens „Frühling, Sommer, Horst und Günther“ auf dem Burgtheater – wofür Tasso Schille sie am Klavier begleitet. Sie stiftet Idee, führt Regie und singt selbst alles – von Kreisler über Albers und Brecht bis hin zu van Veen. Lustig sicher auch die Komödie „Ein Mann sieht rosa“ von Francis Veber (Premiere am 6. Oktober) und „Mächtig gewaltig – Bautzener Bühnenball 2017“ (20. Oktober).

Theater Senftenberg – BLUTMOR*DRACHE – Im Europa der Nibelungen

Theater Senftenberg: „Blutmordrache – Im Europa der Nibelungen“. Foto: Steffen Rasche

Die Neue Bühne Senftenberg widmet sich derweil der „Sehnsucht Europa“ (vgl. Hermann 9/2017) und per alljährlichem Auftaktspektakel namens „Blutmordrache“ und bietet eine lange, dreigeteilte Theaternacht „Im Europa der Nibelungen“, die in Regie von Jan Mixsa, Sandrine Hutinet und Tilo Esche geboten wird – und zwar elf Mal bis Anfang November.

Mixsas Uraufführung „Blut“ zeigt Siegfried, Sohn von -linde und -mund, der vor lauter Stolz und Kraft als Schmied die Welt retten will, aber an der prodeutschen Gretchenfrage, ob er es besser mit Brun- oder Kriemhilde halte, zu scheitern droht. „Mord“ nach Hebbel zeigt Siegfried dann im olympischen Dreikampf mit Kriemhild – und die Sache bekommt einen entscheidenden Hagen – was natürlich zum Schluss nach Hebbels „Rache“ schreit. Fürs Publikum endet der Abend typisch mitteleuropäisch – mit  Gelage im teutonischen Wald. How!

Andreas Herrmann
Titelfoto: Theater Senftenberg: „Blutmordrache – Im Europa der Nibelungen“. Foto: Steffen Rasche

Lausitzer Herbstpremierenreigen:
Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen: „Das Museum der Deutschen“ (03.10.); „Ein Mann sieht rosa“ von Francis Veber (06.10.); „Mächtig gewaltig – Bautzener Bühnenball 2017“ (20.10. – gemeinsam mit SNE); „Birkenbiegen“ von Oliver Bukowski (10.11.)
Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau: „Am Boden“ (29.09.), „Der Fleck“ (06.10.), „Die Herzogin von Gerolstein“ (07.10.)
Neue Bühne Senftenberg: „Blutmordrache“ (30.9. bis 04.11.); „Das Abschiedsdinner“ (10.11.)

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