Blick gen Süd, Ruhm in West

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Daniel Ratthei kam als Spieler zurück in seine Heimatstadt Cottbus – als Autor sorgt er vor allem im Süden unserer Republiken für Furore

Das erste Quartal des noch recht frischen Jahres wird vermutlich in der persönlichen Reprise ein ganz besonderes für Daniel Ratthei – und er wird pünktlich mit dem Erscheinen des neuen „hermann“ noch ganz anderswo in den Schlagzeilen stehen, obwohl er im März auch in Cottbus zweimal kräftig feiert.

Doch der Reihe nach: Wir treffen uns in seiner nunmehr Ex-Residenzstadt Zittau, am Bahnhof, um gemeinsam mit Stephan Bestier ganz gen Süden ins Gebirge zu schnaufen: zum Oybin, für beide ein magischer Ort.

Die Verbindung der beiden jungen Schauspieler mit ganz ähnlichen Profilen heißt „The Walking Z“, Ratthei schrieb das Jugendstück genau vor einem Jahr hier während seiner viermonatigen Residenzzeit, die er per Ausschreibung vor zwei Jahren als einer der drei Besten unter insgesamt 97 Autoren gewann, Bestier wird es nun am Gerhart-Hauptmann-Theater inszenieren, die Uraufführung ist am 23. März auf der Studiobühne und seit Monaten restlos ausverkauft. Das besondere daran: Es ist ein eigens entwickeltes Werk – das nun vom trinationalen Jugendklub mit Jugendlichen aus Liberec, Zittau und Jelenia Gòra aufgeführt wird.

Und der Oybin als Zittauer Hausberg stiftet sein O für die Dreieckstheaterkooperation J-O-S. Jener war der allererste Wanderort von Daniel Ratthei nach seiner Ankunft im viermonatigen Schreibexil. Als er ziemlich genau vor einem Jahr mit der Bahn nach Zittau kam, schnaufte just ein Dampfzug durch den Schnee gen Süden ins Gebirge, ganz rasch wanderte er er hinterher, „Schmalspur-Chaoten“ war ein erster Artbeitstitel. Nun, einen Winter später, steht die Uraufführung vor der Tür, das Z im Titel steht, je nach Gusto, für Zittau, Zug oder Zombies.

Bergtour mit Theaterzukunft

Ratthei, Cottbuser des Jahrgangs 1979, kommt just von der Ulmer Premiere seines Stückes „Jihad Baby!“ und schwärmt immer noch von der ODEG-Fahrt im Neißetal von Ostritz bis Hirschfelde als schönstem Abschnitt. Regisseur Bestier, gebürtiger Usedomer und in Dresden aufgewachsen, sitzt cool vor der vierwagigen Gebirgsbahn, deren Lok, stets geknipst und gefilmt, noch nach vorn umkuppelt. Der rote Speisewagen mit seinen Tischlampen atmet alte Zeiten und bietet Heißgetränke. Schnell geht es zur Sache: Theaterneuigkeiten, Besetzungsfragen, Szenendetails oder Textstellen vom Stück, über das sie erst zweimal sprechen konnten, seitdem klar ist, dass Bestier den Regieauftrag übernimmt.

Beim Aufstieg auf den alten Burgberg, von Karl, dem IV vor 655 Jahren als Kaiserhaus und Alterssitz ausgebaut, eine nette Episode: Ratthei spielte vor eintausend Kids in Münster den Lokführer Jim Knopf – und zwar dermaßen oft und schwarzgeschminkt, dass selbst nach gründlichster Reinigung alle dachten, er kommt aus dem Urlaub: „Es war grandios: Im Saal wollte mich alle dunkelhäutigen Kids als einen der ihren abklatschen“, kommentiert er die Zeit vor der großen Blackfacing-Debatte, die bei „Othello darf nicht platzen“ auch mal kurz Zittau streifte.

Beide sind im Netz als gelernte Schauspieler mit braunen Augen, Tenor, im Schnitt 1,71, gut in Akrobatik und Fechten sowie Englisch, Spanisch, Russisch, Berlinerisch und Sächsisch zu finden und haben eine typische, recht stringenten Nachwende-Ossibiographie: Ratthei startete vier Jahre eher sein Studium in Leipzig, Bestier wollte unbedingt zurück ans Meer und ging nach Rostock – beide hatten für die jeweils andere Hochschule eine Zulassung. Ratthei startete im Dresdner Staatsschauspiel noch unter Holk Freytag und ging später nach Osnabrück und Würzburg. Bestier kam nach seinem Diplom 2009 direkt für neun Spielzeiten nach Zittau.

Echt spielen wollen beide weiter: Autor Ratthei, der vor zwei Jahren in seine Heimatstadt Cottbus zurückging, zu 60 Prozent, Regisseur Bestier, in Zittau als Spieler zweimal Publikumsliebling und auch Betriebsrat, seit Herbst als Freiberufler in Köln, reichen gar zehn Prozent. Die Differenz zu 120 ist die Spanne für die neue Rolle, die beide sehr hoffnungsvoll starteten.

Nun sind wir aber hier, um Autor und Regisseur zu einem besonderen Werk zu befragen, in dem sich Zoe und Zac, eingebettet in ihre Cliquen fragen, warum denn alle Erwachsenen zu Zombies mutierten und was man dagegen tun kann. Ersterer gibt sich da vollkommen gelassen: „Ich überlasse die Umsetzung dem Regisseur, beantworte aber gern Verständnisfragen“. Bestier findet das Stück toll und will schon relative Werktreue gewährleisten. So ist er über den Austausch dankbar, bekennt er beim Ringweg um die Burg, die beide schon oft besuchten und deren Besonderheiten gut beschreiben, während auf dem Turm ein herrlich kalter Wind um die Nase pfeift.

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Der Cottbuser ist einigen Jahren dank seinem Münchner Verlages vor allem in Süddeutschland auf dem Jugendstückemarkt sehr gut gefragt, allein im Januar gab es vier verschiedene Premieren: Er gewann vor knapp drei Jahren mit seinem Monolog „Jihad Baby!“ das zweite Coburger Forum junger Autoren. Der Uraufführung am dortigen Landestheater folgte kurze Zeit später die Einladung für „Der Goldene Ronny“ zum Heidelberger Stückemarkt im Mai 2017. Nun feiert bereits das siebte Stück des einen in der bislang 17. Regie des anderen seine Premiere. Bestier, noch vier Lenze jünger als Ratthei, der neben den beiden aktuellen Rollen am Gerhart-Hauptmann-Theater in „Cabaret“ und „Venedig im Schnee“ vor allem noch Oliver Bukowskis „Indianer“ und „Die Zimtläden“ nach Bruno Schulz sowie „Comedian Harmonists“, beides in Regie von Bogdan Koca als wichtige Erfahrung schätzt, wird in seiner Regievita die Station Zittau – die im Juli mit einer lustigen wie tränenreichen, insgesamt vierstündigen (!) Abschiedsvorstellung gefeiert ward. Er bescherte mit dem Weihnachtsmärchen „Die Schneekönigin“ einen Zuschauerrekord: über 15 000 Zuschauer zog es in die 41 Vorstellungen in Zittau und Görlitz. Nun also Bestiers dritter Regiestreich in jenen sieben Monaten nach dem Abschied in die Freiberuflichkeit und dem Umzug von Neiße an Rhein.

Auch für Ratthei war das Dritteljahr als „Writer in Residence“ eine gute Zeit bleiben. Er hat sich nicht nur auf die Jugendlichen eingelassen lassen, sondern ist erst einmal eingetaucht in das Leben im Dreieck – ein Monat Erkundung mit selbstauferegten Schreibverbot. Und er war immer wieder zur Inspiration allein im Wald. Intensivere Menschenbegegnungen wie jetzt auf der Burg waren da eher selten, aber ein Fuchs trottete mal einige hundert Meter wie ein alter Bekannter neben ihm her und verschwand dann wieder, die Deutung lag auf der Hand: Zwei Monate darauf spielte er in der Sommerinszenierung am Cottbuser Piccollo-Theater die Hauptrolle des listigen Gevatters in Goethes „Reineke Fuchs“.

Dort liefert er nun – noch vor der Uraufführung von „The Walking Z“ – seine allererste Regiepremiere: „Patricks Trick“ am 10. März, ein herzliches Schauspiel von Kristo Šagor für Leute ab Acht zum Thema leibhaftiger familiärer Inklusion aus Kindersicht. Um vier Tage später die ersten vier Dekaden  Lebenserfahrung zu feiern. Dann folgt die Wiederbegegnung beim Zittauer Walking, welches auch Mitte Mai beim Liberercer Partnerfestival „WTF?!“ gezeigt werden soll.

Doch zuvor wird sein Name durch die bundesweite Kulturpresse gehen, denn die zweite Einladung zum Heidelberger Stückemarkt steht unmittelbar bevor: „Werther in Love“, frei nach Goethes berühmten Briefroman, ist er schon wieder für den Jugendstückepreis nominiert und wird nach der Lesung 27. April als nächstes Werk den Westen erobern, also garantiert bald eine passende Bühne zur Uraufführung finden, denn bei Ratthei ist Werther ein moderner Unheld: also  Antialkoholiker, Veganer, Künstler – und dann flirrt noch das flotte, aber vergebene Lottchen ins Leben zum Leiden …

Damit ist klar: Schon bald wird sein Wirken nicht mehr ganz im Ostsüdosten oder im Westsüdwesten begehrt sein, sondern auch im Rest der Republiken. Der nächste Traum wäre dann auch einer der großen aus der Jugend: ein Mal sein Staatstheater bespielen.

Andreas Herrmann
Titelfoto: Der Preis von Fleiß: Der Cottbuser Autor Daniel Ratthei (links) hat im März vier Gründe zu feiern. am 23. März gemeinsam mit Regisseur Stephan Bestier die nächste Uraufführung „The Walking Z“ in Zittau.
Fotos: Andreas Herrmann

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