Stadtgespräch – Der neue Schauspieldirektor im Staatstheater Cottbus

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„Was ich in Menschen auslöse ist das wirkliche Kunstwerk” – Jo Fabian, der neue Schauspieldirektor im Staatstheater Cottbus, über seine neue Herausforderung

Jo Fabian, Jahrgang 1960, ist der neue Schauspieldirektor im Staatstheater Cottbus. hat nach seinem Schauspielstudium in Rostock zunächst einige Jahre als Schauspieler gearbeitet, ehe er 1987 zur freiberuflichen Tätigkeit überging. Das ermöglichte ihm, nicht nur als Regisseur, sondern auch als Bühnenbildner, Lichtdesigner, Komponist und Zeichner zu wirken. Er gründete mehrere Theatergruppen, mit denen er experimentell Möglichkeiten des Theaters erkundete. Daneben übernahm er immer wieder auch Produktionen in Staats- und Stadttheatern.

Schon lange vor Ihrer nunmehrigen Festanstellung haben Sie in den 90-er Jahren, 2012 und 2015 mehrere Produktionen im Staatstheater Cottbus verantwortet, zuletzt Ihr sinfonisches Bildertheater „Francesco”. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesem Haus?

Meine Arbeiten waren mit unterschiedlichen Ausdrucksmitteln und Sparten verknüpft und gestalteten sich in verschiedenen gesellschaftlichen, ja sogar einschneidenden historischen Entwicklungsabschnitten. In allen Fällen hatte ich das Gefühl, auf wunderbare Weise auf das Identifikationsbedürfnis des Publikums gestoßen zu sein. Das hatte mit Sicherheit nicht nur mit mir zu tun, sondern auch mit den Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, die meine Arbeit mit ihrem eigenen Enthusiasmus befruchtet haben und in der Lage waren, diese Freude weiterzuvermitteln, spürbar zu machen. Das führt dann dazu, dass du zwar Auslöser einer Aktion bist, aber du begreifst auch, dass es nicht allein um eine Idee und das Auslösen geht, es geht um die Vermittlung.

to play or not to play

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Haben  Sie einen Maßstab für diese Arbeit?

Der Maßstab ist der, den wir an ein Kunstwerk anlegen. Theater ist keine Informationsveranstaltung. Es geht nicht darum, die Texte vollständig, laut und deutlich vernommen zu haben. Auch die Gefallsucht des Theaters ist wohl eher dem Markt geschuldet, als den Zuschauern, die nie nach Gefälligkeit verlangt haben. Theater soll uns an die Grenzen des Denkbaren führen, manchmal auch des Aushaltbaren und es möge uns noch aufregen.  Dazu brauchst du Künstler, die Ansprüche an sich selbst und an das Publikum haben, es als Dialogpartner ernst nehmen, etwas wagen. Solange das so ist, braucht sich Theater in Cottbus vor niemandem zu verstecken und wird für mich zur Weltstadt.

Weltstadt? Übertreiben Sie jetzt nicht ein bisschen, charmant zwar, aber mit Augenzwinkern?

Ich meine damit, dass es mir egal ist, wo die Stadt liegt, in der ich arbeite. Jeder Ort ist mit allen anderen vernetzt. Jeder Mensch mit allen anderen. Jeder Gedanke mit dem bisher Gedachten. Da, wo ich arbeite und Mitstreiter unter den Künstlern, wie im Publikum finde, ist für mich das Zentrum der Welt. Ein Ort, von dem man eingreifen kann in die Geschichte. Wenn das die vielen Menschen, in allen Arbeitsbereichen der Bühne mit mir teilen können, dann ist das für mich eine Weltbühne. Das ist der Maßstab, den ich setze, und den ich einfordere. Alles was darunter ist, geht immer. Vor allem an Tagen, an denen man sich schlecht fühlt, Selbstbewusstsein und Orientierung fehlt. Mut und Zuversicht.

Hat in diesem Kalkül das Publikum Platz?

Solange Theater die Stärkung von Selbstbewusstsein, Orientierung und Zuversicht öffentlich macht, hat auch das Publikum in diesem Prozess seinen Platz, indem es daran teilnimmt. Es bestimmt seinen Platz im Prinzip selbst. Die Erfahrungen mit meinen Cottbuser Produktionen waren doch sehr vielversprechend. Natürlich haben sie zu Auseinandersetzungen geführt. Haben sie geradezu ausgelöst. Davor hab ich mich aber noch nie gefürchtet, im Gegenteil, wie Sie ja inzwischen wissen, bin ich sogar daran interessiert. Der Zuschauer bestimmt an Hand des Gesehenen seine Position, definiert sich selbst immer wieder neu. Wenn er dieses Erlebnis auch kommunizieren kann, tritt er damit in den öffentlichen Dialog ein. So übernimmt er auch die Verantwortung für das, was er zu sehen glaubte und das, was er zu verstehen vermochte. Je verantwortungsbewusster er mit seiner Wahrnehmung im Theater umgeht, desto mehr hat er dem Theater zu seiner eigentlichen Bedeutung verholfen. Wir sollten die Begrenzung des Begriffs „Kunstwerk“ von dem Bühnengeschehen auf den ganzen Saal erweitern. Das eigentliche Kunstwerk findet in den Köpfen der Zuschauer statt. Die Bühne kann es nur auslösen.

Sie haben Schauspiel studiert, als Schauspieler gearbeitet. Was waren Ihre ersten bleibenden Eindrücke, die Sie auf Ihre spätere Laufbahn gedrängt haben?

Meine Interessen waren von Kindheit an breit gestreut. Ich glaubte, dass ich meine unterschiedlichen Anlagen und Talente nur in einem Studium verwirklichen kann, wo mehrere Sachen zusammenlaufen. Letztendlich  habe ich das Schauspielstudium gewählt, weil einfach von den Fächern her mein Interesse für die bildende Kunst, für die Sprache, für die Bewegung in gleichem Maße bedient wurden. Insofern war das Studium interessanter als die Ausübung des Berufs. Die war dann tatsächlich ziemlich eingleisig. Anders als heute, wo der Zuschauer von vornherein zu einem Konsumenten auf dem Markt erklärt wird, war er in der DDR ein ideologischer Adressat: Er sollte erzogen werden. Beides gefällt mir überhaupt nicht.

Was gefällt Ihnen dann?

Ein aufmerksames, neugieriges und mitproduzierendes Publikum würde mir gefallen.

Einen richtigen „Urknall” für die Theaterlaufbahn hat es wohl bei Ihnen eher nicht gegeben?

Nein. Allerdings empfand ich das Theater schon immer als ein Ventil zur Öffentlichkeit, wo man auf unterschiedlichsten Ebenen mit dem Publikum kommunizieren kann. Vielleicht war es das, was mich zu dieser Art von künstlerischem Dialog getrieben hat. Abgesehen davon, ich arbeite ja auch als Maler und Autor. Das sind alles sehr einsame und isolierte Berufe, in denen man mit einem Blatt Papier oder einer Leinwand kommuniziert. Aber auch das kann ich geniessen. Im Theater hat man es ja mit vielen anderen Menschen zu tun und muss sich immerzu erklären. Das Gegenteil von dem, wie ein Theaterstück seine Botschaften transportiert.

Sie arbeiten gern mit Menschen zusammen?

Jetzt haben wir uns aber gründlich missverstanden. Ich liebe das Theatermachen und dazu ist es notwendig, mit Menschen mehr recht als schlecht zu kommunizieren. Ich habe selten das Gefühl, mich klar und unmissverständlich ausgedrückt zu haben, oder auch vollständig verstanden worden zu sein. Das liegt aber nicht allein an mir. Es ist oft ein Problem der Sprache und wie sie jeder Einzelne von uns benutzt. Oft würd ich sie eher als eine Krankheit beschreiben, denn als ein Verständigungsmittel. Der Sprache kann man nicht trauen. Oft wird sie dazu benutzt, Gedanken zu verstecken. Und warum sollte es in der Dramatik anders sein? Ich kommuniziere lieber mit Bildern, Situationen, Farben, Klängen. Selbst ein Gestus, oder eine Bewegung ist klarer, als die Worte, hinter denen sich immer ein Selbstdarsteller seiner eigenen Interessen verbirgt. Das spürt man zum Beispiel an Hand Ihrer Fragen, wie auch bei meinen Antworten.

Francesco – Ein sinfonisches Bildertheater von Jo Fabian

Francesco

Das bei dem ganzen Sprachengewirr etwas ungewollt Neues, Unvorhersehbares herauskommt, was durch die Worte ausgelöst wurde, aber nicht mehr die Worte erklärt, das ist ein Faszinosum des Theaters.  Etwas auszulösen in Anderen, das ist mein Beruf. Das würde ich für das eigentliche Kunstwerk halten, an dem man arbeitet. Nicht so sehr die Umsetzung dessen, was man sich ausgedacht hat und was durch Worte allein auch nicht vermittelt werden kann, weder an die Schauspieler, noch an das Publikum.

Die Cottbuser Theaterbesucher sind ein sehr anhängliches Publikum, ihrem Theater, ihren Schauspielern, Sängern und Tänzern verbunden, aber auch den großen Werken der Klassik in den unterschiedlichsten Genres. Wenn sie in die Oper gehen, wollen sie Oper sehen, wenn sie ein Schauspiel erwarten, freuen sie sich auf das Schauspiel. Können Sie Bedenken oder gar Ängste zerstreuen, ein Jo Fabian werde aus seiner Interessenvielfalt etwas machen, was diesen Vorstellungen massiv widerspricht?

Glauben Sie wirklich, den Anspruch des Cottbuser Publikums mit dieser Frage verallgemeinerbar zu vertreten? Ich mache nicht die Arbeit des Publikums, ich kann nur meine eigene machen.

Wenn ich einen Schauspieltext vor mir liegen habe, mache ich ein Schauspiel daraus, wenn ich eine Opernpartitur vor mir habe, eine Oper. Was soll da den Vorstellungen des Publikums massiv wiedersprechen? Es ist doch ganz einfach: Wie ich die Vorlage verstehe und was ich an ihr interessant finde, entscheidet darüber, wie sie künstlerisch in Szene gesetzt wird. Die Klassik ist eine Forschungsreise auf den Spuren überholter Weltbilder, bei gleichzeitiger Prüfung der Hypothese, diese Welt- und Menschenbilder könnten für uns noch einen Nutzen im Gebrauch haben. Es ändert sich ja im Verlaufe der Jahrhunderte nicht nur unsere Sicht auf die Dinge, oder wie wir etwas verstehen, es ändert sich auch die Art und Weise, wie wir etwas tun, darstellen, oder weitererzählen würden.

Das Erfrischende und Beglückende für das Publikum wird mit Sicherheit sein, dass alles, was in dieser Fragestellung irritieren oder Erwartungshaltungen enttäuschen könnte, nichts Schmerzhaftes, sondern immer etwas Erneuerndes ist. Selbst mein persönliches Scheitern müsste nicht bedeuten, dass das Publikum gescheitert ist. Ich versuche mich mit jeder neuen Arbeit selbst zu definieren, so wie es die Schauspieler auch müssen und eben auch die Zuschauer. Das ist keine Reise, die man allein macht. Wir machen sie gemeinsam. Und da wir sie gemeinsam machen, brauchen wir auch keine Angst davor zu haben.

Trotzdem produzieren und inszenieren Sie zuweilen, nein sogar: zumeist, „gegen den Strich”, zeigen Unerwartetes, womit keiner gerechnet hat?

Ist das so? Woher wusste ich, womit man rechnet? Wenn ich zu überraschenden Ergebnissen komme, heißt das nicht, der Text wurde gegen den Strich gebürstet. Im Gegenteil, nur wenn du ihn gründlich liest und ernst nimmst, machst du überraschende Entdeckungen. Und diese Entdeckungen will ich den Zuschauern natürlich nicht vorenthalten. Das ist alles.

Wenn man das teilen kann, irgendwie kommunizierbar bekommt, dann hat man sogar im Publikum einen starken Rückhalt. Ich würde sogar sagen: Die Feststellung, dass die Cottbuser Zuschauer ein konventionelles Publikum seien, abgelesen daran, was sie gern und nicht so gern mögen, ist möglicherweise ein Produkt der Theaterarbeit und nicht des Publikums. Jeder Mensch wächst doch an den Möglichkeiten, die sich ihm bieten.

Was bedeuten Ihnen denn Publikumswünsche?

Wenn ich vom Publikum auf meinen Posten gewählt worden wäre, würde es mir wahrscheinlich schwerer fallen, sie zu ignorieren.

Aber Sie wissen doch selbst, wie die meisten Menschen wählen würden, wenn man sie fragt, ob sie es gern leicht oder schwerer hätten. Das heißt aber nicht, dass ihre Zukunftsaussichten dadurch verbessert wurden.

Welche Macht, welche Möglichkeiten, welchen Einfluss hat Theater heute noch?

Ich denke, die Macht und der Einfluss des Theaters kommt durch seine Zuschauer. Der Zuschauer muss es sich zu eigen machen, ihm Bedeutung beimessen und damit kann es wichtig werden. Wenn er das nicht tut, bleibt es bedeutungslos.

Theater hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Häufig erleben wir, wie Theater zur Gefälligkeit degradiert, missbraucht wird oder sich einem oberflächlichen Geschmack  gegenüber prostituiert: Aus Sicht der Unterhaltungsindustrie leben wir im Plastezeitalter.

Der gnadenlose Spaßfaktor steht da im Vordergrund. Wenn man sich als Künstler überhaupt etwas auf die Fahnen schreiben möchte, wofür es sich zu kämpfen lohnt, dann das: „Schaut genau hin, hört genau zu, seid nicht so schnell mit euren Urteilen, lasst euch Zeit. Das Vergnügen kommt vom Denken.” Das Theater ist einer der wenigen Treffpunkte, wo wir uns gemeinsam austauschen können über die Dinge, die uns interessieren, inspirieren, anregen. Die heutige Vernetzbarkeit führt deutlich vor Augen, was unser Kunstwerk nicht will und kann: Es benutzt keine Abkürzungen, es hat eine hochartifizielle Sprache, es dauert länger als zwanzig Minuten. Es verfügt einfach nicht über Normative, die in unserer Zeit Kommunikationsstandards geworden sind. Dazu gehört auch, in unglaublich kurzer Zeit unglaublich viele Leute mit einer kurzen Nachricht zu erreichen.  Bevor das Theater wieder seine Bedeutung erlangen kann, muss es davor geschützt werden, zur Ablenkungs- oder Bildungsveranstaltung zu verkommen.

„Lostills. Verlorene Stilleben”

Lostills. Verlorene Stilleben

Eigentlich doch ein Dilemma: eine Kunst mit großer Vergangenheit reibt sich an der Zukunft?

Das ist nicht das Dilemma, sondern der Nährboden für die Suche nach Darstellungsformaten, die uns in Zukunft noch interessieren.

Deswegen ist es eben auch nicht altmodisch, wenn wir darauf bestehen: Lasst uns doch mal Zeit nehmen, lasst uns gründlich sein, lasst uns noch mal darüber nachdenken, damit unsere Wahrnehmung neu sortiert und sensibilisiert werden kann für Gegenstände, die uns aus dem Blick geraten sind. Die Neuentdeckung und Neuerfindung dieser Objekte und Gegenstände oder Themen sind eine Aufgabe, die sich dem Theater gerade durch die Digitalisierung stellen könnte. Wenn das Theater aber nur den alternativen Medien hinterher jagt, um sich so schnell wie möglich auch in einen digitalen Informationsfluss zu begeben, werden natürlich auch die Nachrichten kürzer. Das würde sehr unbefriedigend werden. Wenn da jemand meint, ein Goethetext müsste heutzutage zwangsläufig abgekürzt oder gerappt werden, damit ihn sich überhaupt jemand reinziehen will, der irrt, auch wenn ich selbst zu den Leuten gehöre, die ihn auf jeden Fall kürzen würden. Man muss einen anderen Weg finden.

Sie sprachen von dem Tempel Theater, den man ernst nehmen sollte, einem der wenigen Orte, in denen man sich treffen und austauschen kann. Das erinnert mich an die Jahre 1988 und 1989, als das Cottbuser Theater mit Inszenierungen wie „Die Übergangsgesellschaft” und „Der Auftrag” Beiträge zu großen gesellschaftlichen Debatten leistete. Wäre eine Rückbesinnung auf diese Zeit zu empfehlen?

Nein. Wir sollten uns aber darauf besinnen, wer wir sind und was wir wollen. Das herauszufinden ist die eigentliche Herausforderung jeder Zeit.

Das Gespräch führte Klaus Wilke.
Fotos: © Marlies Kross

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