Auch wenn Corona die Co-Autorin unseres Spielplans ist…

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Interview mit Stephan Märki, dem neuen Intendanten des Staatstheaters Cottbus

 Als Sie sich vor einem Jahr an der Seite des Interims-Intendanten René Serge-Mund auf Ihr neues Amt vorzubereiten begannen, ahnte noch niemand etwas von der kommenden Corona-Pandemie. Sicher hatten Sie viele brillante Pläne. Was hat Corona an diesen verändert?

Die Fragen, die uns bei der Vorbereitung des neuen Spielplanes bewegt haben, sind nach wie vor gültig.   Wir haben uns deshalb entschieden, auch die großen Werke, mit denen wir starten wollen, unter allen möglichen Bedingungen zu proben. Dafür  haben wir mit allen Regieteams eine Übereinkunft getroffen. Zu den Eröffnungspremieren gehört die Oper „Mazeppa” von Peter  Tschaikowski, eine große Choroper, eine große Musikerbesetzung, ein großes Thema, Schock und Chancen gesellschaftlicher Umbrüche. Wir  bereiten  sie doppelt vor. Die in Cottbus aus den Nullerjahren bekannte Regisseurin Andrea Moses bereitet für Oktober eine gekürzte, eine „Corona-Fassung”, vor. In der nächsten Saison soll sie,  was dann hoffentlich möglich ist, die ungekürzte Fassung auf die Bühne bringen.  Man muss in der Probenzeit testen, was zu machen möglich ist,   wenn man sozusagen in extremer Kürzung die Größe eines Werkes erlebbar macht. Oper unplugged sozusagen, das ist, wie elektrischer Musik den Stecker zu ziehen und dabei ihr Wesen hervorzuholen..

In diesem Zusammenhang: Der Corona sind einige Inszenierungen und Projekte zum Opfer gefallen: u.a. „Otello”, das Projekt „Fluchtpunkt” des BürgerSprechchors, große Teile des Europa-Konzertzyklusses. Sind sie ersatzlos gestrichen?

Wir haben innerhalb des jetzigen Spielplans einige wenige Stücke ausgetauscht. So ist im Schauspiel „Solaris” nach dem berühmten utopischen Roman von Stanislaw Lem dazugekommen. Wir mussten die ganz großen Chorwerke im Konzertbereich verschieben. „Otello”, „Fluchtpunkt” oder „Satyagraha” konnten wir so nicht übernehmen, weil wir ja schon die ganze neue Spielzeit geplant und damit die nötigen Verträge abgeschlossen hatten. Übernommen haben wir die große Ballettproduktion „Strawinsky”, die kurz vor der Premiere durch Corona gestoppt worden war. Dafür musste ein anderes Projekt weichen, das dem Thema Amerika gewidmet sein sollte. Dies ging, weil Ballettdirektor Dirk Neumann weiterhin in der künstlerischen Verantwortung für das Ballett steht. Immerhin dient er dem Theater zuverlässig seit 15 Jahren. „Otello”, der in den Händen der künftigen Oberspielleiterin Jasmina Hadžiahmetović liegt, wollen wir versuchen, zu einem späteren Zeitpunkt auf den Spielplan zu setzen. Wir müssen damit leben, dass sich der Spielplan unter Corona-Bedingungen laufend ändern könnte. Corona ist zwangsläufig zur  Co-Autorin unseres Spielplanes geworden. Jasmina Hadžiahmetović bringt dafür „Salome” auf die Bühne. Ein Stück, was in der gegenwärtigen Zeit von großer Bedeutung ist. Ja, und den BürgerSprechChor, gäbe es ihn nicht, hätte man ihn gründen müssen. Wir brauchen ihn, weil solche Communitys, Gemeinschaften, aus dem Ort stückbezogen, themenbezogen fester Bestandteil unserer Arbeit hier in Cottbus werden soll. So wird er auch gleich am ersten Premieren-Wochenende in der Schauspielinszenierung „Umkämpfte Zone” in Aktion treten.

Gibt es für 20.21 eine Überschrift, ein Motto?

Wir haben zwar keine Spielplan-Überschrift, aber wir haben uns zwei Stichworte gegeben. Das eine heißt „Suche nach Gemeinschaft”. Das hat unmittelbar mit dem BürgerSprechChor zu tun, aber auch zum Beispiel mit der Oper „Alzheim” und weiteren Projekten. Wir wollen so mit Menschen vor Ort arbeiten. Das andere Stichwort ist „Grenzenlosigkeit”.  Darunter haben wir einige Großformate ins Leben gerufen, u.a. die Brandenburgischen Gespräche in Koproduktion mit rbb Kultur und in Kooperation mit der Lausitzer Rundschau. Wir folgen dem inhaltlichen Aspekt der grenzenlosen Identität. Die deutsche Wiedervereinigung vor 30 Jahren hat nicht nur Deutschland, sondern Europa wieder geöffnet und brachte eine mehrfache Grenzüberwindung. Das war und ist ein gewaltiger Prozess, dem wir in unserem Spielplan Raum geben. Wir möchten zeigen, dass der Klang der Bühne ein grenzenloser ist, der durch jedes offene Ohr zu jedem offenen Herzen dringen kann.

Auf ungewöhnliche Weise beginnt also Ihre erste Spielzeit als Intendant in Cottbus. Sie waren ja zuvor Intendant bzw. Generalintendant im friderizianischen Potsdam und im goetheschen Weimar. Was reizte Sie an Cottbus?

Alle drei sind Städte im Osten Deutschlands, in denen das Theater in der Vorwendezeit eine besondere gesellschaftliche Dringlichkeit und Relevanz hatte. Das übte eine Faszination aus, die mich schon vor der Wende, als ich in meinem Off-Theater in München wirkte, immer wieder in den Osten zog. Zwischen Bühne und Zuschauerraum war dort eine Verbindung, eine Beziehung zu erleben, wie ich sie aus dem Westen und aus der Schweiz nicht kannte. Das war für mich ein Grund, dass ich bald nach 1989 nach Potsdam kam. Von dort bin ich unzählige Male nach Cottbus gepilgert, wo Christoph Schroth war. Ich hatte von ihm in Schwerin 1989 seinen legendären „Wilhelm Tell” gesehen, bei dem im Saal buchstäblich die Luft brannte. Großes Theater von einem großen Regisseur. Und der war nun Intendant eines Staatstheaters in Cottbus. Und schrieb hier Geschichte, u.a. mit seinen „Zonenrandermutigungen”. Das war ein Theater mit gesellschaftlicher Relevanz. Das war für mich immer das Wichtige, wichtiger als ein bloßes gesellschaftliches Unterhaltungsattribut. Gewiss, Unterhaltung muss sein. Aber sie allein, das war mir, das ist mir zu wenig. Bei allen drei Orten und Theatern kann ich jedenfalls sagen: Sie haben mich gefunden. Wir fanden schicksalhaft oder folgerichtig zusammen.

Und schon in Potsdam, wo es zu Ihrer Zeit keinen Theaterneubau gab, blickten Sie auf einen anderen branenburgischen Theaterbau . . .

Ja, ich bin oft nach Cottbus gepilgert. Ein Haus mit wunderbarer Architektur, geschichtsträchtig, Bürgerstolz, eine Akustik, wie man sie sich nur wünschen konnte. Ich saß im Zuschauerraum und dachte: Wenn ich hier mal Theater machen könnte! Mich begleiten auch seit über 20 Jahren zwei Putten vom Dach des Cottbuser Theaters. Die mussten ausgetauscht und neu gegossen werden, weil der alte Beton das Wasser nicht genügend abwehrte. Die alten wurden versteigert, der Erlös kam der Sanierung des Theaters zugute. Serge Mund, damals geschäftsführender Direktor in Cottbus, rief mich ans: „Willst du die?” „Warum nicht?” Wir haben ein Preislimit ausgemacht, ich bekam sie. Und sie kosteten das Doppelte.

Vor der Corona-Krise hat das Staatstheater bekanntlich eine immense Führungskrise durchgemacht. Merkt man noch etwas von den Wunden?

Ich weiß ja nicht, wie es vorher war. Und ich schau nach vorn. Theater ist für mich nicht nur inhaltlich, also zwischen Bühne und Zuschauerraum und Öffentlichkeit, sondern auch intern  eine Frage der Kommunikation. Denn nur, wenn die Bühne wirklich von hinten nach vorn gedacht wird, kann sie leuchten und strahlen. Ich sehe jedenfalls in allen Sparten ermutigendes Entwicklungspotential. Es ist bewundernswert, was in Cottbus unter schwierigeren finanziellen Bedingungen als anderswo geschaffen worden ist. 1990 waren Cottbus und Weimar etwa auf Augenhöhe, was die Möglichkeiten für Honorare, Ausstattung usw. betrifft. Heute hat das thüringische Staatstheater nahezu das Dreifache. Daran müssen wir arbeiten, Frau Dönicke, die neue geschäftsführende Direktorin, und ich. Ein Meilenstein ist allerdings gesetzt, der uns froh macht: Das Staatstheater ist an den Flächentarif angeschlossen und damit der Gerechtigkeit gegenüber anderen Staatstheatern Genüge getan. Mit dem für den Strukturwandel zur Verfügung gestellten Milliardenpaket besteht die einzigartige Chance, in einer Region, die schon vor und auch nach der Wende tiefgreifende Umbrüche gestaltet hat, mit den Mitteln der Kunst ein gutes Leben mitgestaltet werden kann.

 Es gibt keine Veränderung ohne Veränderung, äußerten Sie jüngst in einem Interview, Ja, wo Sie hinkommen, riecht es nach Veränderungen, denen gegenüber Sie konsequente Haltungen zeigen. In Weimar widersetzten Sie sich erfolgreich der Fusion mit dem Theater Erfurt, in Potsdam nahmen Sie Abschied, als Ihnen von der Landesregierung die Abwicklung des Musiktheaters zugemutet wurde. Was haben Sie in Cottbus schon verändert, was wollen Sie noch angehen?

Ich bin ein Gegner von Fusionen. Jedes Theater ist anders, mit seinem Ort und seiner Region verbunden.  Man kann nie Konzepte von der einen Stadt in eine andere, von einem Theater in ein anderes übertragen. Ich möchte mit diesem Theater ein Stück Zukunft gestalten. Es schafft zwar keine Arbeitsplätze, aber es ist ein Mutmacher, fördert gesellschaftliche Diskurse und initiiert großstädtisches Denken in dem Sinne, dass jede Stadt sich anstrengen sollte, über sich hinauszuwachsen.

Sie hatten angekündigt, dass Sie allein kommen, und so ist es wohl geschehen. Das ist für Intendanten sicher selten. Trotzdem konnten Sie zur Spielplanpräsentation vor der Presse eine Mannschaft vorstellen, die wie aus einem Guss, hochqualifiziert und hochmotiviert erscheint. Wie haben Sie Ihre neuen Mitstreiter gefunden, und wie haben Sie zueinander gefunden?

Überall, wo ich bisher hingegangen bin, bin ich allein angekommen, um die Menschen kennenzulernen, die Bedingungen zu erkunden und ein Bild von der Region zu erhalten. Ich sehe das als Voraussetzung dafür, ein sinnvolles Miteinander anzusteuern. Das ist aber auch, was Freude macht, die richtigen Menschen, die richtige Mischung zu finden: Menschen, die nicht nur einen Job machen, sondern Theater, die Herausforderungen suchen und mit Leidenschaft dabei sind.                                          

Dabei fällt auf, dass Ihr Leitungsteam, was Herkunft, bisherige Wirkungsstätten und Erfahrungen  betrifft, geradezu international aufgestellt ist. Stimmt diese Beobachtung?

Das ist so gewollt. Ich sehe da in die Zukunft und erinnere an das Stichwort Grenzenlosigkeit. Zum einen resultieren aus einer gewissen Zeit an Theaterleben fast von selbst ein kompakter Erfahrungsschatz und viele Kontakte. Aber auch jeder von den Neuen bringt so seine biografischen Erfahrungen mit. Aber alle eint das Wollen, sich wirklich auf die Region und die Menschen hier einzulassen und ihre Themen einer künstlerischen Gestaltung zuzuführen. Das ist ein Weg, den man zusammen geht.

Gibt es für Sie eine Schere zwischen Publikumsgeschmack, -wünschen, -erwartungen und dem Bildungsauftrag des Theaters?

Vorerst: Die Theaterbesucher in Cottbus sind ein tolles Publikum. Es fällt die große Verbundenheit mit den Stammbesuchern auf.  Ich hoffe, dass wir sie mitnehmen und neue Interessenten gewinnen können. Von besagter Schere halte ich nichts. Jeder Zuschauer kommt woanders her, mit sozialen und kulturellen Unterschieden, anderen Lebenserfahrungen. Wenn man überhaupt Zuschauer in zwei Kategorien einteilen will, was eigentlich Blödsinn ist, gibt es eher Bestätigungs- und eher Erkundigungszuschauer. Erstere wollen ihre Erwartungen erfüllt, bestätigt wissen. Der Erkundigungszuschauer bringt seine Theatererfahrungen, Lebenserfahrungen, Sehnsüchte und ästhetischen Vorstellungen mit und ist offen für etwas Neues. Wenn dieser Zuschauer aus dem Theater geht und sagen kann: Ich habe eine Erfahrung gemacht und nicht nur Erwartetes und früher Gelerntes bestätigt gefunden, geht er anders nach Hause, als er gekommen ist. Aus all diesen Gründen sind Diskussionen nach den Theatererlebnissen so wichtig.

Eine weitere Schere ist die zwischen jung und alt: Die Jungen ins Theater holen und die Alten nicht verlieren. Hat sich der neue Spielplan diesen Aufgaben gestellt?

Auch diese Schere gibt es für mich nicht wirklich. Es geht darum, jedem Kind die Faszination von Theater spürbar werden zu lassen. Wo das gelingt, ist ein künftiger Zuschauer gewonnen, auch wenn im Laufe des Lebens das Interesse daran schwanken mag. Aber das kann gar nicht früh genug erfolgen. Ich bin durchaus für Babykonzerte. Bei vielen jungen Menschen dominiert das Internet. So groß dessen Angebote sind, ersetzen kann es Theater nicht. Mit dem Theaterjugendklub und der Theaterpädagogik, die ich lieber Vermittlung nenne oder Audience Development, Publikumsentwicklung, haben wir Instrumente, mit denen wir junge Leute „abholen”.  Das Gebot lautet: rausgehen, auf die Leute zugehen, in die Schulen gehen. Ein Weg ist auch, mit neuen Formaten neues Publikum zu gewinnen, mit neuen Angeboten neugierig zu machen. Das heißt natürlich: es kostet mehr. Ein Langstreckenlauf ist das, und man muss über die eigene Intendanz hinaus  investieren. Das benachbarte Piccolo Theater tut das in vorbildlicher Weise.

Ihre erste Wirkungsstätte nach dem Studium in München war ein Teamtheater. Auch gelten Sie als ein Verfechter des Mehr-Spartentheaters. Welche Impulse geben diese beiden Merkmale für die Theaterkunst?

Das Mehrspartentheater ist eine große Errungenschaft der deutschen Kulturgeschichte. Es bezeugt, dass Theater mehr ist als seine einzelnen Sparten. Gewiss haben die Inszenierungsweisen zunächst etwa Trennendes, aber dieses Trennende zu überbrücken ist die große Aufgabe, die darauf zielt, anspruchsvolle Spielpläne zu erstellen und neue Formen der Inszenierungsmöglichkeiten auszuloten.  Und das Gemeinsame zu fördern, statt das Trennende zu betonen. Es sind neue Leute, zum Beispiel in der Oper, für Dramaturgie und Regie engagiert, die auch schon Schauspiel machen, Jasmina Hadžiahmetović, Andrea Moses und Armin Petras zum Beispiel. Natürlich dient das letzten Endes genauso der Stärkung der Sparten.

An anderer Stelle in diesem Heft stellen wir die 18 Inszenierungen der Spielzeit 20.21 vor. Auf welche möchten Sie besonders aufmerksam machen?

Gute Eltern tun gut daran, nicht die Löblichkeiten und Vorzüge eines einzelnen Kindes hervorzuheben. Ich werde das auch mit unseren Vorhaben so halten; denn ich liebe sie alle. Ich nutze aber die Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf unser „Spezial zur Deutschen Einheit” am 3. Oktober zu lenken. Einem Festkonzert folgt ein Theaterspektakel „Anmut sparet nicht noch Mühe”, das in verschiedenen Räumen des Hauses, bei gutem Wetter auch auf dem Schillerplatz, mit tänzerischen,

musikalischen und schauspielerischen Miniaturen Bilder vom Lebensgefühl 1989/90 malt. Im Hangar 5 feiert ein Crossover zwischen Installation, Schauspiel, Tanz und Musik unter dem Titel „Antigone Neuropa” die deutsch-deutsche Einheit als europäisches Moment.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Interview: Klaus Wilke

 

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