Wir sind ein Zentrum, in dem vieles zusammenkommt und -gehört

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Im großen HERMANN-Interview steht uns Sylvia Wähling, Geschäftsführende Vorsitzende des Vereins Menschenrechtszentrum Cottbus e.V. und Gedenkstättenleiterin Rede und Antwort. Das ehemalige Gefängnis, das der Verein gekauft hat, ist nicht nur Gedenkstätte und nun ein Denkmal sondern wird zur Mitte des Jahres Außenstelle des Bundesarchivs

Zur Person: Die gebürtige Griechin lebt seit vierzigeinhalb Jahren in Deutschland, machte ihr Abitur in Athen und studierte in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn Politische Wissenschaften. Über ihr erstes Engagement nach dem Studium bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt am Main kam sie mit ihrem Mann 1991 nach Meißen. 16 Jahre lang arbeitete sie für die Sächsische Landeszentrale für Politische Bildung in Dresden und obwohl sie, wie sie sagt, die Arbeit dort als sehr erfüllend empfand, habe sie nach neuen Herausforderungen gesucht und sie in dem damals neuen Projekt Menschenrechtszentrum Cottbus gefunden. Wo sie bis heute arbeitet und inzwischen die Gedenkstelle leitet.

Frau Wähling, wie sind Sie nach Cottbus gekommen?

Es gab damals keine Stellenausschreibung oder ähnliches, ich habe den Vereinsvorsitzenden, Dieter Dombrowski, angeschrieben und mich angeboten. Wie genau es vonstatten gehen sollte, wusste ich noch nicht. Ich wollte erst einmal nur mitwirken. Ich hatte auch gar nicht vor, von Meißen, wo ich damals noch wohnte, nach Cottbus zu ziehen. Das Leben brachte es aber so, dass dieses Projekt mich so sehr forderte, dass ich zunächst drei Jahre lang jeden Tag nach Cottbus pendelte und schließlich meinen Lebensmittelpunkt hierher verlegte. Seit 2013 bin ich in der Stadt an der Spree zu Hause.

 

 

Das Menschenrechtszentrum Cottbus wurde am 31. Oktober 2007 gegründet. Würden Sie bitte eine kurze Bilanz ziehen?

 

Das Menschenrechtszentrum Cottbus ist ein tolles Beispiel für bürgerschaftliches Engagement. Über die Jahre, den schweren Beginn bis schließlich zur Eigentümerschaft der Gedenkstätte, haben sich sehr viele Menschen ehrenamtlich engagiert, um dieses Zentrum aufzubauen. Es zeigt auch, dass es sich lohnt, eine Vision zu haben und dafür zu kämpfen, Menschen zu überzeugen, bei so einem Projekt mitzumachen. Durch dieses Engagement konnten wir private und öffentliche Geldgeber gewinnen, uns finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Damit einher gehen natürlich auch Verpflichtungen. Allein wenn man bedenkt, dass unser Verein Eigentümer der Gedenkstätte mit einer Fläche von 22.000 Quadratmetern ist, heißt das auch, dass wir sie erhalten, ausbauen, weiterentwickeln und weitere Visionen umsetzen müssen. Wir stehen nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zu uns kommen nicht automatisch die Leute angereist, sondern wir wissen, dass wir uns am Rande der Republik befinden. Cottbus ist zwar eine Großstadt, aber kein touristischer Hotspot. Deshalb müssen wir uns permanent Gedanken machen, was wir mit diesem Gelände machen, wie wir Leute hierher lotsen und welche Inhalte wir ihnen vermitteln können. Wir sind aber auch zuversichtlich, eben wegen der Dinge, die wir bereits geschaffen haben.

Ein wichtiger Teil der Arbeit des Vereins ist natürlich auch die Opferbegleitung und die Betreuung von ehemaligen Häftlingen. In diesem Gefängnis haben Menschen gelitten. Uns geht es um Kommunikation, dass Menschen mit einander sprechen.

Was genau ist denn die Vision, die sie jetzt von der Gedenkstätte haben. Nach dem erfolgreichen Aufbau müsste ja nun die Konsolidierung folgen?

Die ursprüngliche Vision hat unser Vereinsvorsitzender Dieter Dombrowski entwickelt. Sie hat sich nicht verändert. Die Vision ist der Name an sich: Menschenrechtszentrum Cottbus. Wir waren nie ein kleiner Häftlingsverein, in dem nur der Unrechtszeit von früher gedacht wird, man sich und das Schicksal gegenseitig bedauert, sondern ein Zentrum, in dem vieles zusammenkommt und -gehört. Bei den Menschenrechten geht es nicht nur um die DDR, obwohl 80 Prozent unserer Mitglieder in der DDR im Gefängnis saßen, sondern um die übergeordneten Menschenrechte.

Was sind die Aufgaben und Vorhaben für das Jahr 2021?

Dieses Jahr ist ein schwieriges Jahr für uns. Covid-19 bestimmt derzeit für uns alle das Leben. Es ist schwierig für uns, überhaupt zu planen. Wir wissen nicht, ob davon dann irgendetwas umgesetzt werden kann. Für die nahe Zukunft ist es sogar noch schwieriger. Wir leisten aber intensive Hintergrundarbeit. Wir stellen derzeit Anträge für viele größere Projekte.

 

Der Sommer 2021 hat ein besonderes Ereignis zu bieten. 60 Jahre Beginn des Mauerbaus…

 

Trotz der derzeitigen Schwierigkeiten sind wir dennoch sehr zuversichtlich, dass wir im Sommer wieder öffnen und unsere Besucher mit interessanten und bewegenden Veranstaltungen begrüßen können. Am 13. August gedenken wir 60 Jahre Beginn des Mauerbaus. Dafür haben wir bei der Ostdeutschen Sparkassenstiftung ein besonderes Projekt beantragt. Wir planen die Kooperation mit Anett Simmen und ihrem Künstler-Ensemble VoLA StageArt, die schon im vergangenen und vorvergangenen Jahr das  Tanzprojekt „Grenzlinien“ am Berliner Teufelsberg und am Brandenburger Landtag durchgeführt hat. Sie entwickelt ein neues Programm für uns. Das Künstler-Ensemble steht für  „vertical Dancing“, also für Tanz mit Seilen an Hauswänden. Getanzt werden soll sowohl an der Wand des heutigen Gedenkstättengebäudes, als auch an der Hauswand des einstigen Ambulanzgebäudes. Für die Tänzer und Rigger (das sind diejenigen, die die Seile befestigen, an denen die Artisten tanzen, Anm. d. A.) wird es deshalb eine Herausforderung, weil unsere Fenster alle vergittert sind und das Mauerwerk bröckelig ist. Der „Mauerbau“ wird aber nicht nur monothematisch betrachtet, sondern viel weiter gefasst. Die Teilung des Landes, Fluchtversuche, aber auch die gerade entstehende Festung Europa werden ebenfalls dargestellt. Unser Verein ist nicht dafür, die Grenzen zu öffnen und alle Flüchtlinge hereinzulassen. Wenn man bedenkt, dass es weltweit 60 Millionen Flüchtlinge gibt, kann das nicht die Lösung für diese komplexe Problematik sein. Mit unserem Stück wollen wir die Menschen zum Nachdenken bewegen. Wenn aus diesem Nachdenken dann Lösungen erwachsen, würde uns das freuen.

Für den 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, planen wir wieder unser Oldtimer-Treffen, das in den vergangenen Jahren sehr gut funktioniert hat. Wir sehen den Hauptgewinn bei diesem Treffen darin, Menschen zu uns zu locken. Wir haben festgestellt, dass sich durch historische, geschichtsträchtige Fahrzeuge Personen angesprochen fühlen, die nicht vordergründig unsere Gedenkstätte besuchen. Wenn sie dann aber schon mal bei uns sind, gucken sich auch alle unsere Ausstellungen an und informieren sich über die Gedenkstätte.

Cottbus bekommt eine neu geschaffene Außenstelle des Bundesarchivs für die Unterlagen der Staatssicherheit. Wie ist da der Stand?

Am 19. November hat der Bundestag unter anderem beschlossen, dass die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) abgeschafft wird und es einen neuen Opferbeauftragten gibt. Die BStU ist dann dem Bundesarchiv zugeordnet. Innerhalb dieses neuen Gesetzes gibt es auch einen Abschnitt, in dem es um die Außenstellen geht. In Brandenburg erhält demnach eine neue Außenstelle, die in Cottbus angesiedelt wird – keine BStU-Außenstelle also, sondern eine des Bundesarchivs. Festgeschrieben ist nur die Stadt Cottbus und nicht das Menschenrechtszentrum. Die Potsdamer Landesregierung empfiehlt aber, dass die Außenstelle zusätzlich in einem authentischen Ort eingerichtet wird. Als ehemaliges politisches Gefängnis ist deshalb das Menschenrechtszentrum der bestgeeignete Ort. Aus diesem Grund rechnen wir damit, dass die Außenstelle tatsächlich hierher zu uns kommt.

 Das dazu passende Gesetz tritt am 17. Juni in Kraft. Dieses Datum hat übrigens keinen Bezug zum Aufstand vom 17. Juni 1953, sondern einen Tag vorher, am 16. Juni, endet die Amtszeit von Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten der BStU. Die Gespräche zur Außenstelle sind derzeit im vollen Gange. Allerdings wird erst ab dem 17. Juni Genaueres festgelegt werden können. Erst nach Inkrafttreten des Gesetzes kann die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) tätig werden. Noch ist nicht klar, was genau hier geschehen soll. Die Anzahl der Mitarbeiter ist nicht bekannt, genauso deren Raumbedarf und welche Aufgaben sie erfüllen sollen. Da das jetzige Archiv in Frankfurt (Oder) bleibt, wird in Cottbus nur eine Informationsstelle eingerichtet. Ich schätze die Lage so ein, dass aller Wahrscheinlichkeit nach eine Ausstellung eingerichtet und hier Bildungsarbeit erfolgen wird. Für beides braucht man Räumlichkeiten. Das könnten bereits vorhandene sein. Es könnte aber auch sein, dass auf unserem Grundstück ein Gebäude saniert wird, das den Ansprüchen der BImA genügt. Ich rechne mit etwa drei Jahren, bevor die Möbelträger herkommen können, um die neuen Räume einzurichten.

Seit Ende August 2020 steht das ehemalige Gefängnis auf der brandenburgischen Landesdenkmal-Liste. Was ergibt sich daraus für das Menschenrechtszentrum?

Ich hoffe nur Gutes! Wenn ich allerdings an die Zeit vor der Festlegung als Denkmal denke, bin ich froh, dass wir nicht auf dieser Liste standen. Denn, wenn man ein Denkmal ist, bedeutet das, dass man, wenn man auf etwas stößt, mit den Baumaßnahmen aufhören muss, bis die Denkmalbehörde ihre Untersuchungen dazu abgeschlossen hat. Ab sofort sanieren oder bauen wir nach denkmalpflegerischen Vorgaben um. Hätten wir das immer so handhaben müssen, würde unser Menschenrechtszentrum heute nicht so aussehen. Wir wären lange nicht auf dem jetzigen Stand. Der Landeskonservator allerdings ist froh darüber, dass wir die Sanierung des ehemaligen Hafthauses I so umgesetzt haben. Wir hatten immer im Blick, das Aussehen der Gebäude zu bewahren, die Baubehörden erteilten uns  des Öfteren andere Auflagen. Als wir das Hauptgebäude sanierten und zum Beispiel unsere Arbeitsräume schaffen wollten, wurde uns erklärt, dass die Fenster für Arbeitsräume zu klein wären und sie so zu wenig Tageslicht hinein ließen. Wir haben geantwortet, dass es ausgeschlossen sei, die Fassade zu verändern. Stattdessen bauten wir hellere Leuchten ein und konnten so unser Ziel erreichen. Es sollte unbedingt der Charakter des Gefängnisses bewahrt werden.

Denkmal zu sein bedeutet aber auch, dass alles, was bisher war, also auch die JVA-Anstalts-Zeit, dazugehört. Für uns ist aber immer die Zeit bis 1989 von Bedeutung gewesen. Wir haben für zukünftige Projekte nun auch die Zeit nach dem Mauerfall zu beachten. Folglich müssen wir manches einfach so belassen, wie wir es nach der Schließung des Gefängnisses vorfanden.

Wir hoffen, dass uns der Titel, den wir dann als Denkmal bekommen haben, helfen wird, zukünftig weitere Mittel zu generieren. Wir werden so aber auch in die Lage versetzt, an solch wichtigen Ereignissen, wie dem Denkmaltag teilzunehmen – was bisher nicht infrage kam. Der Denkmalstatus eröffnet uns auch neue Dimensionen in der Zusammenarbeit mit Institutionen und ebnet uns den Weg zu neuen Partnern. Wir haben immer in unseren Anträgen und Schriften darauf hingewiesen, dass dieser Ort hier ein Ort von bundesweiter Bedeutung ist. Nun wird dem auch offiziell von der Landesebene aus Rechnung getragen. Es ist nicht nur das Menschenrechtszentrum von Bedeutung, sondern auch das Gefängnisareal an sich.

Sie haben einen Antrag zur Erforschung der Geschichte des Gefängnisses von 1933 bis ’45 eingereicht, diese Zeit stand bisher nicht im Fokus Ihrer Arbeit. Was können Sie uns dazu sagen?

Seit vielen Jahren bemühen wir uns, die Geschichte der Nazi-Zeit im ehemaligen Zuchthaus Cottbus tiefer zu erforschen. In unseren drei Ausstellungen wird diese Zeit durch die Titel „Zuchthaus Cottbus von ’33 bis ’89“ zwar schon aufgegriffen, aber es macht einen Unterschied, wenn man in die Tiefe gehen will. Wir können mit Einrichtungen, die sich mit diesem Thema beschäftigen kooperieren, Kontakte knüpfen und uns austauschen. Schon vor zwei Jahren hatten wir einen Förderantrag gestellt. Jetzt kommt endlich Bewegung in das Geschehen. Die Antragstellung befindet sich derzeit in der finalen Phase. Wir hoffen, dass wir ab 1. April eine neue Stelle zur Erforschung dieser Zeit schaffen können. Das Projekt läuft dann zwei und ein dreiviertel Jahre. Am Ende, also 2023, werden wir unsere Ausstellung „Karierte Wolken – Politische Haft im Zuchthaus Cottbus 1933 – 1989“ überarbeiten und das Erforschte einfließen lassen.

Für ihre Vorhaben und Visionen brauchen Sie viele Spender und Unterstützer. Wer sind sie?

Allen voran möchte ich die Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters, nennen. Von Anfang an war uns auch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ein wichtiger Partner. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) des Landes Brandenburg und die Stadt Cottbus sind ebenfalls wichtige Unterstützer. Dazu kommen große und kleine Spender, unter anderem unser Dauerspender, die Firma UKA Umweltgerechte Kraftanlagen GmbH & Co. KG, die in Cottbus eine Niederlassung hat. Auch der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, Frau Dr. Maria Nooke, sind wir dankbar. Dass die öffentliche Hand uns so stark unterstützt, ist für uns ein Zeichen, dass wir mit unserer Arbeit überzeugen – schließlich haben wir einst als ein kleiner Häftlings-Verein angefangen. Und davon mal ganz abgesehen, gibt es nirgends auf der Welt einen Verein ehemaliger Häftlinge, die sich zusammengetan haben, um das Gefängnis, in dem sie einsaßen, zu erwerben und daraus eine Gedenkstätte zu machen. Darauf können wir stolz sein.

Interview: Heiko Portale

 

Hintergrund:

Das Menschenrechtszentrum Cottbus e. V. (MRZ) gründete sich im Oktober 2007 nach einem großen Häftlingstreffen im früheren Zuchthaus, zu dem der ehemalige politische Häftling und CDU-Politiker Dieter Dombrowski eingeladen hatte. Die meisten Mitglieder des Vereins sind politische Gefangene der DDR, die im Zuchthaus Cottbus einsaßen. Bei der Gründung erklärten sie sich zum Ziel: (…) Im Rahmen der Aufarbeitung und der Aufklärung über die Geschichte der beiden ehemaligen DDR-Haftanstalten in Cottbus einen Beitrag zur Versöhnung zu leisten und in Aufarbeitung der Unrechtsgeschichte dieses Ortes Verständnis und Hilfsbereitschaft für Menschen zu wecken, die in anderen Staaten dieser Welt politisch, rassisch oder religiös verfolgt werden.

 

 

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