Die „Mona Lisen” von Cottbus

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Direktorin des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst, Ulrike Kremeier, über Frauen und Kunstwerke

 Das Brandenburgische Landesmuseum für moderne Kunst (BLMK) in Cottbus und Frankfurt (Oder) weist mit über 42.000 Werken die weltgrößte Sammlung an Werken der DDR-Kunst auf. Das BLmK sieht es als seine Aufgabe an, diese Ressource nebst ihren Traditionslinien zu bewahren, auszubauen, zu erforschen und auf hohem Niveau der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dieser große Besitz gibt Gelegenheit, über eine besonderes Thema, „Frauen als Schöpferinnen und Protagonistinnen von Kunstwerken” zu sprechen: Gibt es im Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst eine Mona Lisa? HERMANN traf sich dafür mit Direktorin Ulrike Kremeier.

 Gibt es im BLMK eine Mona Lisa?

 Da Vincis in der Renaissance, also etwa im Zeitraum 1503 – 1506, entstandenes Portrait, das eigentlich im Original „La Gioconda“, also „die Heitere“ heißt, zeichnet sich durch ihr geheimnisvolles Lächeln und ihren in sich ruhenden, gleichwohl fast provozierend selbstbewussten, aber distanzierten, fast kühlen Blick aus, der direkt auf den Betrachter zielt. Nur durch ihren berühmten Silberblick, der sie leicht entrückt aussehen lässt, wirkt sie nicht arrogant.

Natürlich haben wir in der Sammlung des BLMK Bilder aus verschiedenen Zeiten des 20. Jahrhunderts Werke mit Mona-Lisa-Potenzial auf verschiedenen Ebenen:  Die Tänzerin, die das „Bildnis Dore Hoyer“ (1935) von Hans Grundig verkörpert, ist mindestens so mystisch, madonnenhaft und elegant in ihrem Bildraum verortet wie „Frau Lisa“, bei der „Mona“ kein Vorname, sondern die italienische Kurzform von „Monna“, also „Frau“ ist und auf ihren sozialen Status verweist. Auch Clemens Gröszers „A.P. III“ (1987) haftet Mona Lisas Unnahbarkeit und Eigenwilligkeit an. Und die „Urfrauen-Galerie“ von Gabriele Stötzer (geb. 1953 in Emleben, lebt und arbeitet in Erfurt) sind eine poetisch-widerspenstige  Eloge auf die tiefgründige (Ver)Wandlungsfähigkeit von Frauen, ihrer (künstlerisch/kunsthistorischen) Allgegenwärtigkeit und ihrer Kraft.

Gut, auf dieses Thema (das Frauenbild in der Sammlung des BLMK) wollen wir hinsteuern.  Zunächst aber bleiben wir einen Moment bei da Vincis Meisterwerk. Ist das Geheimnis um das Lächeln der Mona Lisa und ihrer bei unserem Vorübergehen scheinbar bewegten Augen eigentlich gelöst?

 Der Mythos „Mona Lisa“ setzt sich aus vielen kleinen Geheimnissen zusammen. Manche sind gelüftet, andere nicht und immer wieder tauchen neue Spekulationen auf. Die malerischen, geradezu bildtechnischen Kniffe, die der Figur eine Aura des Rätselhaften verleihen, sind durchaus erforscht. Außerdem muss man Bildvorstellungen auch immer im Zusammenhang ihrer Entstehungszeit sehen: Für die damalige Zeit ist die Frauendarstellung der „Gioconda“ ziemlich offensiv, um nicht zu sagen verhalten kokett, jedoch keineswegs zurückhaltend scheu. Ein solcher Charakter gab / gibt oft ein bisschen Rätsel auf, wenn es sich um eine Frau handelt noch mehr. Der Autonomiegedanke wurde in Bezug auf die Existenz und das weibliche Geschlecht  im 16. Jahrhundert natürlich anders gedacht als heute. Immer noch ist nicht abschließend geklärt, ob und falls ja, welche reale Frau zur wohl berühmtesten Ikone der Kunstgeschichte wurde.

Ein unanfechtbarer Platz

Hätte eine Frau die Mona Lisa anders gemalt?

 In der Renaissance hoffentlich ja, heute wohl eher nicht. Es ist eine ziemlich moderne Setzung, dass die „Mona Lisa“ nicht im häuslichen Umfeld, sondern vor einer Landschaft, also vor dem Hintergrund eines öffentlichen Raums im Bild plaziert wurde. Bestenfalls wird dadurch ein Wirkungs- und Machtanspruch formuliert, der über die damals Frauen zugeschriebene Domäne des Privaten hinausgeht. In der Renaissance gab es einige sehr kluge und einflussreiche Frauen, die in ihrer Zeit über Strategien und Netzwerke (aber Geld) verfügten, die es ihnen erlaubte, sich auf subtile Weise, aber unanfechtbar ihren Platz in der (Männer)gesellschaft zu erkämpfen. Die Sammlerin Isabelle d’Este war auch eine solche Persönlichkeit. Sie ist übrigens eine der Personen, die manchmal als reales Vorbild für Da Vincis „Mona Lisa“ vermutet wird.

Wodurch unterscheiden sich Werke der Bildenden Kunst, die von Frauen geschaffen wurden, von solchen aus Männerhänden?

Sie haben leider einen deutlich niedrigeren Marktwert. Außerdem beschäftigen sich Werke von Künstlerinnen nicht im selben Ausmaß mit der Darstellung des anderen Geschlechts. Aber es kommt natürlich darauf an, welche Epoche und welchen gesellschaftlichen Kontext wir in dieser Frage betrachten…

Kommen wir nun zum Frauenbild in der Sammlung des BLMK, der weltgrößten Kollektion von Kunst aus der DDR. Gibt es besondere Beispiele für das Schönheitsideal von Frauen im Sozialismus?

Dieses Ideal hat nichts mit dem Aussehen zu tun. Und dann muss man sicherlich auch nach dem Zusammenhang der Repräsentation unterscheiden. Vielfach sind sowohl die dargestellten als auch die Kunst schaffenden Frauen aus der DDR bzw. mit ostdeutscher Sozialisation wunderbar selbstbewusst und stark. Manchmal sind sie großartig fordernd, wie beispielsweise Angela Hampels Frauen, die vehement und oft mit animalischer Sexualität, den Geschlechterkampf als lust-, aber manchmal auch qualvolles Spielfeld begreifen. Die von Annemirl Bauer (geb. 1939 in Jena, gest. 1989 in Berlin), Gabriele Stötzer, Christine Schlegel (geb. in Crossen, lebt und arbeitet in Dresden), Cornelia Schleime (geb. 1953 in Berlin, lebt und arbeitet in Berlin), Karla Woisnitza  (geb. 1952 in Rüdersdorf, lebt und arbeitet in Berlin) und anderen gemalten, gezeichneten oder fotografierten Frauen sind brillante, fantasievolle und vor allem widerständige, autonome Individuen mit Grandezza. Evelyn Richters weibliche Bildcharaktere hingegen sind oft intellektuelle oder aber hart arbeitende Frauen. Ingrid Hartmetz (geb. 1941 in Lampertswalde, lebt und arbeitet in Berlin)  Fotografien der frühen 1990er Jahre zeigen Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen, deren Schönheit und Würde sich durch ihre Verletzlichkeit und ihr Bewusstsein der Situation herstellt.

 Unterscheidet sich das Frauenbild aus männlichen Künstlerhänden von dem aus weiblichen?

Weibliche Bildprotagonistinnen, die von Künstlerinnen geschaffen wurden, sind oft handelnder und aktiver als im männlichen Blick. Die männliche Sicht stellt Frauen gern als Objekt der Begierde dar oder tendenziell eher passiv. Der weibliche Blick auf Frauen ist mehrheitlich einer, dem die Selbstermächtigung und Selbstbestimmung oft automatisch innewohnt. Aber Künstlerinnen  beschäftigen sich ja nicht dauernd mit ihrem Frausein, auch wenn das gern mal angenommen, ja geradezu erwartet wird.

Interessant ist, dass sich Frauen deutlich öfter ihre Arbeitszusammenhänge selbst schaffen und ganz bewusst Nischen besetzen in denen sie dann auch häufig mit anderen Künstlerinnen kollaborieren, kommunizieren oder zumindest interagieren. Ein Beispiel hierfür wäre u.a. die auf / mit ihrem Kunsthof arbeitende Künstlerin Erika Stürmer-Alex (geb. 1938 in Wriezen, lebt und arbeitet in Lietzen).

Form , Bedingungen und Inhalt künstlerischen Schaffens werden hier zusammen mit Kolleginnen in eine produktive Synthese gebracht. Es unterscheidet sich also weniger „das Produkt“ als vielmehr der Weg, es zu erarbeiten und folglich auch die Art, es zu positionieren.

Was ist aus der Darstellung von Frauen im Arbeitsprozess abzuleiten? Findet die politisch propagierte Gleichberechtigung in  der künstlerischen Darstellung ihre Bestätigung?

 Immer mehr, aber noch nicht adäquat. Denn oft sind Künstlerinnen in der Defensive. Immer noch wird klammheimlich und geradezu automatisch erwartet, dass sich Frauen auch künstlerisch dauernd mit ihrem Frausein beschäftigen. Bei so manch anderem Thema bedarf es fast einer Rechtfertigung. Bei einem Mann entfällt dieses Dispositiv: selbstverständlich kann sich Mann mit jedem Thema dieses Planeten befassen, ohne erklären zu müssen, warum er das tut. Und mit dem Mannsein, es sei denn besagter Herr muss gewisse Defizite kompensieren und daraus einen Virilitätsmythos stricken, muss sich der Künstler ohnehin nicht auseinandersetzen. Denn ein bestimmter Testosteronspiegel wird als gute Voraussetzung für gute Kunst begriffen. So ist beispielsweise die Vorstellung des Malers als Boheme immer noch gesellschaftlich attraktiv: nach durchzechten, am besten noch durchvögelten Nächten steht der Geniale um die Mittagszeit auf, wird noch ein bisschen von der Muse geküsst und schwingt, den restlichen (Lebens-)rausch auf die Leinwand werfend den Pinsel. Wenn eine Frau dasselbe tun würde, würde sich ein solcher Lebensstil definitiv nicht positiv auf die Rezeption ihrer Kunst auswirken.

Und das künstlerische Darstellen berufstätiger, arbeitender Frauen hat an diesen Klischees ganz genau gar nichts geändert.

Seismologische Kamera

 Frauen waren seit jeher im Kunstbetrieb unterrepräsentiert. Hat sich ihr Anteil im Sozialismus verändert, und wenn ja, welchen Einfluss nahm dies auf Themenstellungen, Kunstgattungen und Techniken?

In der DDR gab es viele und vor allem viele wirklich gute Künstlerinnen mit einem spannenden Oeuvre. In den Sammlungen ostdeutscher Museen spiegelt sich jene Realität erstaunlich und ernüchternd wenig. Bis in die 1980er-Jahre fanden maßgeblich Werke von männlichen Künstlern Eingang in die Sammlungen. Vor allem in den Abteilungen „Malerei“ sind die Werke von Künstlerinnen schnell gezählt. Im Bereich der Fotografie sieht es deutlich besser aus.  Hier konnte sich zunächst eine in den 1930er-Jahren geborene Generation von Künstlerinnen einen Platz in der internationalen Szene erobern, indem sie ein Bildprogramm der klassischen Moderne in die Street Photography überführten und den Fokus explizit auf (zivil)gesellschaftliche Bedingungen legten. Zu jenen Künstlerinnen gehörten zuvorderst u.a. Ursula Arnold (geb. 1929 in Gera, gest. 2012 in Berlin), Evelyn Richter (geb. 1930 in Bautzen, gest. 2021 in Dresden), Sibylle Bergemann (geb. 1941 in Berlin, gest. 2010  bei Gransee) und Helga Paris (geb. 1938 in Gollnow, Pommern, lebt und arbeitet in Berlin). Dieser kritische Fokus auf Alltagsphänomene und Wirklichkeiten wurde durch eine weitere Generation von Künstlerinnen fortgeschrieben. Die Rückgewinnung des subjektiven Blicks auf die jeweilige Gegenwart spielte bei Künstlerinnen, wie Ute Mahler (geb. 1949 in Berka, lebt und arbeitet in Lehnitz und Berlin), Barbara Metselaar Berthold (geb. 1951 in Pleißa, lebt und arbeitet in Berlin) , Gundula Schulze Eldowy (geb. 1954 in Erfurt, lebt und arbeitet in Berlin und Peru) u.a. eine wesentliche Rolle. In den 1980er-Jahren nutzten Künstlerinnen wie Maria Sewcz (geb. 1960 in Schwerin, lebt und arbeitet in Berlin), Tina Bara (geb. 1962 in Kleinmachnow, lebt und arbeitet in Berlin) die Kamera als seismographisches Instrument des Ergründens und Auslotens der sozialen Bezüge von (oft weiblichem) Körper und Räumen.

2022 gibt das BLMK In 21 Ausstellungen Einblicke in seine Bestände und weist auf künstlerische und kulturelle Fragen in ihrer besonderen Vielfalt hin. Sagen Sie etwas zu diesem Ausstellungsprogramm und, um beim Thema zu bleiben, zu der weiblichen Komponente darin.

 Im BLMK kuratieren  im Jahr 2022 fünf Frauen und drei Männer die Ausstellungen.  Der weibliche Blick dominiert also im Team deutlich. Für die Ausstellungen haben wir keinerlei Quoten festgelegt. Bisher hat es jedoch gut funktioniert, durch genaues Hingucken auf die Kunst und ihre Qualitäten ziemlich ausgewogene Geschlechterverhältnisse sowie regionale, aber auch internationale Präsenz herzustellen und ebenso den Schwerpunkt auf Kunst aus der DDR und Ostdeutschland zu legen. Wichtig ist in dieser Frage allerdings, nicht das politische System DDR, sondern die Kunst zum Maßstab zu machen. Und diese Praxis gedenken wir auch künftig als unsere Handlungsgrundlage beizubehalten.

Neben den vielen tollen Künstlerinnen und Künstlern, die in allen Ausstellungen vertreten sind, haben wir dieses Jahr drei Einzelausstellungen von Künstlerinnen im Programm: Christa Jeitner (geb. 1935 in Berlin, lebt in Bernau), Dorothea von Philipsborn (geb. 1894 in Strehlitz – gest. 1971 in Weißwasser) und Núria Quevedo (geb. 1938 in Barcelona). Während Christa Jeitner zu den profiliertesten Künstlerinnen gehört, die inhaltlich messerscharfe, gesellschaftspolitisch aufgeladene Malerei und Zeichnungen mit Nadel, Faden und Textil schafft, gehört Dorothea von Philipsborn zu den wichtigsten Bildhauerinnen, die den öffentlichen Raum in der Lausitz mit ihren Werken geprägt haben. In die unverwechselbaren Figuren der Malerin Núria Quevedo hingegen ist ihr vehement vertretener Humanismus eingeschrieben, der die Basis ihres Oeuvres bildet.

Unser Augenmerk gilt beim Ausstellungsmachen und beim Sammeln sicherlich manchmal besonders dem Kunstschaffen von Frauen, was am Ende jedoch zählt ist gute Kunst. Kunst, die einen unbestreitbar ästhetischen und inhaltlichen Eigenwert hat und im sinnlichen Erleben aber auch relevante Überlegungen zu Wirklichkeiten des gesellschaftlichen Raums anregt.

Interview: Klaus Wilke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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