To Brexit or not? To Shakespeare!

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Man stelle sich das vor: Großbritannien verlässt die EU und nimmt zugleich alles wieder mit zu sich, was über Jahrhunderte das britische Königreich an Ideen und Einflüssen verließ und sich im Rest Europas breit machte. Als erstes wird Shakespeare returniert. Und zwar completely. Und zwar for ever. Theaterspielpläne nur noch poröse Abraumhalden. Bücherregale nun ohne jeden Halt. Für Schultheatertruppen ab sofort nur mehr Hans Sachs. Im Literaturunterricht nie wieder Hamlets Monolog verstottern. Gebrüder Schlegel oder Tieck rückwirkend als Übersetzer entweiht. Geflügelte Worte fliegen zurück ins vermeintliche Heimatquartier Stratford-upon-Avon. Und schließlich: Wir shakespeareverdorbenen Schöngeister müssten flugs vergessen, was wir bei ihm lernten über die Abgründe des menschlichen Seins und über die Unvergänglichkeit von Liebe und Sanftheit ebenso wie von Rache, Gewalt, Neid, Dummheit, Kriegslust. So, ohne seine Lektionen im Gepäck, wären wir jungfräuliche Beginner miteinander. Das wär was. Wir hätten neue Chancen, den anderen zu erkennen. Wir ahnten nicht einmal, dass der Andere ein Fremder sein könnte. Fremd sein wäre uns sehr fremd. Wir sähen uns in unserer elementaren menschlichen Gleichartigkeit und wären uns sicher, dass das niemals einen plausiblen Grund für Ängste abgibt. Wir könnten es also versuchen mit dem Exit Shakespeare. Denn es muss doch irgendeinen – wenn nicht rationalen, dann irrationalen – Weg geben, um uns die Fremdenängste hinwegzuhexen.

William Shakespeares Tragödien und Komödien wie auch seine Sonette sind großartige, unverwüstliche, unnachahmliche Weltliteratur. Inspirierend für alles, auch für Zukunftsspinnereien.

Die Autorin Ellen Alpsten ist gemeinsam mit der Fotografin Helene Sandberg Spuren des Mythos Shakespeare in dessen Geburtsstadt wie im London des 16. Jahrhundert im englischen Königreich nachgegangen und hat daraus einen prachtvollen Bildband entstehen lassen, der vor allem in seinem Erzählen über Tudor-Zeitgeist, Tagesgeschehen, Religionspraktiken, Weltbezügen und Unterhaltungsbräuchen unter Elisabeth I. seine Faszination entfaltet.

Demnächst erobert Hamlet die Cottbuser Theaterbühne. Machtgelüste, Krieg, Tod präsentieren sich neben Freundschaft und Liebe. Sieht alles nicht danach aus, als wollten wir den Sohn eines Handschuhmachers, der vielleicht nie eine Schule absolvierte, aber dem wir heute die großartigsten Stücke des europäischen Literaturkanons zuschreiben, ohne Gegenwehr verabschieden. Was wir von ihm über uns wissen, wollen wir behalten. Und neu darüber nachdenken. No return.

Ellen Alpsten: Auf den Spuren von William Shakespeare. Sein Leben und seine Werke. Mit Fotografien von Helene Sandberg. Knesebeck Verlag. München, 2016. 144 Seiten mit 200 farbigen Abbildungen. 29,95 Euro

von Kathrin Krautheim

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