Und nachts kommen die Bilder – Mario Holetzeck inszeniert „Mamma Medea“

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Er hat uns Theaterbesuchern viele fantastische Bilder vor Augen gebracht, unerwartet, unberechenbar, überraschend, immer anders. Er hat den König Lear einer Frau übertragen, den Hamlet ins aufregende TV-Zeitalter versetzt und in der „Wolokolamsker Chaussee“ Geschichte in einen bunten, ebenso tragischen wie komischen Bilderbogen gefasst. Sein „Laden″ nach Strittmatter holte das Dorf mit seinem kräftigen Atem auf die Bühne, und mit „Wie im Himmel“ sorgte er dafür, dass sich die Theaterbesucher „wie im Himmel“  fühlten: Schauspieldirektor und Regisseur Mario Holetzeck. Nun geht er an einen antiken Stoff und holt ihn mit dessen belgischem Autor Tom Lanoye in die Gegenwart: „Mamma Medea“.

Das ist die Geschichte um das Goldene Vlies. Jason aus dem griechischen Korinth ist mit einer Abenteuerschar aufgebrochen, dieses in der asiatischen Kolchis am Fuße des Kaukasus vom dortigen König zu erobern. Dessen Tochter Medea verliebt sich in Jason und hilft ihm, sein Vorhaben umzusetzen. Sie opfert dabei alles, wird zur Mörderin an Vater und Bruder. Mit ihr nach Korinth  zurückgekehrt, heiratet Jason sie, Medea wird Mutter. Dennoch ist es ihr Schicksal, immer eine Fremde zu bleiben. Sie wird geächtet, verfemt. Jason wird ihr untreu – Rosenkrieg.

Lisa Schützenberger und Gunnar Golkowski in „Mamma Medea“. © Marlies Kross

Was für ein Stoff für einen Mann wie Holetzeck, der von sich sagt: „Und in der Nacht kommen die Bilder.“ (Schon der Knabe Holetzeck hat mit Vorliebe Fantasiegeschichten geschrieben und sich manche fade Unterrichtsstunde damit aufgelockert.) Wenn er heute einen Text liest, entsteht in ihm ein Film. Was die Figuren artikulieren, setzt sich in Szenen um. „Ich habe ein so tolles Ensemble, das nimmt meine Bilder auf, meinen Film und hat dann so viele Ideen, ihn weiterzudrehen, dass es eine Lust ist, die Geschichte zu entwickeln.“ Er redet sich heiß, als wäre das Gespräch über das Stück das Stück selbst. Interesse und Liebe zu den Menschen sind für ihn das A und das O. Das meint er durchaus in dreierlei Hinsicht: zu den Menschen im Drama, zu denen, die dieses für die Aufführung vorbereiten, und zu denen, die dann im Zuschauerraum sitzen und auf eine spannende Handlung und Neuigkeiten, Sichtweisen, Einsichten warten. Da brauche jedes Stück seine eigene Ästhetik: Hamlet eine andere als Bunbury, der Schimmelreiter eine andere als Pippi Langstrumpf. Die sagen, Holetzeck sei immer gleich, haben nichts von ihm gesehen oder es nicht verstanden. „Meine mehr als acht Jahre in Cottbus waren eine besondere Zeit wertvoller Erfahrungen.“

Mario Holetzeck kommt auf die aktuelle Aufgabe zurück: „Der Medea-Stoff ist so archaisch, wie er modern ist. Wer mit ihm konfrontiert ist, sieht sich Fragen gegenüber: ,Gibt es den richtigen Glauben, und welcher soll das sein? Was geschieht, wenn Liebe zu Hass wird, was, wenn das auch noch in einem fremden Land geschieht?‘ “ Zwei Welten prallen in den Formen der Liebe aufeinander. Aber im Geschlechterkrieg kann keiner gewinnen. Bilder über Bilder, Fragen über Fragen. Stoff für einen aufsehenerregenden Theaterabend.

Es ist eine Schauspiel-Turbowoche, kommt es doch gleich eine Woche später in der Kammerbühne zu zwei weiteren Premieren. „Verbrennungen“ von dem frankokanadischen Autor Wajdi Mouawad erzählt in der Regie von Catharina Fillers eine Geschichte aus dem libanesischen Krieg. Schauspieldirektor Mario Holetzeck: „Gewalt, Hass, Krieg, Genozid, Blut – vor dieser Kulisse suchen Zwillingsgeschwister nach Vater und Bruder und machen bei dieser Erkundung nach eigener Identität eine schaurige Entdeckung.“

Katka Schroth inszeniert „Wintersonnenwende“ von Roland Schimmelpfennig. Das ist eine Familiengeschichte, in die ein Fremder einbricht und Ereignisse aus der Vergangenheit dramatisch aufwirbelt. Holetzeck: „Ein toll geschriebenes Stück mit interessanten Figuren. Alles wirkt wie in einem Spiegellabyrinth, verzerrt bis zur Eindeutigkeit.“

„Glauben! Lieben! Hoffen!“ Diesem Spielzeitmotto des Schauspiels folgen alle drei Stücke.

Klaus Wilke
Titelfoto: Mario Holetzeck © Marlies Kross

Die Premieren
Mamma Medea, 21. Januar, Großes Haus
Verbrennungen, 27. Januar, Kammerbühne
Wintersonnenwende, 28. Januar, Kammerbühne

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