Im Gespräch mit Oscar-Gewinner Urs Rechn

0

von Heiko Portale

Bei Urs Rechn hat man schnell das Gefühl, auf jede Frage eine Antwort zu bekommen. Da ist kein Gemache und Getue, schnell und direkt ist er bei der Sache und sagt, was er denkt. Dabei haben wir uns gerade erst kennengelernt. In seine WG in Berlin wollte er uns nicht lassen, da seien zu viele Menschen. Dafür treffen wir
uns in der Gartenlaube seiner Freundin in Berlin-Spandau. „Hier habe ich meine Ruhe und das ist auch mein Rückzugsraum“, sagt er. Auf der Couch im kleinen „Wohnzimmer“ liegt die „Bunte“. „Seite 95“, stellt er konsterniert fest. „Es ist unglaublich, wie die Medien in Deutschland den Gewinn des Oscar für ,Son of Saul‘ aufgenommen haben. Alles andere ist wichtiger.“ Während er zum Beispiel auf seinem Rückflug von der Oscarverleihung in Los Angeles bei seiner Ankunft in Paris angesprochen und um ein Autogramm gebeten
wurde, hielt es der Sender Pro Sieben nicht für nötig, bei der Liveübertragung das Interview mit ihm und Annemarie Carpendale vom roten Teppich zu senden, stattdessen wurde lang und breit über das Kleid von Heidi Klum debattiert.
„Son of Saul“ ist das Spielfilm-Debüt des ungarischen Filmemachers und Autors László Nemes über das NS-Vernichtungslager Auschwitz. Urs Rechn spielt darin eine der Hauptrollen, die des jüdischen Oberkapo Biedermann im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. „Obwohl die Geschichte fiktiv ist, können zentrale Teile der Handlung als historisch belegt gelten“, heißt es in einer Beschreibung zum Film.

SEIT 10. MÄRZ IST DER FILM „SON OF SAUL“ AUCH IN DEUTSCHEN KINOS ZU SEHEN. ALLERDINGS NICHT IN COTTBUS. WARUM?
Urs Rechn: Die Cottbuser Kinos wollen den Film zeigen. Dass der Film derzeit nicht läuft hat etwas mit den Gebühren zu tun und auch damit, wohin Sony den Film verleiht, wie viele Kopien die rausgeben. Der Film ist analog aufgenommen und soll eigentlich auch so gezeigt werden. Allerdings sind die meisten Kinos dafür nicht mehr ausgelegt. Alle Filme laufen nur noch digital. Bei Sony läuft dazu aber gerade eine merkwürdige Politik. Normalerweise macht man ja spätestens eine Woche vor der Filmpremiere ein bisschen Werbung. Für „Son of Saul“ fand aber gar nichts statt. Zum Beispiel in ganz Berlin hing so gut wie kein Plakat. In den Gazetten gab
es nicht eine Vorschau. Es gab auch keine Premierenfeier für den Film.
WAS IST „SON OF SAUL“ FÜR EIN FILM?
Er zeigt, was der Mensch dem Menschen antun kann – und in welch perfider Form sie das tun – gerade auch durch die Figuren der Sonderkommando-Angehörigen. Die im Prinzip dazu verurteilt waren, die schlimmsten
Sachen ihren eigenen Leuten anzutun. Sie wären ansonsten selber getötet worden. Aber dennoch im Wissen, dass sie in ein paar Monaten wahrscheinlich selber ins Gas mussten. Ich spiele dabei den Chef eines
solchen Kommandos.
WIE BIST DU ZU DIESEM FILM GEKOMMEN?
Es gab eine Anfrage an meine damalige Agentur, die auch an mich herangetragen wurde. Allerdings mit dem Hinweis, das abzulehnen, da es sich um ein Erstlingswerk handele und auch ein ungarischer Film sei. Es gebe auch kein Geld und „Lass das!“ und so weiter. Ich würde da eh bloß wieder einen Nazi spielen. Aber selbst wenn, hätte ich da mitgemacht. Das Drehbuch war toll. Die Geschichte war klar umrissen. Aber die Form, wie sie erzählt wurde, war sehr eindrücklich. Der Regisseur hatte ein Video von mir im Netz gefunden und wollte unbedingt, dass ich zum Casting komme. Er hatte allein für diese Rolle knapp 60 Leute gecastet. Seine
Maßgabe war, dass der Schauspieler vom Theater kommen und schon eine Menge Erfahrung haben musste. Ich brachte das mit: 17 Jahre an Theatern und ein paar Fernseh-Drehs. Beim Casting dann wusste ich nicht, was er eigentlich von mir wollte und versuchte mir irgendwas aus den Fingern zu saugen. Das alles
hatte mit dem Film gar nichts zu tun, er wollte nur sehen, wie ich reagiere. Mein Spiel hat ihn aber wohl überzeugt. Eine Woche später bekam ich das Drehbuch geschickt. Allerdings wusste ich auch, dass die kein bis wenig Geld für ihren Film hatten. Bis zur Postproduktion hatten die 900.000 Euro zusammen. Das ist nix!

Kein Geld für den Film bedeutete auch für Urs Rechn, dass es nur eine kleine Gage gab. Derzeit hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Als er in Amerika zur Oscarverleihung weilte, das Geld für die Reise hatten ihm Freunde spendiert, hatte er Kontakt mit dem einen und anderen Vermittlungsbüro. „Vielleicht läuft da ja demnächst etwas“, hält er sich bedeckt. In Deutschland dagegen muss er sich bei seinem zuständigen Jobcenter anhören, ob er nicht umschulen möchte.
Das Gespräch führte Heiko Portale
Foto: TSPV

Post von Ronny Gersch (Ex-Stadionsprecher des FCE)
auf Facebook (29. Februar):
„Erst vor ein paar Wochen sagen sie ihm auf dem
Arbeitsamt, er müsse umschulen und man könne ihm
nicht sein Hobby finanzieren. Letzte Nacht gewinnt
er mit seinem Team von Saul fia den Oscar als bester
ausländischer Film. Zwei Dinge sagt mir das. Zum
einen kann diese Gesellschaft mit ihren Systemen, die
den Menschen nur als Rohstoff sieht, für Hochbegabte
viel zu wenig tun. Zum anderen: Es lohnt sich, an jeden
Menschen zu glauben. Immer. Ausnahmslos. Herzlichen
Glückwunsch, Urs Rechn!“

Ein entspannter Oscargewinner:
Urs Rechn
Foto: TSPV
seite 6 d-teile hermann · ausgabe 04/2016

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Teilen.

Hinterlasse eine Antwort