Dr. Hans Rüdiger Lange: „Wir waren sofort da. Klein, flexibel und in der Lage zu arbeiten.“

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Das große hermann-Interview mit Dr. Hans Rüdiger Lange von der  Innovationsregion Lausitz GmbH

Als eine Reaktion auf die klimapolitischen Beschlüsse der Bundesregierung zur Abschaltung von zwei 500MW-Blöcken am Kraftwerksstandort Jänschwalde (2018/2019) sei die Innovationsregion Lausitz GmbH (iRL) zu betrachten, teilt diese auf ihrer Internetseite mit. Die iRL ist eine Gründung der regionalen Wirtschaft und der BTU Cottbus-Senftenberg. „Das iRL-Team entwickelt Ideen und Strategien, wie die Lausitz auf den Strukturwandel reagieren kann“, heißt es weiter.  Dr. Hans Rüdiger Lange ist Geschäftsführer der Innovationsregion Lausitz GmbH. Hermann traf sich mit ihm und sprach über Strukturwandel, Strategien zu dessen Bewältigung und Vorhaben seines Unternehmens.

Herr Dr. Lange, wie sind Sie zur Innovationsregion Lausitz gekommen, warum ist sie gegründet worden?

Ich bin Anfang Februar 2016 gefragt worden, ob ich mir es vorstellen könnte, für die am 18. Januar 2016 gegründete Firma „Innovationsregion Lausitz GmbH“ als Geschäftsführer zu arbeiten. Es gäbe da eine Initiative aus der Unternehmerschaft der Region, sich den Veränderungen in der Region zu stellen, hieß es bei der Anfrage. Da ich schon vorher viel mit diesen Dingen zu tun hatte, zum Beispiel bei Vattenfall als Leiter Energiewirtschaft oder in Projekten mit der BTU, wo es darum ging, junge Leute an Unternehmertum heranzuführen, ist man da anscheinend auf mich gekommen. Die Innovationsregion Lausitz ist eine Reaktion der Unternehmerschaft auf die Entscheidung der Bundesregierung, zwei Blöcke in Jänschwalde abzuschalten. 2015 gab es große Demonstrationen mit mehr als 30.000 Leuten und eine große Mobilisierung in der Lausitz, nicht an die Kraftwerke zu gehen. Dennoch gab es dann im Oktober 2015 die Entscheidung, zwei Kraftwerksblöcke 2018/19 abzuschalten. Innerhalb von drei Monaten haben die Vertreter der Unternehmen gesagt: „Jetzt müssen wir an Zukunftsthemen arbeiten! Und wir warten nicht, bis das irgendjemand tut. Wir gehen vorneweg.“ Für mich zeigt dieses Verhalten eine absolute Stärke der Lausitz: Die Umstände sachlich zu betrachten, sich zu sagen, jetzt müssen wir etwas tun, und sich zu fragen, wer kann was tun. Danach haben sich die Gründer gefragt, wer kann was zu dem gemeinsamen Vorhaben beitragen? So wurden für zunächst für den Zeitraum 2016 – 2018 für drei zusätzliche Mitarbeiter Stellen geschaffen, damit die Innovationsregion Lausitz starten und den Unternehmen helfen konnte, sich dem Wandel zu stellen und an Zukunftsthemen zu arbeiten.

Und wer sind die Gründer?

Die iRL steht für Hilfe der Unternehmen durch Unternehmen. Gründer waren fünf Verbände und Initiativen aus der Unternehmer- und Wissenschaft: die Industrie- und Handelskammer Cottbus, die Handwerkskammer Cottbus, die Wirtschaftsinitiative Lausitz e.V. (WiL), die Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg sowie die BTU Cottbus-Senftenberg. Die Gründung der iRL ist auch in enger Abstimmung mit den beiden Länder Brandenburg und Sachsen auf den Weg gebracht worden. In der Gesellschafterversammlung ist deshalb auch jeweils ein Vertreter der Länder mit dabei. Über die erweiterte Gesellschafterversammlung und den Beirat erreichen wir auch die enge Einbindung eines breiten Spektrums von Lausitzer Akteuren in die Arbeit der iRL. Neben der Energieregion (heute Wirtschaftsregion Lausitz) ist weiterhin je ein Vertreter vom Wachstumskern Spremberg und Westlausitz mit dabei. Vorsitzende des Beirats ist Christine Herntier, (Bürgermeistern von Spremberg und Mitglied der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, siehe hermann-Interview Dezember 2018, Anm. d. Autors). Der Beirat spiegelt die verschiedenen Interessen und durchaus kontroversen Standpunkte der Region wider. So arbeiten hier Vertreter des Windenergieverbandes, des Vereins Pro Lausitzer Braunkohle, der Gewerkschaften, der Arbeitnehmerverbände und der Kirche im Beirat zusammen – zwölf Leute, die unterschiedliche Blickwinkel beisteuern.

Es gibt derzeit viele Akteure, die im Strukturwandel Akzente setzen. Welche Ziele hat die iRL?

Zunächst einmal finde ich es gut, dass die Lausitz in dieser Situation initiativstark ist, dass es viele Akteure gibt, die mit anpacken und ihren Beitrag für eine positive Veränderung leisten wollen. Zum Beispiel passiert derzeit ganz viel an der BTU Cottbus-Senftenberg. Sie ist für die Lausitz sehr wichtig für die Entwicklung neuer Technologien, der Anwerbung und Ausbildung junger Leute, der Gründung technologienaher Start-Ups. Die beiden Landesregierungen sind natürlich zwei zentrale Akteure, auch wenn diese bei einem Engagement für die Lausitz immer die Gleichbehandlung aller Landesteile mit im Blick haben müssen. Ein Strukturnachteil der Lausitz ist natürlich auch die Tatsache, zwei Landesregierungen statt einer wie im Rheinland zu haben – dadurch entsteht ein erheblicher Abstimmungsaufwand. Dessen ungeachtet bekommen wir viel Unterstützung von beiden Regierungen.  Auch die Wirtschaftsregion Lausitz ist ein wichtiger Partner im Strukturwandel. Auch sie ist eine Innovationsleistung der Lausitz: über eine Experimentierklausel wurde erst die Möglichkeit geschaffen, Landkreise beiderseits einer Landesgrenze für eine Gemeinschaftsaufgabe zusammen zu fassen und dann zu finanzieren. Einmalig in Deutschland! Das heißt: Die Lausitz hat schon viel erreicht und geht innovative Wege! Das sollte man auch allen Lausitzern mal sagen: Wir Lausitzer sind echt pfiffig und schnell! Nur drei Monate nach der Entscheidung, die Kraftwerke abzuschalten, hat die Unternehmerschaft die iRL auf die Straße gebracht. Etwas länger hat es gedauert, die Wirtschaftsregion Lausitz administrativ aufzubauen, aber auch sie startet jetzt durch. Was sind die Ziele der iRL? Um Überlappungen mit den Aktivitäten anderer Akteure zu vermeiden, konzentriert sich die iRL auf die Arbeit mit den Unternehmen: was können die Wirtschaftsbetriebe eigentlich als Beitrag für den Strukturwandel leisten, was brauchen sie dafür und was können wir an Vorschlägen machen, um die Rahmenbedingungen und die Zusammenarbeit untereinander zu verbessern? Wir haben den Fokus auf der Wirtschaft, was kann sie tun, um den Strukturwandel zu befördern. Unser Ziel ist, dass es möglichst viele der betroffenen Betriebe schaffen, in neue Geschäftsfelder vorzudringen.  Kompetenzen und Organisationsstrukturen in denen die Lausitz heute gut ist, sollen weiterentwickelt und nach Möglichkeit auch in der Zeit nach der Kohle Arbeit und Wohlstand für die Lausitz bieten.

Wie schätzen Sie denn die Betriebe ein, die hier in der Region wirken?

Wir haben im Vergleich zu anderen Teilen Deutschlands viele junge und noch kleine Betriebe – einen Großteil gibt es erst seit der Wende. Die sind also erst 25 oder 30 Jahre alt – für ein Unternehmen noch kein Alter. In ihrem Hauptprodukt sind sie in der Regel hervorragend, haben aber bisher einfach noch nicht so viel Erfahrung in der Produktentwicklung und Erschließung neuer Märkte. Deshalb muss es Ziel in der Lausitz sein, genau diese Fähigkeit der Menschen und Betriebe mit Nachdruck zu entwickeln. Ganz konkret: wir brauchen bis 2030/35 fünf starke Mittelständler, die zwischen 500 und 1.000 Mitarbeiter haben, selbst Produkte entwickeln und Märkte strategisch erschließen können. Ob da ein Teil aus der Braunkohle- und Energiegewinnung kommt oder von ganz woanders, spielt keine Rolle. Um dieses Fernziel zu erreichen, muss man mehr junge Leute – nein, Menschen allen Alters – stärken, damit sie unternehmerisch tätig werden, sich untereinander vernetzen. Für kleine Unternehmen ist hierbei Kooperationen mit anderen Partner unabdingbar – dadurch können sie erst die Risiken der Geschäftsentwicklung eingehen und sich die Kosten mit anderen Unternehmen teilen.

Wie arbeitet die Industrieregion Lausitz?

Wir haben drei Aufgabenfelder. Erstens, eine Strategie dafür zu formulieren, was vordringlich zu tun ist. Das haben wir 2016 und 2017 mit Unternehmern, Gesellschaftern und Beirat gemacht und mit dem „Lausitzpapier“ in der Lausitzer Rundschau veröffentlicht. Auf den Punkt gebracht: Wir brauchen eine Modernisierungsstrategie für die Region. Unser zweites Aufgabenfeld besteht darin, die betroffenen Betriebe direkt zu unterstützen. Wir hatten eine Liste von Betrieben, hauptsächlich Mittelständler, die vom Kohleausstieg betroffen sind. Gemeinsam mit der BTU haben wir diese Firmen systematisch interviewt und sie gefragt: Wie ist die Situation der Betriebe, welchen Handlungsbedarf sehen die Unternehmer? Als Antwort darauf haben wir ein Workshop-Angebot entwickelt. Strategisch ausgerichtet mit Fragen wie: Inwiefern ist dein Betrieb betroffen, wie verändert sich das Umfeld, was sind deine Handlungsmöglichkeiten. Zur Produktentwicklung: Ich habe bestimmte Fähigkeiten in meiner Firma und will dafür neue Produkte entwickeln, wie komme ich auf neue Produktideen? Für die Optimierung meines Geschäftsmodells: Wie arbeite ich mit meinen Zulieferern und Abnehmern zusammen, und wie kann ich dieses Geschäftsmodell verändern, um meine Situation zu verbessern? Schließlich bieten wir sogenannte Sprints an, eine Art Trainingslager, bei dem wir in fünf Tagen alle Schritte durchgehen, um ein Konzept für ein Produkt und seine Entwicklung auf den Weg zu bringen. Das dritte Aufgabenfeld beschäftigt sich mit Innovationsprojekten. Wir haben inzwischen über 110 Projekte identifiziert. Wir erarbeiten dafür Steckbriefe und für die Projekte holen wir Partner zusammen, für Schwerpunkte entwickeln wir aus mehreren Projekten strategische Initiativen mittels eines Konsortiums von Unternehmen.

Welche Ergebnisse gibt es jetzt nach etwa drei Jahren Arbeit?

Wir haben schon eine Menge geschafft und das auch noch schnell. Wir, also die iRL, drei Mitarbeiter und meine Person, haben über 110 Innovationsprojekte identifiziert und fünf strategische Initiativen entwickelt, die in fünf Jahren Horizont mehr Arbeit, etwas mehr Export bringen könnten. Die iRL vermitteln dabei Methoden, vernetzt und holt Experten mit an den Tisch. Letztlich arbeiten dann an den Projekten zwischen fünf und 15 Personen. Solche Teams haben bis jetzt etwa 50/60 Workshops mitgemacht, bei denen jedes Mal an Zukunftsthemen für Betriebe aus der Lausitz gearbeitet wurde. Die iRL selbst baut dabei kein Produkt, schweißt nicht, programmiert nicht. Das ist und bleibt Aufgabe der Unternehmen. Was die iRL bewirkt, ist, dass sich die Betriebe über ihr Alltagsgeschäft hinaus mit neuen Produkten befassen. So etwas braucht Zeit. Aber erste Ergebnisse werden sichtbar. Eine der Gewinnerinnen beim Existenzgründerwettbewerb LEX, Christina Grätz, hat sich  mit ihrer Firma „Nagola Re“, der Rekultivierung von Halden verschrieben. Sie hat die Technologie dafür entwickelt, den typischen heimischen Mix von Saatgut aus über 180 Pflanzen zu züchten, um die regionale Flora wieder Fuß fassen zu lassen.  Wir haben uns mit ihr und ihren Mitstreitern 2016 hingesetzt und herausgearbeitet, wie aus dieser Fähigkeit sich neue Geschäftsideen entwickeln lassen. Nach fünf Tagen Workshop hatten wir ein, zwei Ideen, wie sie mit ihrer Technologie zusätzlich Geld verdienen und Arbeit schaffen kann. Zusammen haben wir mit Nagola Re herausgearbeitet, wie sie mit den Inhaltsstoffen ihrer Pflanzen auf den gegenwärtig gut fahrenden Zug der Bioprodukte aufspringen und ihre Wildkräuter vermarkten kann. Danach hat Christina Grätz mit ihren Partnerinnen neue Produkte, die Marke Lusiza und eine Internetplattform entwickelt, auf der ihre zusätzlichen Produkte seit Mitte 2017 verkauft werden. Dadurch ist ein zweites Geschäftsfeld neben der Haldenrekultivierung entstanden, dass ganz andere Kundengruppen und Märkte bedient. So sieht Strukturwandel im Kleinen aus. Der derzeitige Renner bei Lusiza sind Kräutersalze – meine Empfehlung übrigens der Geschmack Wilde Möhre.

Gibt es ein konkretes Vorhaben, über das Sie noch berichten möchten?

Wir haben in unserer Region die weltbesten und höchsteffizienten Tagebaue. Darin sind wir Weltmarktführer. Wir sind eine Region von Technologen. Das Wissen, wie ich einen so gigantischen Industrieprozess wie einen Tagebau effizient und sicher mache, das kann man verkaufen. Das Dienstleistungsprodukt dazu entwickeln gerade Unternehmen zusammen mit der iRL. Im vergangenen Jahr haben wir gemeinsam mit 13 Unternehmen und 266 Mitarbeitern eine Ko-Innovationsplattform gegründet, auf der verschiedene Hochschulen und Unternehmen die in der Lausitz vorhandenen Fähigkeiten der Industrieautomatisierung weiterentwickeln. Dafür wurden wir im Jahr 2018 schon vom Forschungsministerium im Rahmen des Programms Wandel  durch Innovationen in der Region (WIR! Programm) mit über 150.000 Euro unterstützt. Unsere Planung geht aber weiter, denn für die nächsten fünf Jahre haben wir Vorhaben entwickelt, bei denen wir diese Produktentwicklung intensivieren und mit mehr als vier Millionen Euro von den Unternehmen und noch einmal zehn Millionen vom Bund auf eine technologisch neue Stufe bringen wollen. Zusammen mit den Betrieben und der iRL ist die Lausitz hier in Vorleistung gegangen. Gemeinsam mit den Betrieben der Region kämpfen wir aber darum, dass die zusätzlichen Forschungsgelder für dieses Vorhaben auch in die Region kommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Heiko Portale
Titelbild: Dr. Hans Rüdiger Lange: „Strukturwandel gibt es, seit die Menschheit unterwegs ist.“ Foto: TSPV

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