Der Laden, nicht von Strittmatter

0

Stephanie Auras, eine Rückkehrerin, sorgt dafür, dass auch andere heeme sein können

In der Kleinen Ringstraße 25 in Finsterwalde, wo einst ein gutgehendes Polstergeschäft zu Hause war, ist heute eine Stätte etabliert, wie es selten eine gibt. Hier arbeitet jetzt eine Willkommensagentur, die „Comeback Elbe-Elster“ heißt. Ein „Heimatladen“ bietet Dinge zum Kauf an, die garantiert in der Elbe-Elster-Region hergestellt worden sind. Und wer einen Platz zum Arbeiten, zum Lernen, zum Selbststudium oder ähnlich Nützlichem sucht, in der Ringstraße kann er ihn finden. Wahrlich, ein Laden, der ähnliche Aufmerksamkeit wie der von Strittmatter verdient. Wenn nicht noch mehr.
Die Geschichte begann vor sieben Jahren und hat Wurzeln, die etwa bis zur Jahrtausendwende reichen. Da machte Stephanie Auras ihr Abitur. In Finsterwalde geboren, hier in guter Familie aufgewachsen, hat sie eine Kindheit und Jugend verlebt, an die sie gern heute noch zurückdenkt. Heimatverbunden und Familienmensch, stand ihr Lebenskompass durchaus auf   Hierbleiben. Reisen ja, denn wer viel reist, lernt viel kennen, aber auch zugleich die Heimat schätzen. So denkend, ließ sich Stephanie zur Reiseverkehrskauffrau ausbilden. Traurig machte sie bald, dass nur ganz wenige ihrer Altersgefährtinnen, Schulfreundinnen und  Mitschülerinnen in Finsterwalde geblieben waren. Sie fällte da keinen Schuldspruch, die jungen Leute gehen eben weg, die Region bot keine Perspektive.
Das motivierte sie selbst, „in die Welt zu gehen“.  Eine weitere Ausbildung in der Schule eines großen Tourismuskonzerns und anschließende Tätigkeiten bei Reiseveranstaltern in Berlin und Leipzig weckten den Ferngeist in ihr. Als ihr da auch noch ein Zeitungsartikel in die Hand fiel, in dem Praktika in New York ausgeschrieben waren, hatte sie Udo Jürgens in den Ohren: „Ich war noch niemals in New York“. Sie auch nicht, aber das konnte sich ja ändern. Es gab 2000 Bewerber und Stephanie Auras, welch ein Glück, war schließlich  eine von 22, die ausgewählt wurden.
New York also. Ein Traum. Babylonisches Sprachengewirr. Menschen aller Hautfarben im Straßengewusel. Sehenswürdigkeiten – die Freiheitsstatue, das Empire State Building, die Brooklyn Bridge, der Central Park. Stephanie war glücklich.  Es gibt ein Plakat, das sie anfertigte und das ihre Pläne und Vorhaben zeigt: Auslandserfahrungen, Menschen in die Welt schicken, ein toller Job – zu Hause!, Kinder, Heirat, Familie. Die Auslandserfahrungen ließen sich, obwohl möglich, nicht verlängern. Da stand die Liebe davor. Als ihr Freund sie vom Flughafen abholte, ging es auch nicht nach Berlin oder Leipzig, sondern nach… Finsterwalde. Das war 2009.
Die junge Frau, die Touristikerin, war wieder heeme.  Und damit auf Jobsuche. 145 Mal hörte sie: „Touristikerin? Die Leute gehen doch auch so weg.“ Oder: „Sie sind wohl woanders nichts geworden?“ Oder: „Bei uns sind alle Stellen besetzt.“ Oder: „Denken Sie, jemand will hier Urlaub machen?“ Stephanie ließ nicht locker, sie baute auf ihre Ausbildung, auf ihr Wissen, auf ihr Selbstbewusstsein und dachte dabei auch an andere. Das merkten die Vorstandsmitglieder des Vereins G3 (Generationen gehen gemeinsam). Deren Klientel waren zwar nicht die Rückkehrer, sondern Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende und Personen über 50, aber sie waren wohl von Auftreten, Engagement, Durchsetzungsvermögen der Bewerberin ?.  Es muss doch etwas zu tun möglich sein, überlegte sie, dass einer, der in die Region zurückkehrt, den Fuß in irgend eine Tür bekommt!

g3-netzwerk-comeback-elbe-elster

Mitglieder des Netzwerkes © Stefanie Galle

Sie ergriff die Initiative und gründete eine Initiative. So entstand 2012 „Comeback Elbe-Elster“.  Eine immense Arbeit kam auf sie zu. Sie wollte Rückkehrer, Rückkehrwillige, Zuzügler, Pendler und Jobwechsler beraten. Aber um beraten zu können, muss man selbst Rat haben. Sie holte ihn sich in unermüdlicher Kleinarbeit, in Unternehmen, bei Behörden und vielen anderen Einrichtungen. Sie richtete eine Facebook-Plattform ein, mit der „Comeback“ weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde. „Die ersten Ratsuchenden empfing ich in meinem Wohnzimmer. Dort machte ich  Hoffnungen und zerstörte Illusionen, empfahl Geduld und Zielstrebigkeit, wies Wege, gab Tipps und Anregungen, half Verbindungen zu knüpfen.“ Aber sie war Einzelkämpferin und inzwischen auch zur jungen Mutter geworden. Zwar holte der Verein G3 die Initiative unter sein Dach, aber für die Rückkehrer war Stephanie Auras allein verantwortlich.
Klagen ist aber ihre Art nicht. Fragen statt Klagen, könnte man nennen, was sie nun betrieb. Immerhin hatte sie Erfolge zu verzeichnen, Menschen zum Neustart in der Elbe-Elster-Region verholfen. Waren das nicht die geeigneten Mitstreiter? Sie gewann viele von ihnen für ein Netzwerk. Ihre Erfahrungen, ihre Kenntnisse der Region und ihre Kontakte zu Wirtschaft, Politik und Kultur vertieften die Arbeit und erhöhten die Wirkung. Wie sie das nur alles geschafft hat?! Stephanie Auras weiß, wie andere im Land die Probleme angehen, die sie bewegen. Oft war sie dazu bei anderen vor Ort, schaute, was davon in Finsterwalde  vernünftig zu machen wäre. Die Idee zu dem Laden kam ihr bei einem Besuch in der Uckermark, wo auch eine Willkommensagentur arbeitet. Anschubfinanzierungen durch das Land Brandenburg und die Sparkasse ermöglichten, einen Laden zu eröffnen, der in dreierlei Hinsicht einlädt.
Stephanie Auras: „In der Willkommensagentur kann sich jede(r) aus unserer Klientel während der Öffnungszeit – und nach Vereinbarung auch außerhalb – Rat holen, in allen Dingen vom ersten Umzugsgedanken bis zum konkreten Start. 30 Netzwerkmitglieder stehen mit ihren Erfahrungen zur Verfügung. In einem zweiten Bereich – ,Mein Heimatladen‘ – können junge Existenzgründer, Kleingewerbetreibende und Hobbykünstler ihre Erzeugnisse anbieten. Dann gibt es noch ,Mein Arbeitszimmer‘ (Coworking Space), ein Gemeinschaftsbüro, in dem Interessierte ihre vielleicht ersten Schritte in einem neuen Job tun können.“ Erste Nutzerin dieser Gelegenheit ist Maria Goldberg, Architektin und Lichtplanerin, die vor drei Jahren aus Hamburg zurückgekommen war, sich selbstständig gemacht hatte und nicht mehr von zu Hause aus arbeiten wollte.
Auf der Internetseite www.comeback.de feiert Netzwerker Alexander Piske seine Mitstreiter als „die geilste Rückkehrertruppe der Welt“. Jenny Petermann, die als Physiotherapeutin  in einer erfolgreichen Reha-Klinik in Cottbus arbeitet und berufsbegleitend ein Studium betreibt, wünscht sich für Finsterwalde eine ähnliche Einrichtung. Sie möchte da mittun, helfen, die Region zu entwickeln. Außerdem freut sie sich über jeden, der zurückkommt.  Die Rückkehrer kommen oder wollen dies von weit her, zum Beispiel aus Stuttgart, Hessen, Thüringen und Dresden, und von ganz weit her, aus der Schweiz, Norwegen, den Philippinen.
Und dies ist einer der nächsten Pläne der Stephanie Auras: die Kräfte mit Menschen in anderen Städten und Landkreisen vereinen, die sich der Rückkehrer annehmen. Irgendwann verwirklicht sie dann vielleicht auch diesen Traum: „Ich will noch mal nach New York.“

Klaus Wilke

Teilen.

Hinterlasse eine Antwort