Am Boden des Glühweinbechers

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Liebe Leser, bevor wir wieder in von Glühwein und gebrannten Mandeln geschwängerten Dunstwolken der besinnlichen Zeit versinken, und die Zurechnungsfähigkeit mit jedem Becher Glühwein immer mehr zu einem Relikt längst vergessener Sommermonate wird, sollten wir, gerade jetzt, einen Blick zurückwerfen. Schließlich neigt sich das Jahr dem Ende zu, traditionell schießen damit auch wieder die Jahresrückblicke wie Pilze aus dem morastigen Boden, auf dem solche boulevardesken Formate eben am besten gedeihen. Lassen Sie uns deswegen doch an dieser Stelle mal einen netter verpackten Weg gehen! Die Geschichte beginnt, wie so vieles zu dieser Jahreszeit, mit einem Wunsch: Manchmal wünsche ich mir, mit grenzenloser Ignoranz gesegnet worden zu sein.

Man stelle sich nur mal vor, wie sorgenfrei das Leben wäre, würde man den immer weiter um sich greifenden Wahnsinn einfach nicht mitbekommen. Brexit? Auf gar keinen Fall, ich ernähre mich seit kurzem streng vegan! Donald Trump? Ist das nicht dieser liebenswerte Mann aus dem Film „Kevin allein in New York“? Und seit wann grüßt man sich denn wieder in beruhigender Regelmäßigkeit mit ausgestrecktem rechten Arm? Noch in vielen Jahren würde ich mich auf die Tournee zum neuen Prince-Album freuen und mich fragen, wen Carlo Pedersoli wohl gerade wieder vermöbelt. Ich könnte auf neue Bücher von Umberto Eco und Harper Lee warten, ohne zu wissen, dass beide interessanterweise am gleichen Tag verstorben sind. Ich würde mich vielleicht wundern, warum Österreich im Dezember schon wieder einen Bundespräsidenten wählt, aber eigentlich wäre mir das dann doch völlig egal. Schließlich steht der nächste Urlaub in der Türkei an, was für ein wunderbares Urlaubsland auf dem Weg zu Wohlstand und Demokratie. Ja, alles, was ich in diesen Tagen zu tun hätte, wären das festliche Schmücken des Weihnachtsbaumes und das sonntägliche Anzünden der Kerzen, während um mich herum brennende Flüchtlingsheime Wärme spenden. Aber auch das wäre mir so was von scheißegal. Warum ist der Glühweinbecher eigentlich schon wieder halb leer?

Und während sich der überteuerte Plunder unter unserem Weihnachtsbaum mit dem Mercedes-Stern auf der Spitze stapelt, tauschen wir Nächstenliebe gegen Weihnachtsgans ein. Können wir den Monat nicht einfach an dieser Stelle beenden? Ich frage für mein Konto. Weihnachten ist vor allem die Zeit, in der die Scheinheiligkeit Hochkonjunktur hat. Zumindest bis zum Jahreswechsel, schließlich sind die guten Vorsätze garantiert ernst gemeint. Und so beginnt dann alles wieder von Neuem. Eines Tages aber werden wir auf das Jahr 2016 zurückblicken und sagen: Was zur Hölle war das? Und dann werde ich dastehen und sagen: Keine Ahnung, ist mir aber auch scheißegal.

Sebastian Schiller

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