Pfarrer Stephan Magirius im Interview – „Weihnachten. Eine richtig schöne Anti-Geschichte“

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„Weihnacht“ – allein das Wort löst in den Menschen unterschiedliche Assoziationen aus: Mann in Rot, Kauf(rausch)en, Familie, Essen (viel) inklusive Backen, Kochen, Braten, Fernsehen (viel), Märchen, Drei Haselnüsse für Aschenbrödel und vieles mehr. Weihnachten ist aber auch Besinnung, Rückzug und hat etwas mit drei weisen Männern tun. Wir sprachen darüber mit Pfarrer Stephan Magirius von der Klosterkirchengemeinde.

Was macht eigentlich ein evangelischer Pfarrer?
Der Pfarrer ist der Leiter der Gemeinde. Es gibt dafür auch ein anderes Wort aus dem Lateinischen: Pastor. Das ist der Hirte der Gemeinde – auch der Schäfchen (lacht). Allerdings kann man in dem, mittelalterlichen, Bild nicht mehr leben, in dem einer für andere da ist. Heute ist das ein großer Geschäftsbereich – mit Kindergärten, Schulen, mit diakonischen Aufgaben, mit der Verwaltung von Gebäuden usw. Der andere, noch größere Bereich ist die Seelsorge der Gemeindemitglieder und die Weitergabe des Evangeliums, also der Botschaft von Jesus Christus, in unterschiedlichen Gruppen der Gemeinde..

Das Jahresende nähert sich mit schnellen Schritten. Man kann leicht das Gefühl bekommen, die Weihnachtszeit beginnt immer früher: Weihnachtsmärkte öffnen Ende November,  Weihnachtsgebäck gibt es ab September zu kaufen. Wie kirchlich ist Weihnachten noch?
Dabei sind mehrere Ebenen zu betrachten. Die eine ist die Zeit. Wir bekommen viele Informationen – wir leben ganz nah an den Geschehnissen der Welt und erleben so eine Beschleunigung, die die Leute nervös und angespannt werden lässt. Keiner will zu spät kommen, will etwas verpassen. Die Kalender sind für viele Leute wahnsinnig voll. Egal, ob es in der Arbeit, beim Vergnügen, in der Freizeit ist. Es gibt keine Pausen, keine Ruhephasen mehr. Und das beschleunigt sich, gefühlt,  am Jahresende. Die andere Ebene ist unsere Marktwirtschaft, in der wir leben. Die wir lieben und vergöttern – und dadurch auch fördern. Und wenn die sagt, wir wollen gern unser Geschäft machen, dann muss das zeitig sein, schließlich liegt der Stollen schon seit September im Laden.

…wie finden Sie es, dass die ersten Weihnachtssterne schon im November in den Fenstern hängen?
Ich finde das gar nicht so schlecht. Der Weihnachtsstern ist ja in der biblischen Weihnachtstradition ein wichtiges Element. Da wird von den drei weisen Männern erzählt, die der Stern aus dem Fernen Osten zu dem Jesuskind führte, indem er ihnen den Weg zeigte. Außerdem ist so ein Weihnachtsstern ein schönes Bild für eine klare, schöne Nacht, für viele Wünsche, Romantik und vieles mehr.

Die Sache mit dem Stern passiert doch aber nur in einer Nacht?
Ja. Die kirchliche Tradition hat das nur auf die eine Nacht gelegt. Eigentlich auf die längste Nacht – Wintersonnenwende. In dieser Nacht kam das Licht, und deshalb finde ich es schön, zum Beispiel im eher schmuddeligen November einen solchen Stern zu sehen. Die Geschichte erzählt alles an einem Tag, das ist richtig.

Was ist denn die christliche Botschaft von Weihnachten?
Das Wichtige ist, dass die Geschichte nicht im Hotel Adlon oder in einem schönen Palast stattfindet, sondern im letzten Winkel in Sachsendorf, würde man heute sagen oder in einer abgelegenen Kate. Da kommt Gott zur Welt, da wird das Jesu-Kind geboren – arm ist es. Ob das die Kirche immer richtig verstanden hat und ob die Kirche das auch richtig so lebt, in der Gesellschaft und der Kirchengeschichte, das ist noch einmal eine ganz andere Frage. Aber die Botschaft erzählt uns, dass der Stern den Weg zeigt, und die ersten, die da hinkommen, sind armselige Gestalten, die Hirten von Bethlehem, die draußen vor dem Stall herumlungerten. Das ist die Botschaft für uns heute.

Welche Bedeutung hat denn Weihnachten aus Ihrer Sicht?
Das ist eine spannende Frage. Für unsere Zeit, unser Land und unsere Gesellschaft ist Weihnachten eine richtig schöne Anti-Geschichte. Die Leute, die arm dran und die außen vor sind, bekommen nämlich etwas geschenkt. Als Maria und Josef das Kind geboren wurde, hörte das auch Herodes, der Verwalter des Bezirkes: Ein neuer König sei geboren. Und er fürchtete um seine Macht und ließ alle Neugeborenen töten. Maria und Josef mit dem Jesuskind hatten Angst um ihr Leben und  flüchteten nach Ägypten. So waren sie Flüchtlinge und Jesus war ein Flüchtlingskind – eine weitere Brücke zum Heute. Es ist also eine Anti-Geschichte zu unserer heutigen Welt, einer Geschäftswelt, in der es um Macht und Geld geht, in der Präsidenten gewählt werden, die eigentlich Milliarden Steuern sparen, in der wir aber auch alle leben. Natürlich kann man aussteigen und ganz anders leben. Aber, man ist eben auch gefangen darin, weil man in Beziehungen lebt und für andere verantwortlich ist. Man könnte aber auch sagen: Weihnachten fordert mich heraus, einmal die Welt anders zu betrachten und mich zu fragen,wie geht es eigentlich den Leuten, die nicht mithalten wollen oder können. Ich bekomme öfters gesagt: „Mir hört keiner mehr zu!“ Weihnachten ist das anders. Wir Christenmenschen sagen: „Gott kommt zu den Leuten ganz unten hin und hört ihnen zu.“ Mir fällt dazu immer der Spruch ein: Viele Menschen wollten sein wie Götter, aber unser Gott wollte Mensch sein, also die Umkehrung. Leute wie Stalin oder Hitler, die Diktatoren, Herrscher der Welt wollten sein wie Gott, aber Gott, so stelle ich mir das gern vor, kam auf die Welt und zeigte, wie das Leben auch gehen kann. Heute sollte man sich in diesem Sinne auch fragen: Wie ist das denn nun mit der Gewaltfreiheit oder dem Hass? Dinge, die bei uns eine große Rolle spielen. Weihnachten ist Ankommen, die Erfüllung der Sehnsucht nach innerem Frieden, den wir alle eigentlich wollen.

Was wird Weihnachten gefeiert?
Christenmenschen feiern die Geburt Jesu. Jesus ist der, der die Botschaft vom Leben zu den Menschen brachte, er ist der Retter. Gott zeigte sich selber als Mensch in dieser Welt. Er ist nicht nur irgendwie da oben geblieben, sondern zeigte sich in Jesus Christus.

Die Weihnachtsgottesdienste sind sehr voll, was bei anderen Gottesdiensten im Jahr nicht der Fall ist. Wie erklären Sie sich das?
Weihnachten ist Ankommen. Endlich ist der Stress abgearbeitet, das Fest ist da. Dann fällt man in eine Leere und fragt sich, was machen wir denn dann? Ich glaube, deswegen sind die Kirchen so voll bei den Weihnachtsgottesdiensten. Die Leute sehnen sich nach diesem Moment der Ruhe, der Harmonie und des Friedens. Sie fühlen sich erfüllt. Da laufen auch ganz viel Tränen. Manche wissen gar nicht, warum sie so angerührt sind von ihrem Gefühl. Leider hält dieses Glücksgefühl nicht so sehr lange an.

Wollen Sie, will die Kirche etwas daran ändern, dass der Kommerz zur Weihnachtszeit überhand genommen hat?
Ich kenne viele Menschen und auch Kollegen, die daran arbeiten. Ich kann zwar Wasser predigen und Wein trinken, das würde aber schnell unglaubwürdig. Deshalb ist es das Beste, wenn ich bei mir selber anfange. Da gibt es viele Möglichkeiten, etwas zu verändern: Was kaufe ich wo ein, wie wird es hergestellt, womit heize ich, fahre ich Auto oder Straßenbahn. Man sollte die Beantwortung dieser Fragen nicht zum Standard erklären. Da gibt es kein „richtig“ oder „falsch“. Wir trinken in unserer Gemeinde zum Beispiel nur noch „fair“ gehandelten Kaffee. Da kommen öfter Leute und sagen: „Das ist aber teuer.“ Dann sage ich: „Na, dann müssen wir entweder zusammenlegen, oder wir müssen jetzt erst mal euren Kaffee trinken und dann darüber reden, wie es denn den Bauern auf den Plantagen so geht.“

Sie erwähnten vorhin auch „Hass“, das Gegenteil des Festes der Liebe und der Familie. Wie kann man dem beikommen, mit „Glück“ offensichtlich nicht?
Ich rede oft mit Menschen – in unserer Gemeinde gibt es auch viele Ältere, die zusammensitzen oder etwas gemeinsam unternehmen. In diesen Gesprächen geht es  um Dankbarkeit und Zufriedenheit. Sie sagen: Wir haben ein gutes Leben geführt. Uns geht es heute so gut wie noch nie. Man muss so etwas nicht jede Stunde sagen und darf auch mal unzufrieden sein, sonst gäbe es ja keine Entwicklung. Aber aus diesem tiefen Gefühl der Dankbarkeit und der Zufriedenheit heraus  kann man auch neue Lösungen finden, die den Hass überwinden.

Interview: Heiko Portale

Hintergrund
Stephan Magirius ist seit gut einem Jahr Pfarrer in der evangelischen Klosterkirchengemeinde Cottbus. Sie hat etwa 4400 Gemeindemitglieder und ist in drei Bereiche untergliedert, Alt-Kloster, Ströbitz und Schmellwitz. Dort sind drei Pfarrer tätig. Stephan Magirius betreut den Bereich Ströbitz/ Zahsow. Zuvor war er unter anderem in Altdöbern tätig.
www.klosterkirchengemeinde.de

Foto: Pfarrer Stephan Magirius,  „Weihnachten ist Ankommen, die Erfüllung der Sehnsucht nach innerem Frieden.“ (© TSPV)

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