Der Oberlausitzer Freiluftsommerwahnsinn

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Zwischen Olsenbandenaus- und Schmugglereinwanderung – die Theater in Bautzen, Görlitz und Zittau sind Open-Air-Fetischisten

Es ist nicht anders als Wahnsinn zu bezeichnen – der Zulauf zu den Sommerinszenierungen in der Oberlausitz. Das ermutigt die Theater zu sehr frühen Vorverkaufsstarts mit Kanonendonner auf dem Theatervorplatz und raschen Rekordmeldungen. So hat Bautzen am ersten Tag 9940 Karten für die Olsenbande, das Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau 2.500 Karten am Karsamstag für ihre fünf Freiluftinszenierungen abgesetzt.

Dabei sucht vor allem das Phänomen „Bautzener Burgsommer“ im ganzen Osten südlich von Rügen seinesgleichen – und dürfte auch bundesweit für Furore sorgen, wenn der Horizont bundesdeutscher Medien nicht in Dresden oder am Kornmarkt endete. Dabei muss sich das Deutsch-Sorbische Volkstheater nicht einmal um ein Herrenfußballturnier im Nachbarland scheren, wie sich 2016 zeigte: Bereits 99 Prozent Auslastung im reinen Vorvorkauf zeugten von absoluter Publikumsgunst. Der Grund: Rückkehr der Olsenbande in die Obersorbenhauptstadt – genauer auf den Hof der Ortenburg – seinen Höhepunkt. Dort destillierte sich Intendant Lutz Hillmann aus den 13 bis 14 Filmen (Puristen streiten sich ob der Echtheit des letzten) eine eigene Fassung aus der liebevollen Defa-Synchronistion, die sich „Die Olsenbande und der Hintermann“ nannte und vor allem ein wildes Autorodeo mit diversen Schmuckkarren bot.

Nun heißt es ab 8. Juni: „Die Olsenbande wandert aus“ – und dennoch wurden bereits am ersten Tag knapp zehntausend Karten, also ein Viertel des gesamten Budgets, verkauft. Das sind 3.500 mehr als im Vorjahr – so urteilt das Theater zu recht: „Mächtig gewaltig!“ – zumal die ersten ab fünf Uhr angestanden haben sollen. Der 22. Bautzener Burgsommer könnte also wieder vollst werden, obwohl der Vorjahresrekord von 36.963 Zuschauer in 37 Vorstellungen bei restloser (!) Auslastung für 2017 eigentlich nicht zu toppen wäre, weil es nur 33 Ansetzungen gibt. Falsch gedacht, denn die Bautzner wagen den nächsten Schritt: 1200 statt 999 Plätze gibt es diesmal. Nichtsdestotrotz gilt es, schon vor der Premiere sein Ticket zu sichern.

Banden raus, Schmuggler rein!

Solcherart Logistik und Zuspruch hat das unter dem Namen Gerhart Hauptmanns wiedervereinigte Neißetheater nicht zu bieten. Nichtsdestotrotz bietet es mit großem Fleiß Paroli. Nicht weniger als fünf Inszenierungen bringen die drei Sparten des Ensembles ins Freie, wobei der Zittauer Klosterhof die früheste Sommertheaterpremiere überhaupt bietet – schon seit 6. Mai, also eine Woche vor den Eisheiligen, startete dort mit „Der Pavillon“ in Regie von Schauspieler Marc Schützenhofer die vorerst letzte Saison vor der Sanierung. Auch der lauschige Klosterhof mit seinen einhundert Plätzen bietet selten freie Plätzchen für Spontane.

Das Schauspielensemble bespielt aber auch traditionell noch die lauschige Waldbühne Jonsdorf mit einem großen Abenteuerspektakel, meist mit großer Tier- und Komparsendressur, manchmal mit Kamel und Falke – seit vier Jahren mit eigenen Stücken, die Axel Stöcker aus der Regionalgeschichte destilliert und passabel dramatisiert, wobei sich meist Schauspielintendantin Dorotty Szalma die Regie gönnt. Diesmal kommt – als eine Art oberlausitzer Antwort auf die Olsenbande „Der König der Schmuggler – das Geheimnis des Pascherfriedel“.   
Das Schauspielensemble bespielt aber auch traditionell noch die lauschige Waldbühne Jonsdorf mit einem großen Abenteuerspektakel. Diesmal kommt, als eine Art Antwort auf die Bautzener Olsenbandenabwanderung,  ab 17. Juno „Der König der Schmuggler – das Geheimnis des Pascherfriedel“. Und zwar wie seit vier Jahren in neuer Sitte als Uraufführung von Axel Stöcker in Regie der Intendantin Dorotty Szalma.

Das Görlitzer Musikensemble bringt parallel in Regie von Steffen Piontek Paul Linckes Operette „Frau Luna“ in den Stadthallengarten, während die benachbarte Jugendstilperle noch immer im Dornröschenschlaf dahindämmert und sich jeder Lokalpatriot per „The Grand Budapest Hotel“ mehrfach jährlich das Innenleben der einst größten und schönsten Konzerthalle zwischen Berlin, Prag, Breslau und Dresden in Zeitlupe verinnerlicht. Auf jeden Fall werden Patricia Bänsch als Frau Luna und Thembi Nkosi als Prinz Sternschnuppe optisch wie musikalisch ein Traumpaar bilden.

Einmal reisen die Görlitzer damit auch gen Süden auf den Gebirgskamm (6. Juli, 18 Uhr), die Schauspieler kommen derweil sechs Mal mit „Die 39 Stufen“ – Hitchcocks Vorjahresklosterhofknaller in Regie von Szalma – neißabwärts gerast. Ein weiterer Höhepunkt: Der Doppeltanzabend „Sacre“ der Görlitzer Tanzcompany dürfte schon aufgrund der Musikgrundlage für große Aufmerksamkeit sorgen. Denn Luciano Berios‘ „Rendering“, kurz vor der Wende vom Royal Concertgebouw Orchestra uraufgeführt, beruht auf einer Neusicht nach Vorlagen und Motiven von Franz Schubert dar.
Insgesamt verklickerte das Hauptmann-Theater in jenen drei Stunden am Karsamstag schon 2.500 Karten, darunter rund 1.700 für die Waldbühne und 400 für den Klosterhof. Görlitz, dessen Garten mit bis zu 420 Plätzen ausgestattet werden kann, wird garantiert vom großen sommerlichen Tagestourismus profitieren, dem es gut tut, spontane Kartenwünsche erfüllen zu können..

Andreas Herrmann

Foto: Ein Mordfall im Klosterhof? Das Zittauer Hauptmann-Theater spielt seit Anfang Mai im Freien, neben „Der Pavillon“ in Zittau auch auf der Waldbühne Jonsdorf und im Görlitzer Stadthallengarten. © GHT / Beata Spychalska


Die Chronologie der Oberlausitzer Freiluftpremieren:

Seit 6. Mai (20 Uhr) – Klosterhof Zittau: „Der Pavillon“ (16 Vorstellungen bis 11. August)
Ab 3. Juni (20 Uhr) – Stadthallengarten Görlitz: „Die 39 Stufen“ (6 Vorstellungen bis 12. Juli)
Ab 8. Juni (19.30 Uhr) – Burgtheaterhof Bautzen: „Die Olsenbande wandert aus“
(33 Vorstellungen bis 16. Juli)
Ab 16. Juni (20 Uhr) – Stadthallengarten Görlitz: „Frau Luna“ (Operette; 11 Vorstellungen bis 16. Juli)
Ab 17. Juni (17 Uhr) – Waldbühne Jonsdorf: „Der König der Schmuggler – das Geheimnis des Pascherfriedel“ (20 Vorstellungen bis 13. August)
Ab 24. Juni (20 Uhr) – Stadthallengarten Görlitz: „Sacre“ (Doppeltanzabend, 4 Vorstellungen bis 9. Juli)

Netzinfos & Karten
theater-bautzen.de
www.g-h-t.de/de/Sommertheater-2017


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