Die Lausitz ist nicht nur Sachsen und Brandenburg, sondern auch Polen

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Das große Interview mit dem brandenburgischen Lausitz-Beauftragten Dr. Klaus Freytag

Seit Juni vergangenen Jahres ist  Ministerialdirigent Dr. Klaus Freytag zum Lausitz-Beauftragten des Landes Brandenburg ernannt worden. Ministerpräsident Dietmar Woidke  sagt über ihn: „Mit Klaus Freytag haben wir einen qualifizierten Experten und Freund der Lausitz gefunden. Er kennt sich mit dem Strukturwandel, der längst eine Strukturentwicklung ist, bestens aus.“ hermann sprach mit  Dr. Klaus Freytag über seine Aufgaben, Visionen und Erwartungen.

Wollen Sie uns bitte kurz etwas zu Ihrer Person sagen?

Ich bin am südlichen Rand des Ruhrgebietes groß geworden, dort wo in den 60er und 70er Jahren noch Kohle und Stahl zu Hause waren. Was lag näher, als das Bergwesen zu studieren? Und das Glück der Deutschen Einheit führte mich 1993 mit meiner Frau, einer gebürtigen Kölnerin, in die Lausitz. Ich wurde Leiter des Bergamtes. Hier haben wir eine neue Heimat gefunden. Alle unsere vier Söhne sind gebürtige Lausitzer. Und wir leben verdammt gerne hier. Ich mag das Land. Ich mag die Menschen. Hier ist Platz zum Leben.

Was sind Ihre Aufgaben als Lausitzbeauftragter des Ministerpräsidenten?

Ich trage dazu bei, den Strukturwandel vor Ort mit den betroffenen Menschen zu gestalten. Dabei bin ich das Scharnier Richtung Potsdam und Berlin. Da Strukturentwicklung nicht nur ein Fachministerium betrifft, koordiniere ich die Arbeit der Landesregierung in Richtung Lausitz. Und ich freue mich, dass der Ministerpräsident Dietmar Woidke dafür immer ein offenes Ohr hat. Er ist mit Haut und Haar Lausitzer, aufgewachsen fast direkt an der Tagebaukante. Aber er muss natürlich immer den Blick auf das ganze Land haben.

Wie schätzen Sie die Ergebnisse der Arbeit der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ein? Sind die Erwartungen, auch Ihre, für die weitere Arbeit erfüllt worden?

Es gab ein gutes Ergebnis für die Lausitz, den Klimaschutz und die Energiesicherheit. Ich finde den Namen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ bezeichnend und sehr gut gewählt: Genau um diese drei Punkte geht es nämlich. Und dafür hat sie sehr gute Grundlagen geschaffen. Wenn man sich die Zusammensetzung der Kommission anschaut – von Greenpeace bis Bundesverband der Industrie – kann der gefundene Kompromiss nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist ein wichtiger gesellschaftlicher Schritt, den nur eine starke Demokratie schaffen kann. Dabei gebührt dem Co-Vorsitzenden Matthias Platzeck für sein Verhandlungsgeschick großer Dank. Hier ist ein Fahrplan für die nächsten 20 Jahre erarbeitet worden, der eine gute Zukunft für die Kohleregionen möglich macht. Auf diesem Bericht kann aufgebaut werden – die umfangreichen Anlagen mit den vielen aus der Region gemeldeten Projekten zeigen, dass viel Arbeit vor uns liegt. Der Bericht zeigt aber auch, was in den letzten Jahren versäumt wurde, wenn ich zum Beispiel an unsere Bahn-Infrastruktur denke.

Was erwarten Sie davon ausgehend, inhaltlich, finanziell und strukturell?

Mit dem Bericht ist ein Finanzvolumen von 40 Milliarden Euro für die Kohleregionen aufgezeigt. Das bedeutet für die gesamte Lausitz etwa 800 Millionen Euro jährlich. Damit können die strukturellen Defizite im Bereich der Infrastruktur – Schiene und Straße – sowie im Bereich Digitalisierung und Breitbandausbau aufgeholt werden. Darüber hinaus haben wir die Chance, eine neue zukunftsfähige Industrie- und Forschungslandschaft aufzubauen. Das Geld liegt aber nicht rum in Berlin, so dass man es nur abholen muss. Nein, wir müssen ganz konkrete und sinnvolle Projekte liefern. Und das ist auch richtig so. Wir brauchen Projekte, die langfristig wirken, Industriearbeitsplätze schaffen, Forschung und Entwicklung voran bringen, die Region aber auch kulturell stärken.

Wann ist mit den ersten greifbaren Ergebnissen für die Menschen in der Lausitz zu rechnen? Woraus resultiert Ihr Grundoptimismus – zum Beispiel vermittelt die Geschichte oder besser Odyssee der Bemühungen um das zweite Gleis von Cottbus nach Lübbenau eher kein zu Hoffnung berechtigendes Bild?

Am 29. Januar hat die Kommission ihren Bericht abgegeben, am 4. März haben wir gegenüber dem Bund ein Paket mit mehr als 40 Sofortmaßnahmen vorgelegt. Davon haben bereits 26 das Signal für die Förderfähigkeit bekommen. Diese Geschwindigkeit zeigt, dass es alle ehrlich meinen mit der Strukturentwicklung – das Bild des fehlenden zweiten Gleises war und ist da sehr hilfreich, weil es zeigt, worum es geht und was nicht mehr akzeptiert werden kann! Aber sicher ist auch, dass noch einige schwierige Verhandlungen vor uns stehen. Das betrifft insbesondere den Verkehrsbereich. Das Engagement von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer für die Kohleregionen und den Ausbau der Bahnstrecken hat noch deutlich Luft nach oben.

Kann es sein, dass es der Leitbilder nun genug sind und nun geklotzt werden muss, um die Infrastruktur in der und rund um die Lausitz schnell zukunftsfähig zu machen?

Leitbilder können auch zu Leidbildern werden. Man braucht ein Leitbild als Richtschnur für die nächsten Jahre – nur wir müssen hier nicht im Urschleim anfangen. Aber ein Konzept, eine Richtschnur ist natürlich notwendig. Die Lausitz weiß, wohin der Zug für die Zukunft fahren muss. Wir können starten, wir wissen wie kaum eine andere Region, wie Veränderung funktioniert und wie sie erfolgreich wird. Der Blick auf den Hafen Großräschen heute und vor zwanzig Jahren zeigt wie es geht – einfach anpacken.

Wie soll die Zusammenarbeit der Landesregierungen Brandenburg und Sachsen mit der Bundesregierung auf der einen Seite und mit der Wirtschaftsregion Lausitz, der Lausitzrunde, der Innovationsregion Lausitz und der Wirtschaftsinitiative Lausitz auf der anderen Seite organisiert werden?

Die vielen Akteure sehe ich nicht als Hindernis, in den letzten Jahrzehnten ist uns eher Akteursarmut vorgeworfen worden. Alle, die Sie genannt haben, eint eines – die gute und erfolgreiche Entwicklung der Lausitz. Natürlich müssen wir mit einer Stimme sprechen. Dazu stimme ich mich aktuell mit meinem sächsischen Lausitz-Beauftragten ab. Die Landesregierungen wollen eine starke Mannschaft für unsere Region. Und zwischen Michael Kretschmer und Dietmar Woidke passt in dieser Frage kein Blatt Papier – nicht einmal ein Parteibuch. Sie sind in regelmäßigem Austausch.

 

Wie kann ein geschlossenes Auftreten aller Akteure vor Ort gesichert und das strukturelle Nebenher, vielleicht sogar schon Gegeneinander, beendet werden?

Es ist doch verständlich, dass sich in einer solchen Anlaufphase viele zu Wort melden und mitbestimmen wollen. Am Ende werden wir ein straffes Gremium haben, das die Stimmen einfängt und nach außen mit einem Votum sichtbar wird. Das wird sich sortieren, so wie es in guten Verwaltungen immer läuft.

Ziehen Sie bitte eine kurze Zwischenbilanz Ihrer Arbeit als Lausitzbeauftragter. Wie schätzen Sie die Zusammenarbeit mit Ihrem sächsischen Partner ein?

Die Zusammenarbeit ist gut, das liegt auch daran, dass sich unsere Chefs gut verstehen, beide kommen aus der Lausitz! Nach einem dreiviertel Jahr als Lausitz-Beauftragter kann ich auf einen erfolgreichen Start blicken. Wenn andere Regionen des Landes jetzt auch einen Beauftragten wollen, können wir ja so viel nicht falsch gemacht haben.

Gibt es bei Ihnen Überlegungen zur Einbindung der Akteure der „polnischen“ Lausitz?

Die Lausitz ist nicht nur Sachsen und Brandenburg, sondern auch Polen – hier ist sicherlich noch Entwicklungspotenzial in der Zusammenarbeit. Das Thema Strukturentwicklung europäisch anzugehen, sehe ich als große Chance für uns. Deshalb wollen wir, dass die Lausitz eine europäische Modellregion für Klimaschutz und Wirtschaftswachstum wird. Im Kleinen arbeiten wir mit Polen schon erfolgreich zusammen, wie man z. B. in Guben/Gubin sehr gut sehen kann.

Wieso ist die Lausitz „Ihre Herzensangelegenheit“? Welche Vision haben Sie für die Lausitz?

Die Lausitz ist mein zu Hause und hoffentlich für meine Kinder die Zukunft. Die Lausitz der Zukunft ist weltoffen, modern und liebenswert. Hier will man gerne wohnen. Und ich bitte alle Lausitzerinnen und Lausitzer, mit Optimismus daran mitzuwirken. Das Glas ist nicht halbleer, sondern halbvoll. Und ich will mit Tatkraft dazu beitragen, dass es ganz voll wird. So gehen wir Rheinländer an die Aufgaben. Auch wenn wir in der neuen Heimat Lausitz leben.

 

Interview: Heiko Portale

 

 

 

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