Drei Dekaden aktive Grenzpolitik

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Bernd Lange wollte eigentlich Talsperren bauen, dann kam die Wende und damit Realpolitik dazwischen – nun agiert er seit 2001 als CDU-Landrat.

Bernd Lange ist gebürtiger Rothenburger des Jahrgangs 1956 – und war schon zur Wende in der CDU. Sein politischer Weg führte ihn über Stadtrat und Bürgermeister seiner Heimatstadt Rothenburg (1990 bis 2001) nach den beiden sächsischen Kreisreformen über den Landratsposten des Niederschlesischen Oberlausitzkreises (NOL) in Niesky bis zum Görlitzer Landrat (seit 2008). Der heutige Landkreis Görlitz ist dabei der östlichste Sachsens und riesig in Ausdehnung (2 111 km²) wie Nord-Süd-Länge von Köbeln bis Lückendorf (110 km Fahrstrecke), aber mit rund 255 000 Einwohnern in 53 Gemeinden (121 Einwohner je km²) recht dünn besiedelt. Görlitz ist dabei die östlichste Stadt, Zentendorf mit Kulturinsel Einsiedel der östlichste Ort der Bundesrepublik. Der verheiratete Vater dreier Kinder ist evangelischer Konfession, seit 1994 auch Kreisrat und kann so im „hermann“-Interview auf 30 Jahre Erfahrungen in hautnaher Grenzpolitik dank fünf gewonnener Personenwahlen auf ein wichtiges Jahr 2020 vorausblicken.

Herr Landrat Lange, wie verlief denn Ihr Weg in die Politik?

Da müssen wir weit zurück – in den Mai 1990. Die erste Kommunalwahl nach der Wende stand an – und ich dachte: Da spielst Du mal kurz mit und dann gehst Du raus an die Arbeit in Deinem Job.

Was war denn damals Ihr Job?

Ich war bis dato Bauleiter im Tiefbau der Landwirtschaft, denn gelernt habe ich Meliorationstechniker in Löbau. Nach der Fachschule mit Qualifikation zum Meliorationsingenieur habe ich mich seit 1983 per Fernstudium an der TU Dresden zum Diplomingenieur im Wasserbau qualifiziert, war also im Mai 1990 gerade frisch verteidigt – und ich fühlte mich frei: „Jetzt gehst Du in die Welt und baust Talsperren“, dachte ich mir, auch wenn es nach Brasilien oder anderswo nach Südamerika gehen sollte.

Besonders die zweite Kreisreform 2008 ist ja immer noch in den Köpfen, von Nord- und Südkreis ist selbst im Kreistag die Rede. Dazu kam dann noch die bis dato kreisfreie Stadt Görlitz – wie konnten Sie als Landrat von Niesky aus die Zittauer, Löbauer und Görlitzer überzeugen?

Davor stand ja noch die erste Wiederwahl an. Ich hatte sieben Gegenkandidaten und musste in den zweiten Wahlgang. Zuvor hatten wir uns in der CDU geeinigt, dass Günter Vallentin, damals Landrat von Löbau-Zittau, nicht mehr antritt. Im Süden mussten auch die eigenen Leute überzeugt werden. Görlitz hingegen hatte auf mich gesetzt. Wir hatten aber zuvor zugesagt, dass Görlitz das Zentrum des neuen Kreises wird, weil sie in diesem Prozess durch Aufgabe der Kreisfreiheit ja auch am meisten leidet. Um den Ausgleich zwischen dem Stadt- und Landdenken, also dem gegenseitigen Neid, müssen wir auch heute noch kämpfen. Aber wir brauchen ein starkes Zentrum mit Ausstrahlungskraft.

Streitpunkt Landratsamt: 2022 sind wieder Landratswahlen – schaffen Sie es bis dahin, das Görlitzer Großprojekt fertigzubauen? 

Nein, das schaffen wir nicht. Aber bereits in diesem Jahr werden die neuen Bürgerbüros in Löbau und Weißwasser fertig, so dass der Bürger nur bei ganz speziellen Sachen nach Görlitz kommen muss. Alles, was zum Beispiel Sozial-, Bau- oder auch KfZ-Bereich ist, wird dann wieder vor Ort angeboten. Das geht durch zwei Maßnahmen: Seit 2010 arbeiten wir an der Einführung der elektronischen Akte. Da sind wir jetzt im Endstadium, ebenso wie beim Rechnungswesen.

Andererseits schaffen wir vermehrt Telearbeitsplätze. Wir haben ja das Problem, dass wir ohne Weiteres keine Fachkräfte mehr in die Region bekommen – so können wir heute Leute in Berlin oder Leipzig, aber auch Dresden und Cottbus beschäftigen, die dann einmal im Monat herkommen und ansonsten von zu Hause aus arbeiten.

Landrat Bernd Lange (CDU) auf dem Balkon des neuen Landratsamts mit Ausblick auf Diesel-Bahnhof und gen Südkreis.
Foto: MFJ

Eine vierte Amtszeit ab 2022?

 An welche Größenordnungen denken Sie da?

Derzeit haben wir so 120, ein vernünftiges Ziel wären 200 bis 300 Telearbeitsplätze – von insgesamt  1700 Stellen im gesamten Landkreis. Dadurch haben wir die Chance, fähige Leute aus den Großstädten, aber auch von entlegenen Dörfern im Landratsamt zu beschäftigen. Die Mitarbeiter sparen sich die Anfahrt und sind zeitlich flexibler – und wir müssen nicht die Büroplätze vorhalten. Wenn sie ins Amt kommen, können sie im Großraumbüro an einem beliebigen Platz arbeiten. Der Hintergrund ist: Wir müssen uns unbedingt modern aufstellen, dazu gehört auch dieses zentrale Gebäude.

Dennoch gibt es darüber erregte Diskussionen …

Wissen Sie: den Bau von Verwaltungsgebäuden zu vermitteln, fällt jedem schwer. Die Bürger wollen aber dennoch zügig bedient werden. Wir bauen keinen Königspalast hierher, sondern ein funktionales Amt, dass natürlich auch die Stadt Görlitz, vor allem die obere Berliner Straße samt Bahnhofsgegend enorm aufwertet, aber dennoch für den ganzen Kreis wirkt. Wir fangen dieses Jahr mit dem Grundstein an, aber es wird wohl eher 2023 oder 2024 fertig. Wenn wir anfangen, dann wird auch zügig durchgebaut.

Dazwischen wäre Landratswahl – es wäre Ihre vierte Amtszeit. Treten Sie noch einmal an?

Das weiß ich noch nicht. Das hängt auch davon ab, ob sich ein anderer parteiinterner ambitionierter Kandidat finden lässt. Eine Entscheidung darüber fällt sicher bis 2021. Es ist kein Geheimnis, dass nochmal sieben Jahre dieser Belastung schon einigermaßen verrückt wäre. Aber ich überlasse den Landkreis nicht irgendwelchen Selbstläufern!

Davor lungert nun 2020 – und damit vielleicht schon der Beginn des so genannten „Strukturwandels“ …

Das wird wohl so sein, vor allem für den Norden des Kreises. Das ist interessant, herausfordernd, aber auch eine Riesenchance, wenn sie durch Europa, den Bund, das Land und die Region richtig angepackt wird. Wir sollten uns dabei als Metropolregion zwischen Berlin und Prag sowie Dresden und Breslau begreifen, die durchaus prosperieren kann, weil sie mitten in Europa liegt. Aber man darf nicht engstirnig denken und keine Kirchturmpolitik machen, sondern muss großflächig handeln. Da kann man zum Beispiel nicht die A4 nur bis Bautzen sechsspurig ausbauen wollen, sondern muss an den gesamten europäischen Verkehrskorridor E3 denken, der weiter über Görlitz nach Breslau und Kiew geht. Zumindest bis zur B178, also dem Abzweig nach Tschechien über Löbau oder Zittau, muss man bauen – da scheint bislang nur Stückwerk, also bestenfalls ein Anfang, geplant zu sein.

Gerade beim Anschluss der B 178 an die A4 bei Weißenberg hat sich in den vergangenen beiden  Koalitionen unter FDP- und SPD-Verkehrsminister nicht viel getan – jetzt kommt im Landtag noch Grün dazu …

Das ist sicher auch ein Schlüssel zur Erklärung des Wahlverhaltens in Ostsachsen – als Protest, weil sich da nichts tut. Wir werden hier auch ganz schnell in die braune Ecke gestellt, aber zum Beispiel in Ostritz hat die Zivilgesellschaft doch ein klares Zeichen gesetzt. Auch wenn Sie die Asylwelle 2015 bis 2017 betrachten, gab es in unserem Landkreis keinen einzigen schweren Vorfall. Wer kann das schon in Bautzen oder Dresden oder anderswo von sich sagen? Das Protestverhalten scheint jetzt von Land und Bund erkannt worden zu sein, aber nun hier rasch Institutionen anzusiedeln, kann nur ein Anfang sein.

Was fehlt Ihnen denn noch?

Es fährt zum Beispiel kein einziger Fernzug mehr durch die Region – mitten im besagten europäischen Verkehrskorridor. Wer mit der Bahn echt und bequem verreisen will, muss erst einmal nach Berlin oder Dresden. Oder Prag und Breslau.

Das sogenannte Strukturstärkungsgesetz ist ebenso wie das Kohleausstiegsgesetz noch nicht durch den Bundestag. Wenn es kommt: Was sind Ihre Erwartung an die Rolle der Wirtschaftsregion Lausitz dabei?

Die Wirtschaftsregion Lausitz muss die koordinierende Stelle sein – sie muss für jeden Bürgermeister, für jeden Landrat der erste Ansprechpartner sein. Sie muss auch von den beiden Ländern als Scharnier in die Region hinein akzeptiert werden. Das gilt auch für Fördermaßnahmen und Leitlinienentwicklung. Ich habe den Eindruck, dass es jetzt mit dem neuen Geschäftsführer super läuft. Intern ist das wichtig, wenn man sich Vertrauen beim Bund erarbeiten will, um auch Gelder zu akquirieren.

Und deren Sitz in Cottbus ist Ihnen kein Dorn im Auge?

Das sehe ich nicht so eng. Wichtig ist für uns die Dependance in Weißwasser.

Laussitzleitbild, Energiehochschule, Europablick

Braucht es denn dazu wirklich ein neues Leitbild mit langwierigem Prozess?

Der Leitbildprozess ist deshalb wichtig, weil wir die Prägung als Braunkohleregion hinter uns lassen müssen. Die Lausitz muss als Region festlegen: Wo will sie in Zukunft hin? Bleibt sie eine Energieregion? Wenn ja: Mit welchen Schwerpunkten? Bleibt sie angesichts von tiefen Kupfervorkommen oder gleichförmigen reinem Sand, der für Solarzellen gebraucht wird, vielleicht sogar Bergbauregion? Das muss aufgeschrieben werden. Aber dieser Prozess muss sorgsam, also langsam laufen, damit möglichst alle teilhaben. Aber es wird auch da 2020 ein Ergebnis geben.

Spielt die Hochschule Zittau-Görlitz dabei eine Rolle?

Auf jeden Fall – als Energiehochschule. Und genau dazu braucht das Leitbild. Zurzeit macht ja jeder, so mein Eindruck, faktisch alles: Jeder forscht an Akkus, jeder macht auf Wasserstoff, alle parallel – das sind doch verschwendete Ressourcen. Wenn man sich der Konkurrenz stellen will, dann doch mit etwas besonderem – man muss sich also spezialisieren. Wir brauchen da aber genaue Absprachen, jede braucht seine klar definierte Rolle.

Sie gelten als Protagonist der Zittauer EU-Kulturhauptstadtbewerbung – war die Entscheidung im Dezember gegen Zittau noch falscher als jene gegen Görlitz für 2010?

Da hat die Jury auf jeden Fall eine Chance verpasst, den Menschen im Dreieck Europa etwas näher zu bringen. Bislang hat sich noch nie ein Bewerber mit Bürgerentscheid dafür ausgesprochen – nicht eine der bisherigen Hauptstädte und der Konkurrenz hatte diesen Rückhalt aus der Bevölkerung wie Zittau. Die Jury hat nicht verstanden, was hier im vergangenen Jahr abgelaufen ist. Wir hätten Europa gezeigt, dass uns weit mehr verbindet als Brücken und Straßen.

Wir werden uns aber nicht vom Weg abbringen lassen und jede Chance nutzen, diese Region als Brückenregion darzustellen und halten an den Projekten fest. Und 2027 ist Tschechien am Zug, da werden wir sicher im Vorfeld mit Liberec reden. Die Entscheidung pro Chemnitz ist für mich eine politische Entscheidung. Dennoch werde ich auch den Weg dorthin suchen, um vielleicht eine Kooperation ähnlich jener von Görlitz mit dem Ruhr.2010 hinzubekommen, damit sie gewinnen.

Genau am Dreiländerpunkt fehlt aber noch immer die von Helmut Kohl 2004 anlässlich der EU-Osterweiterung versprochene Brücke?

Ja, da hat man in Dresden kürzlich noch Vorbehalte gegen die Planung vorgebracht, aber das wird behoben. Ich glaube fest daran, dass sie bis 2025 dort steht.

Unser Gespräch findet just zwei Tage vorm traditionellen Neujahrskonzert der Neuen Lausitzer Philharmonie im Bürgerhaus Niesky statt – was werden Sie da den Bürgern in Ihrer Rede offenbaren?

Unter anderem, dass wir den Zusammenhalt, den wir bei der Bewerbung von Zittau gezeigt haben, beibehalten und stärken. Dass wir gut auf den Weg kommen beim Strukturwandel. Außerdem kommt dieses Jahr der neue Schulnetzplan auf dem Weg, wobei ich zuvor alle 110 Schulen des Landkreises selbst besucht haben werde.

Vielen Dank für das Gespräch.

Gespräch: Andreas Herrmann

 

 

 

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