Editorial – August 2019

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Auf einer Landstraße in Friaul-Julisch Venetien, die Sonne brennt, die Straße frei, kaum Verkehr, zumindest vor meinem Auto. Die Straßenschilder sagen eindeutig: 70 km/h, die durchgehende Mittellinie: Überholverbot. Auf einmal rauscht von hinten eine Gruppe, etwa zehn italienischer Fahrzeuge an und überholt mit etwas über neunzig Sachen. Zuvorletzt ein Lkw, danach noch eine typische Zwiebacksäge mit einem Pärchen darauf. Ihr Schal flattert lustig im Wind. Danach kehrt wieder Ruhe ein auf der idyllischen Landstraße. Die Luft flirrt. Siesta, oder wie das in Italien heißt. Alle Insassen schauen sich an: Herrlich, hier in Italien. Nach zehn Minuten rollt die nächste Welle an. Diesmal nur vier Autos. Wir erinnern uns an eine Ampel, die wir vor einiger Zeit passiert haben. Jedes Mal, wenn grün ist, spuckt die Straße eine neue Welle Fahrzeuge aus, für die keine Verkehrsregeln gelten, haben wir den Eindruck. Schließlich kommt ein Fiat Multipla, das hässlichste Auto der Welt, angedängelt und setzt zum Überholvorgang an, von vorn nähert sich eine andere Gruppe Fahrzeuge. Bei 71 km/h hat dieses Fahrzeug eigentlich seine Endgeschwindigkeit erreicht. Egal, es wird überholt. Leider reicht die Zeit nicht ganz, bis die entgegenkommenden Fahrzeuge entgegengekommen sind. Da wird eben mal beherzt knapp vor uns eingeschert. Es riecht plötzlich nach den Bremsbelegen meines Autos. Muss wohl heftiger als sonst gebremst haben. Die Kinder teilen mir erstaunt mit, dass ich ganz schön gut auf Italienisch fluchen könne. Ich entscheide mich, mal gucken zu fahren, was das für Leute sind, die es in Kauf nehmen, eine Urlauberfamilie für einen läppischen Überholvorgang von der Straße zu rauchen. Also überhole ich auch mal – 71 km/h ist jetzt auch nicht so schnell, da kann man schon mal ein, zwei Blicke in das gegnerische Fahrzeug werfen. Am Lenkrad eine typische italienische Landfrau, wie man sie aus alten Marcello Mastroianni-Filmen kennt, daneben drei weitere italienische Landfrauen. Von den vier Damen geben mir zwei ein freundliches, typisches italienisches Handzeichen, das hauptsächlich aus einem ausgestreckten Mittelfinger besteht. Die Fahrerin band sich derweil ihr Kopftuch fest. Da ich nicht wusste, wie viele Leichen und in welchem Zustand im Kofferraum lagerten und wie viele Gewehrläufe auf uns gerichtet waren, beschloss ich, mich hinter dem Fahrzeug einzureihen und wieder zu atmen. Selbst wenn weder Leichen noch Gewehrläufe im Fahrzeug vorhanden gewesen wären und es den Damen nur darum ging, die just auf dem Markt erworbenen, schnell verderbenden Waren nach Hause zu bringen oder die gerade Gebärende dem Krankenhaus entgegenzufahren, was hätte ich tun können? Mein Italienisch ist nicht das Beste.
Ein paar Kilometer weiter stoppt eine Ampel die rasante Fahrt aller. Ich überlege kurz auszusteigen und doch mein Italienisch zu testen, als von hinten eine aus drei Polizeifahrzeugen bestehende Einsatzzelle an den haltenden Fahrzeugen vorbeizieht und sich irgendwo zwischen den haltenden Autos eingliedert, halb auf der Gegenspur. Zackig unterwegs, die Leute, schießt es uns durch den Kopf – zum Glück nur Gedanken… (Achtung Kalauer!) Es erweitern drei recht zügig anrollende Motorräder die Szenerie. Die Mopeds fahren an allen vorbei und stellen sich ganz vorn an. Jetzt aber, denke ich! Die Sirenen gehen an und die Rennsaison ist eröffnet, hoffe ich. Alle bleiben trotz grünem Lämpchen stehen und die Polizei fährt nun ebenfalls ganz nach vorn durch, an allen vorbei – auch an den Mopeds. Nach der Ampel gehen Tatütata und Blaulicht aus. Die Ampel schaltet auf Rot. Recht kurze Rot/Grün-Phase, denke ich noch und: Das kann ja noch heiter werden, hier im Urlaub in Friaul-Julisch Venetien.

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