All morgendlich auf dem Weg zur Arbeit stehe ich an einer dicht befahrenen Straße. Da sind zwar nur 30km/h zugelassen, es gibt auch eine Mittelinsel, dennoch warte ich an jeder der zwei Richtungsfahrbahnen mindestens 3 bis 5 Minuten, um alle Autos einer Ampelphase, die sich jeweils 50 Meter entfernt befindet, durchzulassen. Manchmal halten die Gefährte auch inmitten der Verkehrsinsel. Alle, die wir da stehen, denken dann gemeinsam darüber nach, wie es wohl aussehen würde, wenn wir spontan einen Alpinverein gründeten und das Hindernis gemeinsam überkletterten. Problematisch dabei ist immer die Fahrrad- und Kinderwagenmitnahme. Wir verwerfen den Gedanken schnell und schreien einfach durch die Scheiben der Fahrzeuge die Fahrer*innen an. Der Erfolg ist meist der gleiche, wie der mit dem Alpinverein – also erfolglos. Nach vorn, wie hinten ist schließlich kein Platz mehr, da stehen überall stählerne Karossen. Man müsste ja vorausschauend und nicht auf Handy starrend fahren. Geht nicht, ist viel zu viel Verkehr. Ein Fußgängerüberweg könnte helfen, zumal auf der anderen Seite ein Kinder- und Jugendtheater steht. Einmal bin ich einfach auf die Straße getreten, Bremsen quietschten, Türen öffneten sich, Männer stiegen aus. Leider halb so groß wie ich. Sie setzten zum Schreien an, fuchtelten dann aber doch nur mit den Armen und stiegen wieder ein. Schön, als Persönlichkeit wahrgenommen zu werden und so einfach streitschlichtend zu wirken. Nach dem Erlebnis trat ich, mutig geworden, öfter auf die Straße und wartete nicht mehr ganz so rücksichtsvoll, bis alle Fahrzeuge an mir vorbeigezogen waren. Rücksichtsvoll ist irgendwie nicht mehr angesagt, hatte ich das Gefühl. Dann kam ein Lkw. Sein Fahrer brauchte nicht auszusteigen. Demut zu erfahren ist auch eine spannende Sache.
Editorial Dezember
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