„Erste Stunde“ und schon ein Opfer

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Piccolo-Reportage N°2: Theater im Klassenraum

 

8.45 Uhr. Zweite Stunde. 7. Klasse. „Guten Mooorgen.“ Am letzten Tisch in der mittleren Reihe sitzend, fällt es trotz großem Altersunterschied zu den knapp 20 anwesenden Schülerinnen und Schülern der Sachsendorfer Oberschule gar nicht schwer, sich schnell in die eigene Schulzeit zurückzuversetzen. Doch das eigene Erwachsen- und Entwachsensein macht gelassen, enthebt einen zwar von den bequemen Vorteilen der Jugend, aber doch auch von den Problemen Heranwachsender und ihren manchmal schwierigen, alltäglichen Realitäten.

Mit dem Klassenzimmerstück „Erste Stunde“ verschafft sich der Schauspieler Hauke Maria Grewe vom Piccolo Theater Cottbus jedoch zu eben jenen Realitäten Zutritt. Als neuer Mitschüler namens Jürgen Rickert kommt er in die Klasse. Jürgens erste Ansage an alle lautet erst einmal: „Ich gebe euch fünf Minuten. […] Fünf Minuten, in denen ihr mit mir machen könnt, was ihr wollt.“

Jürgen ist ein Opfer, ein Mobbing-Opfer, das an der alten Schule beschimpft, beklaut und verkloppt worden ist. Den neuen Mitschülern macht er gar nicht erst was vor, will die für ihn selbstverständliche Dresche lieber gleich beziehen, um dann ein für alle Mal seine Ruhe zu haben. Doch es passiert nichts. Jürgen fragt: „Was seid ihr denn für eine komische Klasse? Bei Euch gibt es kein Mobbing? Das gibt es doch gar nicht.“

Wie es bei diesem Thema um die eigene Klasse steht, wissen an dieser Stelle die Schüler der 7. Klasse am besten. Sie sind mit sich selbst und ihrer Realität konfrontiert, ohne sich preisgeben zu müssen und gleichen ihr Wissen mit den Worten und der Figur von Jürgen doch ab: Gibt es Mobbing? Wird von uns jemand beschimpft, schikaniert, verprügelt? Wer ist Opfer, wer Täter? Und jeder einzelne fragt sich: Wo stehe ich?

50 Minuten Monolog voller Verzweiflung, Mut, Aggressivität und Angst, gespickt mit allerhand Schimpfwörtern und Beleidigungen, bringt Hauke Maria Grewe an diesem Tag auf die Bühne zwischen Tafel, Lehrertisch und Schulbänken. „Du weißt nie, was dich erwartet, wenn du in die Klasse kommst“, sagt der Schauspieler und Theaterpädagoge, der in den vergangenen fünf Jahren ganze 230 Mal Jürgen Rickert verkörperte. Angesichts dieses großen, immer wiederkehrenden Mutes verdient Grewe eine Menge Respekt.

Im Anschluss an das Stück führt Hauke Maria Grewe gemeinsam mit seiner Kollegin Maria Schneider ein Nachgespräch mit den Schülerinnen und Schülern. „Warum meint ihr, wird jemand gemobbt?“ oder „Wie fühlt sich ein Opfer und wie ein Täter?“, fragen die beiden in die Runde. Die Siebtklässler, anfangs noch verhalten, überraschen im Laufe der Auswertung mit offenen und teils ernsthaften, ja erwachsenen Standpunkten. Das vorherige Lachen über die Peinlichkeiten und vor allem die Kraftausdrücke von Jürgen sowie der jugendliche Übermut weichen einer Unterhaltung auf Augenhöhe. Es wird schnell klar: Die Schülerinnen und Schüler wissen ganz genau, was läuft zum Thema Mobbing. Sei es nun allgemein oder in ihrem direkten Umfeld. Mit ihren Antworten geben sie sogar ein wenig von sich und diesem Wissen preis.

Am Ende der Doppelstunde bleibt das Fazit: Jeder von euch ist ein potentielles Mobbing-Opfer! Doch jeder von uns kann auch etwas dagegen tun!

Anne-K. Schöler-Rensch

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