Familienfestival mit Fischversand

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Das Neiße-Filmfestival würdigt Filmmacher auf seine Herzweise und überrascht mit Eigenwillen und Pfade gen Cottbus

Pfingsten herrschte kultureller Ausnahmezustand in der Oberlausitz – nicht nur an der Neiße, sondern auch an der Mandau und vor allem in Großhennersdorf, mit Sitz des Kunstbauerkino als Institution wie Verein seit anderthalb Jahrzehnten die Keimzelle einer eigenwilliger  Kulturperle: Denn von hier, im Dreiländereck nahe Zittau, ging der Impuls zur Gründung des Neißefilmfests aus, welches schon seit der Gründung anno 2004 – also im Jahr der EU-Osterweiterung – konsequent trinational ausgelegt war: Fünf Spielstätten in drei Ländern zogen mit 39 Lang- und 15 Kurzfilmen rund 800 Zuschauer im Programm.

Nun, zum 15. Jahrgang, lockten reichlich 120 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen sowie drei Wettbewerbskategorien plus diversen Filmreihe, Ausstellungen, eine Podiumsdiskussion sowie Workshops und Konzerte – und eine stringente Linie in die Niederlausitz zum Cottbuser Filmfestival. Denn eingebettet ins Festival war das sechste Treffen vom so genannten „Deutsch-sorbisches Netzwerk Lausitzer Filmschaffender“ samt Workshop und Zukunftswerkstatt – 25 größtenteils junge Leute trafen sich zwei Tage lang – hier unter mithilfe des Filmverbandes Sachsen. Mittendrin statt nur dabei: Sylke Laubenstein-Polenz, Referentin bei der Stiftung fürs sorbische Volk. Sie war schon bei der Gründung vor drei Jahren anwesend und spricht seit Ende 2016 – gemeinsam neben Ola Staszel, Cosima Stracke-Nawka und Erik Schiesko – fürs Netzwerk. Denn ihr Arbeitgeber ist seit 2013 nicht nur Kooperationspartner der Cottbuser und bezahlt dort die Sektion „Heimat I Domownja / Domizna“, aus deren Panel zum „Lausitzer Filmschaffen“ vor drei Jahren spontan das Netzwerk entstieg sich seither zweimal im Jahr trifft – logischerweise im Festivalrahmen.

Sie sieht als Fazit als ehrenamtliche Hausaufgabe fürs nächste Halbjahr: „Sehr gut wäre es, wenn wir die Phase der ‚Selbstfindung‘ sowie Diskussionen um die inhaltliche Ausrichtung des Netzwerkes noch vor dem nächsten Treffen abschließen könnten, um sich dann auf fachliche Themen konzentrieren zu können.“  Zur Frage der Unterstützung in Sachen administrative Netzwerkarbeit sei Anfang Juli ein Gespräch mit dem Filmverband Sachsen geplant.

Die zweite Plattform zur Vernetzung ist bereits am Start: Eine eigene Webseite (http://luzyca-film.de/), auf der sich die Netzwerkmitglieder selbst präsentieren können – dort soll demnächst auch ein Pfingstprotokoll erscheinen. Die künftige Netzwerk-Chance sieht Laubenstein-Polenz vor allem „in der länderübergreifenden Stärkung und Professionalisierung sorbischer und deutscher Lausitzer Filmschaffender. Das Sorbische ist dabei das Besondere, das uns von anderen Netzwerken unterscheidet. Die große Chance besteht darin, das sorbische und Lausitzer Filmschaffen aus seiner Stagnation herauszuholen.“

Vier Fische per Post

Der Höhepunkt war jedoch die Preisverleihung als Akt für sich – ein außergewöhnlicher Tagesausflug in den Kulturdom in Zgorzelec. Hier warteten neun frische Neißepreisfische, auf ihre Gewinner. Diese sind Unikate und jedes Jahr aufs Neue (und jeweils anders) von Andreas Kupfer aus Strahwalde gestaltet. Vier davon wurden nach der feierlicher Ehrung mangels Abnehmer jeweils vom Preisspender direkt in die vorgehaltenen Kisten verpackt – und nachher per Post versandt, einmal fehlte sogar der Preisspender. Vielleicht nur, weil die öffentliche Verkehrsanbindung von Görlitz-Dirty-Dieselbahnhof an den Dom – einst als Ruhmeshalle in Andenken an den großen preußischen Sieg gegen Napoleon (und dessen Sachsen) gebaut – doch recht gesund, weil fußläufig ausgebaut ist.

Es war also alles ein wenig anders als zeitgleich 1037 Kilometer weiter südwestlich an der mediterranen Azurküste zu Cannes: Moderatorin Julita Witt kämpfte sich tapfer im vollen Saal des Dom Kultury im frühsommerlichen Zgorzelec durch einen Akt ohne Teppich und großen Firlefanz, aber mit viel Film und einer Menge an realen und virtuellen Gruß- und Jurybotschaften – beginnend mit Schirmherr Michael Kretschmer, im Westteil der Stadt als CDU-Stadtrat gestartet, beim händeschüttelnden Heimspiel, der zuvor noch in der Region früh einen Baum in Lichtentanne an der Pleißenquelle zu pflanzen und nachmittags beim Dreiländerturnier in Horka 300 Reiter mit über 500 Pferden aus Deutschland, Polen und Tschechien zu begrüßen hatte.

Er sah danach ein nettes indirektes Duell zwischen Ex-Theaterintendant Michael Wieler, heute Görlitzer Kulturbürgermeister, und Regisseur Christian Petzold, der den vierten Ehrenpreis in der gegenüber Dresden (bislang 30 Ausgaben) und Cottbus (27) noch recht jungen, aber nice Filmfestgeschichte – einen undotierten Ehrenfisch – bekam. Seine Filme wurden als Retrospektive gezeigt: „Die innere Sicherheit“ (2001) am Mittwoch im Camillo zu Görlitz, „Yella“ (2007) am Sonnabend im Sudhaus Löbau und dazwischen „Transit“ (2018) am Freitag im Zittauer Kronenkino. Also der jüngste, bei der Berlinale im Wettbewerb und bis dahin schon sechs Wochen im Kino laufend.

Allesamt mit Barbara Auer, die Petzold zur Präsentation stets begleitete. Beide beendeten am Vorabend der Preisverleihung das Filmgespräch erstmals am Lagerfeuer – hinterm Kunstbauerkino in Großhennersdorf, welches mit seinem zwei Sälen, die 57 und 20 Zuschauer fassen, das „Herz des Festivals“ bildet – und stromerten am Tag durch die Grenzgegend. Zu Petzolds Überraschung hielt aber Auer dann plötzlich abends die Laudatio – sie sei wirklich „eine herausragende Schauspielerin“.

Kurz darauf traf es dann genauso überraschend Auer selbst: Für ihre Rolle in „Vakuum“ als eine HIV-infizierte Architektenfrau in eher unspannender Schweizer Edelidylle bekam sie den Preis der besten Darstellerin – ein Fisch plus 600 Euro, großes Gelächter samt ehrlicher Rührung im Saal. Die drei Spielorte von Petzolds Retro symbolisieren Problem wie Weite: Denn das Festival bespielt das Riesendreieck zwischen Bautzen, Görlitz und Liberec, so dass die typische Stimmung nur punktuell auftritt und die neue Wertigkeit sich noch rumsprechen muss.

So konnte auch der Hauptfischempfänger, dramaturgisch geschickt als Letzter verkündet, nicht kommen und grüßte recht flappsig per Videobotschaft von der Bank auf dem Kinderspielplatz aus. Juraj Lehotský gewann mit der slowakisch-tschechischen Produktion „Nina“. Er ist Slowake und hatte schon 2014 mit „Zazrak“ („Wunder“) den größten Fisch an der Angel, der aber nun seit 2017 vom sächsischen Kunstministerium gestiftet wird und daher mit 5000 Euro Preisgeld nun weit höher dotiert ist. Dabei passte seine Botschaft szenisch zum Film: Denn es geht um eine urbane Trennungsgeschichte, unter das Kind am meisten leidet – konsequent aus der Sicht jener betroffenen Ausreißerin namens Nina erzählt.

Leibhaftige Freude gab es hingegen von Rosa Hannah Ziegler zu erleben, die mit „Familienleben“, einer echt abgefrackten Beziehungs- und Lebensdorfgeschichte aus Sachsen-Anhalt, den Doku-Neißfisch gewann – plus 1000 Zittauer Euro, von Oberbürgermeister Thomas Zenker überreicht. Genauso viel stiftet der Filmverband Sachsen für seinen Spezialpreis, der sich „mit Respekt und Toleranz anderen Kulturen nähern“ soll – und hier ausgerechnet die polnische Doku „Das hässlichste Auto der Welt“ von Grzegorz Szczepaniak auszeichnet – in der Hauptrolle: ein Wartburg 353.Hermann29_15nff2018e_Filmgartenpartyfeuer01_FOTO_AH

So kann sich Ola Staszel, die in Trinität mit Antje Schadow und Andreas Friedrich als Direktorin agiert und fürs Programm verantwortlich ist, über ein erfolgreiches Festival vollkommen zurecht freuen. Nicht nur über die Qualität der Preisträger, sondern auch über einen neuen Zuschauerrekord von 7.100 Zuschauern – achthundert (!) mehr als im Vorrekordjahr und sogar 1.100 mehr als bei der 13. Edition, als die Landesförderung erstmals griff.

Aus privilegiert-ferner Hauptstadtperspektive, der Kurz- und Trickfilme nach Dresden, Dokus traditionell nach Leipzig, Kinderfilme nach Chemnitz und Osteuropa nach Cottbus verortet, kann man sich natürlich fragen: Warum diese Diversität, warum diese Breite in Programm wie Region – also von Zgorzelec bis Varnsdorf (57 km) oder von Bautzen bis Liberec (77 km) als jeweils kürzeste Autofahrt?

Die Antwort ist einfach, aber nur vor Ort angesichts der cineartigen Enthusiasten leibhaftig erfahrbar: Das Festival vernetzt die zahlreichen anspruchsvollen Kinohotspots der Region und bietet dabei dennoch unbekannte Kost, die sonst nicht oder nur schwerlich zu bekommen ist.

Gut angelegtes Fördergeld

So ist der im Vergleich lapidare Etat von 300 000 Euro, wobei Sachsens Kunstministerium mit 115 und der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien mit 65 Riesen die größten Anteile leisten, gut angelegtes Geld. Und es bringt Leute in die Region, die sehen können, wie wichtig diese Festen der Gesellschaft sind – und wie beschwerlich die stete Arbeit bei den allerorts gegenwärtigen Tendenzen Vergreisung und Vereinsamung ist, während die Verblödung und Verarmung der Gesellschaft sich zunehmend eher zum urbanen Problem geriert.

Das widerspiegelt durchaus die Filmauswahl – vor allem im Wettbewerb. So ist die Diskrepanz zwischen dem Preisträger in der Szenerie (1000 Euro von der Stadt Görlitz) für den polnischen Film „Stille Nacht“, der in den Masuren spielt, aber durchaus an die Neißegrenzregion zwischen Bogotynia und Piensk erinnert, und der besten spielerischen Leistung (600 Euro vom Kreisverlagshaus der Sächsischen Zeitung) für „Vakuum“ dermaßen groß wie symptomatisch. Und doch vereint sie die Heimatfrage, die sich für alle Glücks- oder Schicksalswanderer stellt.

Herzlichkeit ist ebenso Trumpf wie Gelassenheit, jeder kommt von A nach B. Auch wenn man bei einer logistischen Tiefenprüfung durchaus erstaunliche Nahverkehrsverbindungen der Kreisverkehrsgesellschaft erfahren kann, ist der Shuttleservice, den ein Autohaus mit zwei Kleinbussen und mehreren Limousinen – alle artgerecht dekoriert – ermöglicht, echt sensationell. So werden auch bewusst Alleinstapfende auf Landstraßen von privaten Helfern eingesammelt, was bei 250 Ehrenamtlichen rasch vorkommt. Natürlich nur, so sie wollen.

An den Spielstätten erschallt der Ruf der vielen Fahrer, die ihre Gäste zum nächsten Film oder zur Unterkunft einsammeln – eigentlich nur für das Festivalherzstück zwischen Großhennersdorf, Mittelherwigsdorf und Zittau. Neben guten Gesprächen über Land, Leute und Gastgeber (vor allem für Großerwachsene, die vorn sitzen dürfen) gibt es Oberlausitzer Schleichwegkunde und exklusive Shuttle-Filmgespräche, die man gern (per Dash-Cam gen innen) zusammengeschnitten erleben würde. Das ist weit mehr wert, als die eine Öre, so der Duktus, die sich pro Person und Fahrt als Brauch bewährt.

So verbittet sich der Cheflogistiker Thomas Fux zu seinen 50. Geburtstag jede Ablenkung von Freunden, um alles wie gewohnt zu koordinieren und mehrere Handyakkuladungen leer zu telefonieren, damit  nirgends irgendein Promi oder gar ein gewöhnliche Gast oder ein Film hängen bleibt. Erst um Mitternacht knallt ein lange, laute Feuerwerkbatterie. „Die knallen so laut – das sind Polenböller“, wird gemutmaßt. Was sich, bei der nächsten Fahrt am nächsten Tag, als falsch erweist: Es war die preiswerteste legale Tschechenbatterie, die den Sportplatz erleuchtete. Wie danach Fux‘ Augen, als sein Geschenk heran geschoben ward: eine selbstgebaute Art Regiehochrollstuhl – flexibel und mit Weitblick.

Derartig unurbane, aber herzwärmende Erlebnisse bietend, steht bei sicher fast allen der 250 ehrenamtlichen Helfern, in den 20 Spielstätten in zehn Orten und vielen Stammgästen schon der nächste oberlausitzende Neißefischfilmfesttermin fett im Kalender: vom 7. bis 12. Mai anno 2019. Das Lausitzer Netzwerk – und damit diverse Protagonisten beider Lausitzer Filmfeste – trifft sich hingegen schon eher wieder: Am 6. November zur 15. Cottbuser Filmschau im „Weltspiegel“, mit der die 28. Edition des niederlausitzenden Filmfestivals eingeläutet wird.

Andreas Herrmann
Titelfoto: Das dreiköpfige Direktorium freut sich über einen neuen Zuschauerrekord: Ola Staszel, Antje Schadow und Andreas Friedrich. Foto: Andreas Herrmann

Info
www.neissefilmfestival.de; http://luzyca-film.de/

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