Filmfestival-Reporter Henning Rabe berichtet vom 28. FFC

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8. 11. 18

Bei manchen Filmen ist es wirklich von Vorteil, wenn man gut gefrühstückt hat. Weil sie einen sonst einfach zu sehr mitnehmen würden. Das ist auch bei dem armenischen Spectrum-Beitrag „Yeva“ von Anahid Abad der Fall: Yeva kommt mit ihrer kleinen Tochter in ein Dorf in Nagorny Karabach. Sie ist auf der Flucht, muss daher ihre wahre Identität verheimlichen.
Als ein Dorfjunge auf eine Mine tritt, und Yeva ihn zu retten versucht, wird offenbar, dass sie Ärztin ist, und damit eine andere, als sie vorgab. Die Dorfbewohner fangen an, Fragen zu stellen; langsam kommt ihr dunkles Geheimnis an den Tag …
Konventionell, dabei gekonnt inszeniertes und stark berührendes Kino mit einem clever zugespitzten Plot. Das Melodram um eine starke Frauenpersönlichkeit leuchtet nebenbei sensibel das Leben im bürgerkriegsgeschüttelten Südkaukasus aus.

IMG_5678Weniger subtil, sondern knallhart geht es in „Abgelehnt“ von Shanna Issabajewa aus Kasachstan zu. Tochter Aiganym kehrt zu ihrer Familie aufs Land zurück; mit ihrem Sohn, der außerehelich geboren wurde. Noch am Zaun sagen ihr die Verwandten, sie hätten keinen Platz für eine entehrende Hure. Bruder Kairat schlägt sie zusammen und lädt sie auf der Müllkippe ab.
Das ist nur der Anfang! Doch Kairat hat nicht nur Probleme mit der Familienehre, von mehreren Seiten belastet ihn finanzieller Druck. Zwei reichlich miese Geldeintreiber kommen ihn besuchen … Sollte ihn jemand anzeigen, weil er Aiganym krankenhausreif prügelt, wird die übliche Bestechung seine Schulden ins Unermessliche türmen.
Der harte Tobak hat den Hintergrund, dass in Kasachstan 700 Frauen jährlich durch häusliche Gewalt umkommen. Die in ihrer Heimat hochangesehene Regisseurin hat viel recherchiert und mit tollen Darstellern (siehe Fotos) einen empörenden Filmappell gedreht.

Dann wird es richtig regional. In der Hommage der Sektion „Heimat“ geht es um Bernhard Sallmann, einen Österreicher, den die Region Lausitz seit vielen Jahren umtreibt. Er ist ein behutsamer Beobachter, der sich um die Bewahrung der Kultur des Landstrichs und seiner natürlichen Räume einsetzt.
In „Die Freiheit der Bäume“ (einer von vier kürzeren Filmen) zum Beispiel zeigt er in ruhigen Bildern den Pückler-Park in Bad Muskau und unterlegt die Idyllen mit wohl gewählten Zitaten des Gartenbau-Theoretikers Pückler, die auffallend ins Heute passen.
IMG_5675 Der Film, der mich in dieses Programm gelockt hat, ist „Die Lausitz 20×90“ von 2004. Der Name ist Programm: Es werden zwanzig statische Einstellungen von Punkten in der Region gezeigt, die allesamt neunzig Sekunden andauern. Ich muss dazu sagen, dass ich ein großer Fan des amerikanischen Experimental-Filmers James Benning bin. (Der präsentiert etwa in „12 Lakes“ zwölf unbewegte, unkommentierte Aufnahmen von je zehn Minuten Länge!)
Aber nicht nur deshalb hat mich das Porträt der hiesigen Landschaft überzeugt. Es ging Sallmann darum, mit unbewegter Kamera die Essenz und die aktuelle Geschichte dieser Landschaft darzustellen, und das ist ihm gelungen! Wir sehen eine Birke, die halb ertrunken in einem wiederaufgefüllten Baggersee steht. Sehen Mondlandschaften und Abraumhalden des Tagebaus, Förderbänder, Wege, zaghaft aufsprießende Vegetation. Industrieruinen, neue erstehende Industrie. Ich denke, da hat er wortlos einiges auf den Punkt gebracht, was auch die Zuschauer im aus allen Nähten platzenden Oben-Kino empfanden.

IMG_5704Einen ebenso analytischen Blick auf eine liebgewonnene Region zeigt dann Roman Bondartschuk aus der Ukraine in „Vulkan“. Er beleuchtet den Landstrich nördlich der Krim (Region Cherson) zwischen den blauen Wellen des Schwarzen Meeres und den Steppen des Festlandes. So viel Absurdes fand er dort vor, dass es ihm nicht schwerfiel, einen irrealen, in das Reich der Phantastik spielenden Film zu erfinden, der das Publikum mal zum Lachen brachte, mal verstörte:
Lukas fährt eine reichlich arrogante OSZE-Mission als Fahrer umher. Sie bleiben im Nirgendwo stecken. Als er Hilfe geholt hat, ist das Auto der Beobachter verschwunden.

In einem nahen Ort wird er bestohlen, verliert alles, und ist plötzlich auf wundersame Weise in einem Flecken voller Rätsel und Rechtlosigkeit gefangen. Wie kann er dem verhexten Boden mit seinen seltsamen Bewohnern nur entkommen? Der Streifen ist eine Art „Alice im Wunderland“, nur von eher klaustrophobischer und schwarzhumoriger Natur. Ein origineller Beitrag, der Lust auf mehr von diesem jungen Mann macht.

 

Henning Rabe

 

#hermann_FFC28

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