Gelungene Premiere für neues Format: Literatur und Debatte

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(Cottbus, 9. Februar 2017) /// Das KunstKaffee Ölschalter im Kunstmuseum Dieselkraftwerk war am Dienstag bis auf den letzten Platz und ein paar Stühlchen, Hocker und andere Sitzgelegenheiten und Anlehnhilfen gefüllt. Das neue Veranstaltungsformat „Literatur und Debatte” hatte gerufen, und der Ruf, der ihm voraus- und in die hehren Räume hineineilte, hat wohl kaum einen enttäuscht.

_MG_1655Es erwies sich im Nachhinein als ein geschickter Schachzug, die Literaturreihe mit einem Drama zu eröffnen. Das Stück mit dem barocken Titel „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade” von Peter Weiss (1916 – 1982) ist selbst eine vielfältig gebrochene und unterbrochene, verfremdete, immer wieder verhinderte und behinderte, ironisch kommentierte und bösartig unterlegte Debatte, die vielfältige Reaktionen auf gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln. Die Schauspielerin und Regisseurin Anja Panse und die Schauspielerin Friederike Pöschel gaben in einer 90-minütigen szenischen Lesung mit sparsamen, aber gut illustrierenden Requisiten teilweise atemberaubende Einblicke in das Bühnengeschehen, die geschichtlichen Abläufe um das Jahr 1789 und folgende. Den Raum erfüllte der Streit zwischen dem Revolutionsbarden Marat, der den weltverändernden Umsturz um jeden Preis, mit Gewalt und Terror durch ziehen will, und dem resignierenden Marquis de Sade, der sich in die individuelle Nische zurückgezogen hat. Dazu die Mordtat der Charlotte Corday, der Versuch, die Revolution ihrem eigenen Blut zu ersticken. Eine szenische Lesung, die unter die Haut ging und bewirkte, was sie bezweckt hatte: die Diskussion, den Disput, die Debatte. Moderiert von den beiden Erfindern des neuen Formates, Anja Panse und dem Journalisten Thomas Klatt, entwickelte sich ein angeregtes, oft konträres Streitgespräch, das sich besonders um die friedliche Revolution von 1989, die Ereignisse von 1968 und solche Fragen drehte wie: „Was ist eigentlich eine Revolution?” und „Können Revolutionen überhaupt Erfolg haben?” haben. Hat nicht jeder seine eigene Revolution und entsprechende Erlebnisse? Ergibt sich nicht aus den wahren Geschichten und Schicksalen, die Menschen einander erzählen können, das richtige Bild einer Revolution?

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Demokratie, Rechtsstaat, Politik, Politiker und Parteien, deren Mangel an Glaubwürdigkeit und die Verdrossenheit, die sie hervorrufen, galten weitere Wortmeldungen, Einwände, Widersprüche. Demokratie sei kein Zustand, sie sei ein Prozess, eine Entwicklung, an der jeder mitzuwirken aufgerufen ist, sagt einer. Über

eine Stunde wurde diskutiert, und in kleinen Gruppen ging es weiter. Ein Erfolg für die Organisatoren, und Peter Weiss hätte es gefreut. Hatte er doch sein Stück nicht als historische Reminiszenz gewollt, sondern dafür, dass sic

h Menschen ihrer Stellung, Haltung, Wirkung in der Gegenwart bewusst werden und darüber reden.

Die nächste Veranstaltung „Literatur und Debatte“ – HERMANN-Leser wissen das schon – findet am 11. April statt. Dann geht es um das Buch „Mein Leutnant“ von Daniil Granin und wird sicher Diskussionen über Kriege in unserer Zeit, Rüstungswettlauf, Waffenexporte, Militärblöcke, NATO-Osterweiterung. Granin, mittlerweile 98 Jahre alt, bietet genug Stoff.

Klaus Wilke

 

 

 

 

 

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