hermann-Filmkritiker berichten vom 29. FilmFestival Cottbus

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Freitag, 8. November

Henning Rabe

Nach einem feinen Mittagstisch bei Ray’s Catering in die Stadthalle: Endlich mal ein Wettbewerbsbeitrag, der den Zuschauer (fast) die ganze Zeit bei der Stange hält. In „Schwester“ von Svetla Tsotsorkova steht die junge Rayna im Mittelpunkt. Sie lebt mit ihrer Mutter und Schwester hinter ihrer kleinen Töpferwerkstatt. Rayna ist ein sprödes Ding, das auch gerne mal die Unwahrheit erzählt. Um zu provozieren oder zum Spaß.

Regisseurin Svetla Tsotsorkova. Foto: Henning Rabe

Dann ist da auch noch Miro, ein bäurischer Macho, der mit ihrer Schwester befreundet ist. Einmal will ihm Rayna eine mit dem Wagenheber überziehen, ein anderes Mal erzählt sie, dass sie eigentlich heimlich mit Miro zusammen ist. Das gibt enorme Schwierigkeiten …
Im Spannungsfeld zwischen den vier Figuren entwickelt sich eine interessante Geschichte mit einer originell erzählten Hauptfigur. Gespielt von Monika Naydenova. Sie oder das Drehbuch Lubina-verdächtig.

In „Vollmond“ zeichnet Nermin Hanzagic ein düsteres Porträt seiner Heimat Bosnien-Herzegowina. Polizist Hamza schlägt sich in einer einzigen erzählten Nacht mit der Korruption unter seinen Kollegen und im Krankenversorgungs-System Sarajewos herum – seine Frau liegt im Kreißsaal …
Kritisches, dabei kurzweiliges Gegenwartsbild einer Gesellschaft voller Brüche.

Blaue Stimmung in der Fußgängerzone. Läuft! Foto: Henning Rabe

Dann geht es wieder in das schöne Dieselkraftwerk. In der Special-Reihe „Zwischen Bauhaus und Brutalismus“ läuft eine Reportage über Skopje, die Hauptstadt des bekanntlich kürzlich umbenannten Mazedoniens. Sascha Ban hat eigentlich eine ganze Serie von Reportagen für das kroatische Fernsehen gedreht. Zwei der acht Teile laufen in Cottbus.
In „Die Stadt, die zu modern war“ erzählt er die Entwicklung der Stadt nach dem katastrophalen Erdbeben von 1963, das eine völlig neue Bebauung nötig machte. Einheimische Architekten, teilweise unter der Führung des Japaners Kenzo Tange, schufen ein Paradies des Modernismus, mit viel Beton in kühnen Formen, getrennten Routen für Autos und Fußgänger und viel öffentlichem Raum.
Inzwischen sind viele der Gebäude heruntergekommen, einige übertüncht und mit anderen Fassaden versehen. Bedroht wird das Erbe der Stadt von einer Art Neo-Barock, den die rechtskonservative Regierung des Landes vorzieht und von anderen konzept- und wahllos im Zentrum der Stadt errichteten Kommerzbauten. Doch es gibt richtige Demonstrationen gegen diese Entwicklung, die vielleicht wenigstens ein wenig aufzuhalten ist.
Die zweite Folge muss ich auslassen, da der Besuch bei Knut Elstermann in der Radio Eins-Lounge ansteht. Wie immer ist er ein sehr zuvorkommender, hochsympathischer Gastgeber. Aus dem Gespräch nach dem Interview will ich nur einen Satz verraten: „Ich würde nie, aber auch niemals hier einen Regisseur interviewen, ohne seinen Film vorher gesehen zu haben.“ Guter Mann!

Mit Prof. Ralf Woll bei Knut Elstermann Foto: Mario Ewert

Nach der Sendung bleibe ich im Weltspiegel zur Langen Nacht der kurzen Filme, Teil 2. Es ist schwer, hier einen der sechs Filme hervorzuheben. Das Publikum wird am meisten mitgerissen vom urkomischen „Virago“ aus Estland, in dem alle Männer des Dorfs über Jahre durch Zufälle vor dem 40. Geburtstag sterben. Und das bittersüße „Havana, Cuba“ aus Rumänien, das genial geschnitten ist und einen von nichts mehr zu beeindruckenden Taxifahrer in Bukarest zeigt.
Am subtilsten geht „Die Stühle“ aus Aserbaidschan zu Werke. Eine Romanze, ungefähr so deutlich, wie sich der Schatten von Händen im Lichte einer Kerze an der Wand abzeichnet. Geht da was zwischen den beiden jungen Leuten? Nein, die strengen Traditionen eines Dorfes im Süden des Landes töten den zarten Keim einer kaum sichtbaren Liebe.

Foto: Henning Rabe

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