hermann- und radioeins-Filmkritiker berichten vom 27. FilmFestival Cottbus

0

Mittwoch, FFC17

Mein großer Vietnam-Tag beginnt mit Sonnenschein. Und mit „Das Leben meines Vaters” von Doang Hong Le im Gladhouse. Mit sparsamen Mitteln und Behutsamkeit zeichnet die Regisseurin das Leben ihres Vaters nach, der stellvertretend für die Generation der 1930er Jahrgänge in Vietnam steht. Es gab nichts Schöneres, als Lieder singend gegen die französischen Kolonialisten in den Kampf zu ziehen, erzählt er. Auf der anderen Seite ist ihm aber auch seine Jugend genommen worden, und er musste sieben Jahre lang getrennt von seiner Liebsten leben, bis sie sich wiederhatten.
Doang Hong Le1667Er glaubt immer noch an den Kommunismus, so wie er real nie erreicht worden ist, und bemängelt, dass die Jungen heute an gar nichts mehr glauben und nur Geld verdienen wollen.
Nach einem ehrlichen und günstigen Steak au four bei Geissler zurück nach Gegenüber. Das Oben-Kino ist so voll, dass auch die dazugestellten Stühle nicht alle Besucher fassen können. Heiterkeit kommt sofort bei „Meine Erlebnisse“ auf. In einem witzigen Selbstporträt zeichnet Nguyen Long Duc seine Gaststudenten-Zeit in der DDR der Fünfziger Jahre nach. (Erstaunlich coole Mode!)
In „Wir bleiben hier“ porträtiert Dirk Otto 1990 eine Gastarbeiter-Familie aus Vietnam. Die fünfzehn Jahre in der DDR waren auch nicht so einfach, erzählen sie, aber nach dem Mauerfall bezahlen sie 230 DM pro Bett und Monat im Wohnheim (!) und werden außerdem ständig angegriffen. Die Einheitsfeiern verfolgen sie lieber vor dem Fernseher …
Höhepunkt des Dreier-Programms: „Hör ich auf getreu zu sein“ (2010). Im sächsischen Moritzburg gab es zu sozialistischen Zeiten ein Kinderheim, in das vietnamesische Kinder zur Bildung (und mitunter Arbeit) geschickt worden waren. Die Kinder von damals machen sich als Erwachsene mit dem Zug (!) auf den Weg von Vietnam nach Deutschland. Sie erzählen Anekdoten von früher, im Saal wird viel gelacht. Parallel erzählen die Erzieher von damals. („Nach der Wende waren wir ja nichts mehr wert!“) – Als sich schließlich die ehemaligen Schüler und Erzieher treffen, brechen nicht nur auf der Leinwand so einige Dämme. Ganz starkes, berührendes Doku-Kino von Jan Zabeil.
In der nächsten Vorstellung kommt so eine Panne, wie sie zu einem Festival eben auch gehört: der falsche Film wird angespielt. Sofort springt Jörg Foth, Co-Regisseur von „Dschungelzeit“, ein und überbrückt mit lebendigen Erzählungen die sich hinziehenden Sucharbeiten nach den richtigen Rollen. Die Geschichte des einzigen DEFA-Films, der komplett in Vietnam gedreht wurde, ist eine authentische. Ein Deutscher aus der Strafkolonie in Afrika tritt nach dem Zweiten Weltkrieg in die Fremdenlegion ein, wird von den Franzosen nach Vietnam geschickt und läuft zu den Viet Minh über. Eigentlich ein aufregender Stoff …
Foth berichtete auch, dass der Film 1988 vom Publikum ziemlich ignoriert und von den Kritikern zerrissen wurde. Letzteres, da er mit internationalen Vietnam-Filmen konkurrierte und sich außerdem hervorragend als Frust-Ventil geeignet hätte. Es gab ein „Schlachtefest“ (O-Ton Foth). Jetzt, nach all den Jahren, werde ich mich nicht auch noch an so etwas beteiligen …
Schlecht war er nämlich nicht, nur etwas steif und unabenteuerlich.  Und die Schauspieler sprachen – wie gelegentlich bei der DEFA – wie auf einer Theater-Bühne; da werde ich manchmal echt ungehalten. Gefallen haben mir viele Landschaftseinstellungen und die Musik von Christoph Theusner (ja, der von „Bayon“.)

Askar Menduibajew1705
Zum Abschluss „Abschaum der Großstadt“ aus Kasachstan. Die Liebste eines jungen Mannes wird von einem Politikersöhnchen überfahren. Der bietet ihm in abgefeimtester Art und Weise ein Schweigegeld an. „Nimm schon, du hast eh keine Chance!“ Der Held (sparsam gespielt vom anwesenden Askar Menduibajew) beginnt einen unversöhnlichen Feldzug gegen Geldeintreiber, Zuhälter und Drogendealer – den titelgebenden Abschaum.
Lakonisches, nihilistisches Genrekino, das zugleich und deutlich unbequeme Fragen zu Korruption, Ethik und Moralverfall (bei gleichzeitig aufkommenden Sunni-Puritanismus) in Kasachstan aufwirft.

Henning Rabe

Bilder:

Henning Rabe trifft Knut Elstermann. Foto: TSPV

Doang Hong Le im Gladhouse. Foto: Henning Rabe

Askar Menduibajew. Foto: Henning Rabe

Teilen.

Hinterlasse eine Antwort