hermann- und radioeins-Filmkritiker berichten vom 27. FilmFestival Cottbus

0

Weltkriege und Kriege mit sich selbst

Was für ein Tag! Eine Sache, die ich am Filmfestival so liebe, ist das man sich mehrmals am Tag auf neue Eindrücke, Charaktere und vor allem Geschichten einlassen muss. Als häufiger Wechsler von Vorstellunge kann man sich nicht wie im Kino einfach zurücklehnen, sondern man muss ständig sein Gehirn auf null zurückspulen. Doch auch den zweiten Tag habe ich ohne Probleme gut überstanden! Erst ging es für mich zur Kombination dreier Kurzfilme im Gladhouse genannt „halblangxdrei“ in meiner Kategorie U18. Leider konnte ich es aus zeittechnischen Gründen nur zu den ersten beiden schaffen, da ich dann 19:30 unbedingt zu dem Film „Barefoot“ von Jan Svêrák gehen wollte. Daher werde ich heute nur den Kurzfilm „Hikokomori – Leben durch die Linse“ und den Film „Barefoot“ für euch reviewen!
„Hikokomori“ ist mit Abstand der beste Film, den ich bis jetzt von den „U18″ Leuten sehen durfte. Er handelt von einem Phänomen, dass vor allem in Japan beobachtet werden kann. Dabei isolieren sich Menschen über Tage bis Jahre komplett von der externen Welt und schließen sich in ihren eigenen vier Wänden ein. Bis zu 700,000 Japaner leiden an dieser Krankheit, aber auch internationale Fälle sind bekannt. In der dramatischen Verfilmung von Arkadij Khaet, Leonard Ostermeier und Mickey Paatzsch wird genau diese Störung durch den Protagonisten Nino zum Leben erweckt. Er ist sozial komplett abgeschottet, außer wenn er nachts durch seine Kamera Menschen auf der Straße fotografiert oder mit der Sushi-Lieferantin Klopfsignale durch die Tür sendet. Auch wenn dieser Film nur 31 Minuten lang ist, hat er mich total in Ninos Welt hineingesogen. Die Untermalung wichtiger Szenen mit der tollen Musik erweckte den Wunsch in mir, dem jungen Mann einfach zu zeigen, wie wunderschön und wertvoll sein Leben ist. Natürlich werde ich das Ende nicht einfach so herausplaudern, aber die Angst vor dem Fremden und der Kampf mit seinen inneren Dämonen wurde so realistisch, aber auch humorvoll dargeboten. Ein klasse Streifen, und ich sage das nicht nur, weil er aus meinem Heimatland kommt!
„Barefoot“ versetzte mich geschichtlich ein ganzes Stück zurück, nämlich in den Zweiten Weltkrieg um 1943 in Tschechien. Die Geschichte handelt vom jungen Eda und zeigt die Zeiten des Krieges durch seine unschuldigen Kinderaugen. Was doch ein so ernstes Thema ist, wird von den Filmemmachern oft mit trockenem Humor oder wunderschön inszenierten Abschnitten zu einem wahrhaften Abenteuer gemacht. Der Horror des Krieges wird dadurch in keinster Weise verleugnet, aber man kann sich in dem Leben des Jungen für ein paar Minuten verlieren. Er muss mit seinen Eltern in die Heimat seines Vaters fliehen und wird dort von einer exklusiven Gruppe aufgenommen, die bald seine besten Freunde werden. Vom Lernen über trockenes Gras zu laufen bis hin zu dem charmanten Jungen,, der mit einem motorisierten Rollstuhl durch die Straßen fegt – der Film ist einfach ein Meisterwerk. Der gesellschaftskritische Aspekt kommt auch nicht zu kurz. Szenen wie das Verweigern des Hitlergrußes oder des Lehrers, der seine Schüler lieber Vögel als Propaganda hören lässt, sind so kraftvoll und wichtig für solch einen Film. Letztlich hat mich auch besonders die geheime Beziehung zwischen Eda und seinem verbannten Onkel berührt. Dieser sogenannte „Wolf“ wird von seiner ganzen Familie komplett gemieden, aber Eda gibt ihm trotz aller Warnungen eine Chance. Aus diesem Film kann man nur herausgehen und sagen „War das schön!“.
Marie Bernards

Bild: Im Gespräch: Der Regisseur des Films „Barfuss“, Jan Svěrák. Foto: TSPV

Teilen.

Hinterlasse eine Antwort