hermann und radioeins-Filmkritiker Tom Zisowski berichtet vom 28. FFC

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8. November

Crystal Swan

In Weißrussland, wenige Jahre vor der Jahrtausendwende, konzentriert sich dieser Film auf einen jungen Geist, der auf erfrischende Art und Weise eine absolute Überdrüssigkeit alles Alltäglichen und Gewohnten gegenüber an den Tag legt: Evelina lebt ihre Überzeugungen, ihre Individualität hat Vorbildcharakter und in Momenten, in denen ihre Umwelt eine Augenbraue hebt, gelingt es ihr, weder in Scham noch in hochnäsigen Trotz zu verfallen.

Der Film überrascht durch die Mühelosigkeit, spezifische kulturelle und politische Themen in die Rahmenhandlung einzubinden: Ob die schrulligen Mütterchen, politische Themen wie die Altersarmut oder die Bewusstseinsveränderung, die plötzlich erlebbare Form der Selbstreflexion eines Jungen in einer chauvinistischen Gesellschaft – der Film glänzt durch anregende Kurzweiligkeit.

Via Carpatia

Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihren Vater das letzte Mal im frühen Kindesalter erlebt, wie er mit einem Schuh nach Ihnen schmiss, sind jetzt schon einige Jahrzehnte erwachsen und werden von Ihrer Mutter vor Ihrem Urlaub gefragt, ob sie diesen Mann, einen Flüchtling, nach Polen nachhause schmuggeln können – diese makabere Situation ist der Grundstein dieses Films, vieler Fragen und vieler Probleme. Das Eintauchen in eine humanitäre Krise begründet durch eine verwandtschaftliche Bindung ist ein genialer Einfall. Die Protagonisten sind zunächst schlicht überfordert und werden sich der Situation erst nach und nach gewahr, was ihnen unverhofft grausame Zweifel kommen lässt…Kann ich dieses Risiko aushalten? Was bin ich diesem Menschen schuldig? Kann ich mich, wissend, dass dort draußen ein Mensch alle Hoffnung auf mich setzt, dieser Verantwortung entziehen und mein Leben einfach so führen wie bisher? Eine Geschichte über den inneren Kampf mit einer Aufgabe.

Abgelehnt

Wer kann hier in Deutschland von sich behaupten, zu wissen, was es bedeutet, von seiner Familie verstoßen zu werden? Und was es bedeutet, sie trotzdem wieder aufzusuchen? Sie ahnt, dass es nicht leicht wird, dass es unvorstellbar unwahrscheinlich ist, dass es gelingt. Sich die starken Mächte der familiären Hierarchie vergegenwärtigend sucht sie Kraft in der Natur und der Erinnerung…und beschließt, standhaft zu sein. Standhaft wie ein Mensch, der alles daran setzt, dem Strom zu trotzen, lässt sie alle Gewalt, allen Jähzorn, allen Hass, alle Verunstaltungen, alle animalischen Schläge über sich ergehen. Nie war Schmerz eindringlicher als in diesem Film.

Einen zusätzlichen Blickwinkel ermöglicht eine Zugezogene, eine, die nichts mit diesem Stück Land, mit diesen Menschen verbindet, die die Absurdität der Verwurzelung, der Heimat unter diesen Bedingungen bloßstellt. Aufwühlend. Atemberaubend.

 

Tom Zisowski

 

#hermann_FFC28

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