Lassen Sie uns doch mal über den Wandel sprechen. Alles ist ein ewiger Kreislauf, heißt es. Etwas entsteht, etwas existiert, etwas verschwindet wieder. Es klingt so banal, und doch trifft uns der Wandel viel zu oft vermeintlich aus heiterem Himmel.
Wie ich darauf komme? Jeder hat doch diese Ecken, mit denen er oder sie etwas Bestimmtes verbindet. Meine Ecken, das ist mir erst kürzlich bewusst geworden, existieren zu einem nicht unerheblichen Teil gar nicht mehr. So wie die Ruine der alten Fabrik nahe des Staatstheaters, in deren oberen Etagen noch alte Maschinen und verrottende Schreibtische standen. Mit etwas Glück fand man in den Schubläden alte Akten oder Notizbücher, Funde die an sich so aufregend waren, dass der Inhalt zweitrangig wurde. Oder der Viergeschosser mit der Kellertreppe auf der Rückseite, auf der meine Freunde und ich das allererste Mal harten Alkohol probiert und ebenfalls das allererste Mal dem Alkohol abgeschworen haben. Steht auch schon lange nicht mehr.
Die Stadt verändert ihr Bild, erfindet sich in den letzten Jahren zunehmend neu. Der angesprochene Schwund ist nur eines der Symptome, ein auf lange Sicht viel folgenreicherer ist der kleine Bau-Boom im Zentrum. An der Cottbuser Peripherie sind in den letzten Jahren gefühlt ganze Stadtteile verschwunden, zeitgleich wird zwischen Bahnhof und Bonaskenplatz alles zugebaut was im entferntesten Raum bieten könnte für ein paar lauschige Eigentumswohnungen. Tausche Freiraum gegen Wohnraum, die urbane Einbetonierung schreitet voran. Oder: Die geballte Spießigkeit findet ihren Platz im Herzen des Wandels. Wünschen wir uns nicht alle ein klein bisschen Sicherheit? Wie wäre es denn mit einem Anker als perspektivischem Klotz am Bein, sozusagen dem sizilianischen Badelatsch in Maisonette und mit eigener Tiefgarage.
Was mich daran wirklich stört, ist, was diese teilweise nachfrage-, in Cottbus aber vermutlich viel mehr angebotsgesteuerte Gentrifizierung mit den so charakterstarken Ecken jeder Stadt macht. Diesen langsam aber sichtbar dem Verfall preisgegebenen Gebäuden, in denen ein paar Widerwillige kleine Kneipen und Second-Hand-Läden betreiben oder ihre Altbauwohnungen mit den knarzenden Holzfußböden mit Ofenheizungen warmhalten.
Auf kurz oder lang, so passiert es immer, werden damit auch die Mieten steigen. Ich möchte gar nicht den Teufel an die Wand malen, nicht nur, weil Gradlinigkeit nicht immer meine größte Stärke ist. Cottbus ist nicht Potsdam, bisher bleiben die Mieten hier im Vergleich relativ stabil. Aber das wird nicht immer so bleiben. Cottbus sucht Perspektiven, Cottbus soll sich entwickeln. Anstatt Eigenständigkeit sieht es derzeit so aus, als rutschten wir wieder in eine gewisse Art von Abhängigkeit: Cottbus als perspektivisches Auffangbecken für das überquellende Berlin. So befürchtet es zumindest der Senat, die kleine Stadt am bald großen Ostsee könnte für viele Großstädter zunehmend Anziehungskraft entfalten. Praktisch, dass in nur vier Jahren der Bahnhof als derzeitiges Paradebeispiel ostdeutscher Wellblechromantik in neuem Glanz erstrahlen wird. Und dort, wo rund herum einst monströse Plattenbauten hunderten Menschen bezahlbaren Wohnraum in bester Lage boten, sollen bald wieder neue Wohnungen aus dem Boden schießen. Die Nachfrage steigt. Letzten Endes ist doch alles ein ewiger Kreislauf, heißt es. Miete oder Eigentum? Lassen wir uns überraschen.
Sebastian Schiller