Kolumne Mai 2020: Pandemiegedanken

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Wir werden uns trennen müssen. Es geht nicht mehr. Wenn wir ehrlich sind, dann hat das Ganze doch noch nie funktioniert. Ich habe dich viel zu oft ignoriert, deine Bedürfnisse missachtet. Und du hast mir dafür ebenso wenig Liebe geschenkt. Hast dich in die Sauferei gestürzt, wolltest immer mehr, wurdest unleidlich, wenn du nichts zu trinken bekommen hast. Wurdest oft genug auch ein bisschen braun, wie die alten Männer beim Feierabendbier in der Gartenkneipe. Der Punkt ist erreicht, an dem ich mir eingestehen muss: Pflanzen passen einfach nicht zu mir. Ich habe keinen grünen Daumen, nicht mal einen grünen Fingernagel. Was irgendwie auch nicht so klingt, als wäre es sonderlich gesund. Corona und die vielen Zusatzstunden in den eigenen vier Wänden geben mir die Zeit, über so etwas nachzudenken. Es ist schon teilweise befremdlich, worüber man sich jetzt plötzlich Gedanken macht. Einfach, weil die Zeit dafür da ist oder eklatante Missstände offener und eindringlicher ins Auge fallen. Diese eine Spinnwebe zum Beispiel, die seit Wochen in der Schlafzimmerecke hängt. Bislang hat sie mich nicht gestört, immerhin hat sie ihre Daseinsberechtigung völlig neu definiert und fängt anstatt Fliegen nun Staub. Aber damit ist jetzt Schluss! Das Arbeitszimmer müsste auch mal gründlich aufgeräumt werden, genauso wie der Keller. Letzteres ist mir aber auch jetzt noch egal, so verzweifelt bin ich nun auch nicht. Der Balkon, noch so eine Baustelle. Wenn man nahezu täglich darauf steht, fällt auf, dass ein abgewetzter Tisch und zwei dreckige Stühle nicht mal annähernd als Wohlfühloase durchgehen. Und dann ist da die Sache mit den Pflanzen. Ich habe alles versucht. Ihnen gut zugeredet, sie gestreichelt, meinen feinsten Tropfen Rohrperle mit ihnen geteilt. Zum Dank zeigen sie mir jedes Mal aufs Neue den kleinen braunen Mittelfinger. Aber machen wir uns nichts vor, auf kurz oder lang wird der Balkon trotzdem wieder begrünt. Denn trotz aller Probleme: Die Vorteile liegen auf der (grünen) Hand. Pflanzen sind gute Zuhörer, widersprechen nicht und sind im besten Fall auch noch essbar. Ein Versuch des Bayrischen Rundfunks hat zudem gezeigt, dass besprochene Tomatenpflanzen wesentlich mehr Ertrag bringen als ihre ignorierten Artgenossen. Ob das in der Hoffnung passiert, der Mensch würde mit vollem Mund endlich den Sabbel halten, wurde nicht untersucht. Wenn man es so sieht, sind Pflanzen von Corona noch schlimmer gebeutelt als der Mensch. Wenn ich so darüber nachdenke, war das mit der Trennung vielleicht doch eine blöde Idee. Vertragen wir uns wieder?

Sebastian Schiller

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