Die Faszination des Franz Moor

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Die Schauspielerin Lisa Schützenberger über ihre Kunst und eine Traumrolle

Das Staatstheater Cottbus hat angekündigt, am 1. März 2021 den coronabedingt unterbrochenen Spielbetrieb wieder aufnehmen zu wollen. Da jetzt unentwegt geprobt und Inszenierungen vorbereitet werden, andere bereits aufführungsbereit sind, erwartet uns ein ereignisreiches Frühjahr. Eine dieser Produktionen heißt „Knochen” und hatte am 31. Oktober 2020 Premiere. Lisa Schützenberger gehört zu den vier Schauspielerinnen (außer ihr Sigrun Fischer, Ariadne Pabst und Rika Weniger), die den Abend in der Kammerbühne gestalten. Gelegenheit zu einem Gespräch mit ihr.

Lisa Schützenberger Foto: Birgit Hupfeld

Meine geschätzte langjährige Journalistenkollegin Ida Kretzschmar hat vor Jahren nach einer Theatervorstellung und einer Begegnung mit Lisa Schützenberger über deren komödiantisches Talent geschwärmt: „Sie vermag regelrecht zu fliegen.” Ein schönes, stimmiges Bild, das diesen in allen Belangen flinken Bühnen-Tausendsassa treffend charakterisiert. Ich brauche, um nicht zu plagiieren, ein anderes, worin sich die Max-Grünebaum-Preisträgerin von 2018 und der Publikumsliebling auch wiedererkennt. Wie wäre es mit diesem Bild: Jeder Cottbuser Theaterbesucher, wenn er Lisa Schützenberger auf dem Programmzettel weiß, ist angesichts des zu erwartenden teatralen Funkenfluges angehalten, mit gut imprägnierter Kleidung zu kommen, da die gebürtige Grazerin, wenn Komödie gespielt wird, unter Einsatz aller Gestik und Mimik, mit der Bewegung aller Körperteile ein Feuer der Komik auslöst. Dieses zu löschen ist kaum möglich und auch nicht wünschenswert.

Jener Hinweis auf die „Flugeigenschaften” der jungen Schauspielerin bezog sich auf ihr Cottbus-Debüt in der Komödie „Die spanische Fliege”.  Aber nicht immer ist Komödie. Bald nach jenem lustigen Stück Theater spielte sie an der Seite von Gunnar Golkowski die Titelrolle in „Mamma Medea” von Tom Lanoye.  Mario Holetzeck führte Regie. Eine im doppelten Sinne sagenhafte Medea. Zu dieser Medea gehört aus Lisa Schützenbergers Perspektive eine andere überraschende Geschichte. „Fliege” und „Medea” waren ihre ersten Arbeiten im Staatstheater Cottbus. Dorthin hatte sie sich nach ihrer Schauspielausbildung an der Kunstuniversität Graz und einem Erasmus-Studium (das ist ein EU-Förderprogramm) an der Universität der Künste Berlin beworben.

Zum Vorsprechen eingeladen, stellt sie sich in einer Traumrolle vor: „Franz Moor.” Eine Frau als einer von Schillers „Räubern”?  Die Schauspielerin: „Ich mag Figuren, die Abgründe haben. Franz Moor ist ein Schurke, gewiss, aber klug und gewieft. Und dabei unheimlich vielschichtig; denn er strotzt vor Bosheit, kindlicher Kränkung und ist gleichzeitig in seiner Gefährlichkeit verführerisch und wickelt Menschen um den Finger. So eine Figur nenne ich eine Herausforderung. Damit habe ich mich in Cottbus vorgestellt. Und ich freue mich auf  weitere solche faszinierende Aufgaben.” Was sie damals vielleicht nicht wusste, war, dass sie bei Holetzeck als einem landete, der mit spannenden, aufregenden Bildern lebt und sie auf die Bühne bringt. Rollen haben da keine Geschlechtsschranken. Immerhin war bei ihm König Lear eine Dame, die Schauspielerin Heidrun Bartholomäus. „Ich denke, dass mein Franz Moor den Schlüssel hatte, der mir die Tür zur Medea geöffnet hat. Auch so eine vielschichtige, tiefgründige Figur mit einer unheimlichen Zahl von Gefühlsfacetten. Bei allem Stolz über die große Rolle fühlte ich mich doch ins kalte Wasser geworfen. Damit kann dieser Mario aber umgehen. Er versteht es, Menschen zu führen und lässt sie eigene Schritte ausprobieren. Man schöpft ja aus dem eigenen Leben, schenkt etwas von sich her. Zugleich gewinnt man in so einer Rolle, für sich, für das eigene Leben, für den Umgang mit anderen.”

Die junge Schauspielerin in „Knochen” (Text und Regie: Jonas Corell Petersen)
© Marlies Kross

Kommt man als Schauspielerin von so einer Figur wieder los? „Loslassen muss man schon. Aber loslassen ist nicht gleich wegwerfen. In sich aufbewahren, die neugewonnene Erfahrung speichern und, wenn gebraucht, zur Verfügung haben, um sie wieder zu hinterfragen. Theaterspiel kennt keine Pause.” So ist sie: Es kann ein Stück sein, was ihr gar nicht gefällt. Aber sie findet immer eine Botschaft in ihm, für deren Verbreitung sie sich verantwortlich fühlt. Ihre Figur im Stück gewinnt dadurch. Auch im „Knochen”, einem Stück über die Sinnhaftigkeit der menschlichen Existenz, über Mythen und Macken unserer Gegenwart, über Herkunft und Zukunft, in dem vier wellnesserprobte Damen zwischen titelgebenden Knochen und tatsächlichem und symbolischem Schlamm über ihre Befindlichkeiten lamentieren. Lisa Schützenberger: „Man hat das Gefühl einer Endlosschleife von Gewalt, die die Entwicklung der Menschheit bestimmt. Eine Spirale der Grausamkeiten, wo es doch so viele Möglichkeiten sinnvoller Betätigungen gibt. Außerdem eine Botschaft: Schließlich sind alle Menschen irgendwie und weitläufig miteinander verwandt.”

Sie hat ja außer der Medea wunderbare Frauenfiguren darstellen dürfen: die Gräfin Orsina in „Emilia Galotti”, Abigail Williams in „Hexenjagd”, Jelena Andrejewna in „Onkel Wanja”, alle enttäuscht, verschmäht, missachtet, in ihrer Ehre tief gekränkt. Alle reif für Sigmund Freuds Couch. Aber was der große Seelenmakler auskundschaften würde, das zeichnet sich ab auf dem Gesicht der Schauspielerin, bewegt ihre Mimik und Gestik. Einer, der sie kennen muss, aus Gesprächen, Proben, Inszenierungen, ist Jo Fabian, Regisseur und ehemaliger Schauspieldirektor. Für sie ein wahrer „Philosoph”, der Zuschauer zu Mitautoren, Konsumenten zu Mitgestaltern macht. In seiner Laudatio zur Verleihung des Max-Grünebaum-Preises sagte er: „Ihre Frauenfiguren können kokett und verspielt und im nächsten Moment furchterregend und geheimnisvoll sein. Komisch und naiv, hemmungslos und liebevoll, besitzergreifend oder auch überkandidelt. Vor allem aber unberechenbar.” Übrigens wurde Lisa Schützenberger für Medea und Abigail vom Jahrbuch  der Zeitschrift Theater als beste Nachwuchsschauspielerin nominiert.

Ist ihr das alles schon in die Wiege gelegt worden? „Ich muss mich da auf die Erinnerungen meiner Mama stützen. Danach war ich zuweilen ein recht ruhiges Kind, das seine Umgebung und Mitmenschen beobachtete. Dann wieder gab es Phasen, wo ich aus mir herausgegangen bin. Eines Tages nahm mich mein Bruder mit ins Theater. Ich war beeindruckt: Da wollte ich auch hin: auf die Bühne. Wo ich mich auf meine eigenen Erinnerungen verlassen kann, da war ich Ulknudel, Faxenmacherin, Clown und hatte Freude daran,, andere zu amüsieren, zu bespaßen. Eine Tante war Schauspielerin. Ich habe sie damals in Agatha Christies Welterfolg ,Die Mausefalle` gesehen. Mein Bruder und ich haben Szenen daraus zu Hause im Keller nachgespielt. Das muss zuweilen recht gruslig geklungen haben.  Vor allem aber habe ich, ehe ich mich für das Schauspiel entschied, getanzt und getanzt und getanzt, alles, was modern war.”

Das hat sie sich erhalten. Nochmals Zitat Jo Fabian: „Tanzend, singend, spielend – sie verfügt über alle erdenklichen Mittel.” Das macht ihr Theaterspiel, manche reden vom „Ereignis Schützenberger”, so lebendig. Wer sie kennt, stimmt zu: Sie würde auch das Telefonbuch glaubwürdig von der Rampe bringen. Aber dann doch besser mal – wer weiß, wann? – den Franz Moor. Oder – dies vielleicht schon bald – die Lisa im „Knochen”.

Klaus Wilke

 

 

 

 

                                                                                                                                                   

 

 

 

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