Mein Bücherbord – Die letzten Tage von Rungholt

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„Kleiner Mann – was nun?”, „Wolf unter Wölfenʺ, „Wer einmal aus dem Blechnapf frisstʺ sind nur drei Titel, die wir Hans Fallada (1893 – 1947) verdanken. Was für einem dramatischen, teilweise erbärmlichen Leben diese großartigen Romane abgerungen wurden, macht Peter Walthers Buch „Hans Fallada. Die Biographie” (Aufbau, 25 EUR) auf ebenso spannende wie wunderbare Weise deutlich. Dieses Leben zwischen heimischem Schreibtisch, Kliniken und Gefängnissen, zwischen Zwangsvorstellungen und  Schreibrausch, angetrieben und zugleich gestoppt von Drogen, Alkohol und Zigaretten, ist noch nie, obwohl es eine ganze Reihe von Fallada-Biografien gibt, so detailliert nachgezeichnet worden. Peter Walther baut uns die Brücke zu dem Schriftsteller, indem er zahlreiche bisher unbekannte Archivmaterialien, darunter 8.000 Briefe, gesichtet, ausgewertet und erzählerisch umgesetzt und dokumentiert hat.

Die Cottbuser Schriftstellerin Franziska Steinhauer hat sich wieder gemeldet – und das gleich mit zwei Büchern. Mich interessierten aber in ihnen nicht so sehr die Krimi-Effekte, obwohl die durchaus vorhanden sind, sondern die Gestaltung einer menschlichen Gemeinschaft, in der Verbrechen möglich sind und geschehen. In „Fluch über Rungholtʺ (Gmeiner, 11,99 EUR), das 1362 auf einer nordfriesischen Insel spielt, werden zwei Mädchen unter dubiosen Umständen getötet. Rungholt geht Tage später unter. Die Menschen, die es mit sich zieht, besitzen alle Keime dieses Untergangs. Wie diese beiden Untergänge miteinander verflochten sind, das erinnert an „Die letzten Tage von Pompeji”. Interessant die Figur des Orientalen und Zeitreisenden Shalid, dem wir sicher in späteren Romanen wieder begegnen. Auch das „wahre Verbrechen” eines Massenmörders, das Franziska Steinhauer in dem Romanporträt „Der Werwolf von Hannover. Fritz Haarmann” (Gmeiner, 12,99 EUR) schildert, gewinnt an  Tiefe, indem sie das Authentische durch zwei Parallelhandlungen, das Schicksal eines Verschwundenen und die Beobachtungen und Spekulationen von  Zeitungsleuten, ergänzt.

„…und niemand wird es je erfahren” ist der Wunschtraum eines perfiden Arztes vor über 30 Jahren und zugleich der Titel des neuen Romanes (Regia, 12 EUR) von Maxi Hill. Wegen eines drohenden Gendefekts bei den eigenen neugeborenen Zwillingen nötigt ein Arzt eine von ihm abhängige Schwester, die Babys zu vertauschen. Nach 20 Jahren kreuzen sich die Lebenswege der vertauschten Kinder. Die ungeahnten Folgen, die dramatischen Wendungen und diffizilen Reaktionen hat Maxi Hill in gewohnter Manier erzählerisch aufbereitet. Wir bibbern mit den Betroffenen, sind wütend auf den Schurken, fühlen uns gut unterhalten und lernen eine Menge. Das ist wie einst bei Simmel – famos.

Klaus Wilke
Foto: © TSPV

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