Gab es eine Boheme, ein freies Künstlertum, in der DDR? Ja, gab es. Auf spannende und eindrucksvolle Weise gibt die Publizistin und Essayistin Jutta Voigt in ihrem Buch „Stierblutjahre“ (Aufbau, 19,95 EUR) Einblicke in die Szene. Man begegnet vielen, vielen bekannten Namen aus allen Kunstbranchen. Die Freiheiten, die ihnen vorenthalten wurden, nahmen sie sich, wie sie auch die Risiken, die damit verbunden waren, nahmen. Exzessive Feste ohne polizeiliche Genehmigung, Jazz, Alkohol, Sex und Rausch ersetzten Defizite im Lebensgefühl. Wer zurückblicken und in Tristess Erregendes erfahren will, findet hier ein wunderbares Buch.
Der Kabarettist Bernd-Lutz Lange sieht sich, 72, als Auslaufmodell. Und nun zieht dieses/ er Bilanz. Mit Humor, Ironie und Kurzweil denkt er an ein untergegangenes Land zurück, das schon längst kein Auslaufmodell mehr ist, und stellt immer wieder fest: „Das gabs früher nicht“ (Aufbau, 19,95 EUR) und meint die DDR. Die verherrlicht er nicht. Fehlende Reisefreiheit. politische Bevormundung, strikter, verordneter, erzwungener Atheismus waren und sind ihm ein Gräuel. Dass an die Stelle des Kommunismus der Konsumismus, an die Stelle von Propaganda Werbung, an Stelle von Desinformationen die Überinformation getreten sind, bedeutet für ihn neue Formen der Manipulation. Lange schreibt ganz kurze Texte, die man auch ganz außer der Reihe lesen und an denen man sich reichlich vergnügen kann.
Rechtzeitig zu Wolf Biermanns 80. Geburtstag am 15. September sind seine Autobiografie „Warte nicht auf bessre Zeiten“ (Propyläen, 28 EUR) sowie Lieder und Gedichte unter dem Titel „Bernstein der Balladen“ (Propyläen, 24 EUR) erschienen. Der schnoddrige Ton der Autobiografie wird manchen seiner Leser oder erklärten Nicht-Leser bestätigen. Andererseits ist er die Würze dieser frischen, frechen Lebensdarstellung. Biermann rechnet ab, zuweilen unflätig. Sachlichkeit ist nicht sein Ding, oder ist es nur, wenn einer mit ihm konform geht. Eine Delikatesse sind seine Balladen. Auch hier nimmt er kein Blatt vor den Mund. Da stehen Villon, Heine, Tucholsky Pate. Zur Freude derer, die sich nicht angegriffen oder verspottet fühlen müssen. Doch wenn Biermann schreibt oder zu seiner Gitarre greift, weiß er, dass „der Angstschweiß der Büroelephanten“ fließt.
Klaus Wilke
Foto: Lesen in allen Situationen mit Klaus Wilke (© TSPV)