Mein Bücherbord Okt 2021

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„Ich sag’s ja, typischer Indianerhumor”

Aufbau, 488 Seiten, 24 EUR

Louise Erdrich erzählt in ihrem neuen Roman „Der Nachtwächter” (Aufbau, 488 Seiten, 24 EUR) von einer Vertreibungskampagne in den USA der 50-er Jahre, in der indigene Bevölkerung Grund und Boden und Existenz verloren. Sie nutzt dafür Archivüberlieferungen und schriftliche Dokumente aus der eigenen (deutsch-amerikanischen indianischen) Familie. Diese Authentizität ergänzt sie durch sensibel erfundene Figuren, die sind in eine Szenerie hineinsetzt, die die Lebenssituation dieser Randgesellschaft facettenreich und humorvoll abbildet. Das ist Erdrich so bewusst, sagt doch eine ihrer Figuren: „Ich sag’s ja, typischer Indianerhumor.”

dtv, 286 Seiten, 22 EUR

Man lasse sich von diesem Titel nicht irreführen;  es ist kein Sciencefiction. „Raumfahrer” ( ) von Lukas Rietzschel, ein Lausitzer Autor aus Görlitz, zeichnet ein detailreiches, interessantes Porträt einer Nachkriegs- und Nachwendefamilie, in deren Mittelpunkt der junge Krankenpfleger Jan steht. Mit der Metapher vom „Raumfahrer” gelingt dem Autor ein feines Bild von einer Gesellschaft im Schwebezustand. Da er dies mit biografischen Andeutungen aus dem Leben des ostdeutschen Malers Georg Baselitz und dessen Bruders verzahnt, entsteht ein packendes Zeitbild, in dem sich jeder ostdeutscher Leser irgendwie gespiegelt findet.

Hanser Berlin, 156 Seiten, 20 EUR

Was für Schicksale das Leben manchmal zusammenführt. Hier steht das gleich im Buchtitel: „Papa stirbt, Mama auch” (Hanser Berlin, 156 Seiten, 20 EUR). Maren Wurster erzählt darin über den Abschied von den Eltern.  Der Vater liegt, vom Krebs zerfressen, auf der Intensivstation, die Mutter ist dement. Was zählen da eigene Erinnerungen, mit Erlebnisbruchstücken der Eltern ergänzt? Wie viel zählt ein Leben, wenn es so endet? Ein Buch, das viele Fragen aufwirft und zum Nachdenken über die eigene Existenz und den Sinn des Lebens anregt.

Hanser, 955 Seiten, 34 EUR

Katzen, sagt man, hätten sieben Leben; Engländer sprechen sogar von neun. Michael Köhlmeier greift diesen Gedanken in seinem Roman „Matou” (Hanser, 955 Seiten, 34 EUR) auf. Das Buch vom Format eines Ziegelsteins baut aus dem Leben, nein den sieben Leben eines Katers ein voluminöses Gebäude, in dem zahlreiche Erzählungen, Diskurse, Anekdoten, Episoden Platz finden, die zwischen   Französischer Revolution und der heutigen Zeit angesiedelt sind. Ja, manch ein Leser mag die abgeforderte Geduld nicht aufbringen, aber der verpasst höchst vergnügliche Reisen zwischen Zeiten und Räumen, unerhörte Begegnungen und überraschende Erkenntnisse. Immerhin: Der Kater denkt, spricht und schreibt Menschensprache und philosophiert: „Was ist ein Mensch?”

Klaus Wilke

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