Nach Ende des ersten Weltkrieges ging ab 1919 ein kurzer, fast heiterer Ruck durch Mitteleuropa. In unserer jüngeren und vitaleren Nachbarrepublik, südöstlich gelegen, lief sie gar noch fünf Jahre weiter als hier – bis die großdeutsche Annektion 1938 eines Teils der Tschechoslowakei die Zeit zurückdrehte.
Doch fünfzehn Jahre Bauhaus hier (und zwanzig da) haben die Weltarchitektur geprägt. Diese Blüte, ausgehend vom Bauhaus, welches erst in Weimar und ab 1925 in Dessau residierte, wird dort groß gefeiert. Aber auch in Löbau.
Denn dort gibt es, ausgehend von dem grenzüberschreitenden EU-Projekt „Topomomo“ und angesiedelt im Haus Schminke, eine erste Übersicht über die wichtigsten Beispiele des neuen Bauens – 32 größtenteils faszinierende Gebäude, zusammengefasst in einem Reiselesebuch mit fünf Touren im Dreieck zwischen Bautzen, Weißwasser und Jablonec. Das schicke blaue Buch mit 180 Seiten, für knapp zehn Euro vor Ort, im Dresdner Stadtmuseen und auserwählten Buchhandlungen erhältlich, ist einerseits Reiseführer, andererseits der erste Schritt, damit das Bauhausjubiläum in zwei Jahren von Thüringen und Sachsen-Anhalt bis nach Ostsachsen schwappen wird. Eigens dafür ist auch Sachsen dem Bauhaus-Verbund 2019 unter Bundesführung im vergangenen Jahr beigetreten.
Claudia Muntschick und ihr kleines Team vermarkten das Baudenkmal mit hohem, auch in der Region noch weitestgehend verkanntem Potential: Denn es ist eine der vier wichtigsten Villen von Industriellen weltweit, die Historiker wie Architekten unter das lichte wie weite Bauhauslabel stellen. Samt Außenanlage sowie Familien- und Weltgeschichte sicher einer der spannendsten Bauten, findet Muntschick mit jenem Selbstbewusstsein, dass der Diplom-Architektin mit einem zusätzlichen Denkmalpflege- und Stadtentwicklungsmaster die erste Einladung einer Frau in den exklusiven Rotarierclub ihres Kreises einbrachte.
Sie verweist in einem Atemzug darauf, dass „ihr Nudeldampfer“ der wichtigste Privathausbau des bekannten Architekten Hans Scharoun und eines der familienfreundlichsten Gebäude der Moderne überhaupt sei und was die Lausitz an Potenzial für die Zukunft bietet. Außerdem kann sie ad hoc aus der komplexen Familiengeschichte der Schminkes bis in die Neuzeit zitieren – Ende August, zum Tag der Sachsen in Löbau, wird erstmals ein Buch deren Wirken und Schicksal beleuchten.
So hat die gebürtige Bautzenerin, die in Dresden zwei Söhne, ein Architekturbüro und eine Punkband führt, zwei Grundsatzentscheidungen getroffen – als sie 2012 nach Löbau berufen ward: Kein Hausbesuch ohne Führung, weil das Haus voller sonst unerkannter grandioser Ideen steckt. Und: Verdopplung der Preise, was bislang eine Verdreifachung der Besucher zur Folge hatte.
Mittelpunkt zwischen Berlin und Prag sowie Breslau und Chemnitz
Doch das Projekt „Topography of the Modern Movement” („Topomomo“, zu deutsch: Topographie der Bauten der Moderne) als Kooperation mit der TU Liberec macht Lust auf mehr: „Ich sehe unser Netzwerk tendenziell noch viel größer – eigentlich wären wir das geeignete Zentrum für das gesamte Gebiet zwischen Berlin und Prag sowie Chemnitz und Wroclaw“, erklärt sie überzeugt die umliegenden Metropolen zu Satelliten. Es wimmele aber auch zwischen den Zentren der Moderne von Bauten international bekannter Architekten. Als Beispiel nennt sie das Kugelhaus in Cölln bei Bautzen. Hier – jenseits der Zentren, wo die Gebäude häufig rein museal genutzt und daher nur eingeschränkt nützlich sind – wäre die Chance, anhand weniger prominenter Bauten das Bauhaus einfach praktischer und individueller zu präsentieren.
Oder, was sie jetzt einer staunenden Busladung voller Kunsthistoriker aus der ganzen Republik, die eigens Sonntagmorgens zum Abschluss ihres Jahreskongresses aus Dresden anreisten, zeigte: die zunehmend verfallende Ladehalle von Ernst Neufert – formaler Architektenguru, aber auch Bauhaus- und Gropius-Schüler und Freund des berühmten Glasdesigners Wilhelm Wagenfeld – am Bahnhof Weißwasser, als er Chefarchitekt der Glaswerke war und auch seinem Direktor Kindt eine eher bescheidene, heute privat genutzte Villa baute. Fotos des engagierten Vereins zeigen heute diese und andere Porträts berühmter Stadtväter an der schwer nutzbaren Ruine.
Eine der rund dreißig Mitfahrerinnen, die später noch die Holzsiedlungen von Niesky und das Löbauer Juwel beehrten, war Julia Walter, die just an der TU Dresden ihre Doktorarbeit schreibt und als Dozentin arbeitet. Sie plant nun – vermutlich zum Sommersemester 2018 – die ersten Seminare über die „Moderne in Ostsachsen“ samt Exkursion zu organisieren. Insgesamt war die ganze Busbesatzung über zehn Stunden in Muntschicks Händen samt Mundwerk – etliche werden darob wiederkommen. Vor allem, um im Haus Schminke einmal zu übernachten und dabei den Wandel des Lichtes zu beobachten. Leser, die sich ob dieses Wertes unsicher sind, können ihre Zweifel am 30. März beim Bildervortrag „Prächtiges Breslau – lebendiges Wrocław“ oder am Gründonnerstag bei der epischen Vorkostung des ersten haus- (also streuobstwiesen-) eigenen Schnapses an der Kirschallee No. 1 ablegen.
Text & Fotos: Andreas Herrmann
Netzinfos
www.topomomo.eu
www.stiftung-hausschminke.eu