NEUE RUBRIK: Mein Bücherbord

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In einer Oase zwischen drei Palmen

Eine neue Rubrik? Etwas mit Bücherwurm oder Leseratte? Ekliges Getier, finde ich. Hat doch mit Lesen nichts zu tun. Lesen ist wie Essen und Trinken etwas Genussvolles für Menschen. Einigen wir uns also aufs Bücherbord, dem ich Monat für Monat ein paar Bände entnehme und vorstelle. Diesmal ist das erste Buch ein wahrer Hammer. Aufbau hat Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ (557 Seiten, 22,95 EUR) neu herausgegeben. In einer Originalfassung, die 1932 aus Gründen politischer Vorsicht, peinlicher Prüderie und ästhetischem und auch literarischem Unverständnis ärgerliche Striche erlitten hatte. Toll, dass sich der handschriftliche Urtext erhalten hat.
Wieder einmal hat der Verlag einen Schatz gehoben. Wir erfreuen uns erneut an diesem Liebesroman und fiebern mit, wie Pinneberg und Lämmchen ihren schweren Alltag meistern. Wer die Literatur und Fallada liebt, findet auch am ausführlichen Nachwort – gewissermaßen ein Roman für sich – großes Gefallen und sieht Wissbegier befriedigt.
Eine Traumvision Pinnebergs ist es, sich aus einer bedrohten Welt in eine unterirdische Höhle zurückzuziehen. Das erinnert mich an ein anderes Buch, an des Moskauers Dmitry Glukhovsky Roman „Metro 2035“ (Heyne, 780 Seiten, 14,99 EUR). Nach einem verheerenden Atomkrieg haben sich die Überlebenden in Metroschächte zurückgezogen. Aber auch dort bekriegen sie sich, das Leben wird von Intrigen, Ideologien und Seuchen bestimmt. Eine erschreckende Dystopie, aber spannend und wunderbar zu lesen wie schon die Vorgänger-Bände „Metro 2033“ und „Metro 2034“. Mit großem Vergnügen habe ich in einem Kinderbuch geschmökert, das ebenfalls ins Unterirdische und auf vermeintliche Schatzsuche führt. Der Cottbuser Jurij Koch geht der Frage nach: „Abessinka, wo bist du?“ (Lychatz, 85 Seiten, 9,95 EUR). Abessinka ist eine (entlaufene) Oma in einem Altersheim, von der das Gerücht geht, dass sie einst mit einem Piraten verheiratet gewesen sei und in Afrika – „in einer Oase zwischen drei Palmen“ – einen Schatz vergraben habe. Koch macht einen  köstlichen Krimi mit seinen kindlichen Detektiven Golo und Logo draus, der sich wieder durch vorzügliche Sprache und köstlichen Humor auszeichnet. Das ist Lektüre für das Erst- bis Letzt-Lesealter. Illustrator Thomas Leibe trifft mit seinem Strich haargenau Kochs Ton. Gar nicht genug staunen konnte ich darüber, wie Thea Dorn die märchenhafte Begegnung zwischen einer deutschen Molekularbiologin, die über die Verlängerung des Lebens forscht, und einem Physiker, der über 200 Jahre alt ist und erfolglos nach Möglichkeiten sucht, seine irdische Existenz zu beenden, zupackend real gestaltet. „Die Unglückseligen“ (Knaus, 552 Seiten, 24,99 EUR) ist ein Wissenschaftsroman um Wesensfragen unserer Zeit, mit Liebe, Schicksal, Populärwissenschaft, Philosophie und Politik kredenzt, der keinen vor Seite 552 zur Ruhe kommen lässt.

Klaus Wilke

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