Repräsentationslücke

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Es fühlt sich ein bisschen wie Frühling an. Nicht im Sinne von aufblühender Natur, umherfliegender Pollen oder zuckersüßen Jungtieren im Tierpark. Ich spreche von den vielen jungen Menschen, die plötzlich für ihre Zukunft auf die Straße gehen. Zehntausende bei „Wir sind mehr“ in Chemnitz und später auch anderen Städten, sogar Hunderttausende bei „Unteilbar“ in Berlin. Wie viele Menschen bei den „Fridays For Future“-Demonstrationen über Ländergrenzen hinweg demonstrieren, lässt sich nur vage schätzen. Zuletzt haben zudem Proteste gegen den umstrittenen Paragraf 13 im Zuge der Reform des europäischen Urheberrechts für Aufsehen gesorgt. Wo immer derzeit aufbegehrt wird, sind zweifelsohne auch ältere Menschen dabei, allerdings immer seltener als treibende Kraft. Stattdessen stehen vordergründig die Generationen für ihre Rechte ein, denen sonst immer Lethargie und Ziellosigkeit attestiert wird. Wie ist dieses Phänomen zu erklären? In den Elfenbeintürmen der Republik ist schon lange klar: Die jungen Menschen sind fremdgesteuert, wüssten nicht was sie tun, seien zu jung, um die globalen Zusammenhänge zu verstehen. Letzteres mag in Teilen sogar stimmen, trifft aber auf ältere Generationen genauso zu. So what? Es ist schon eine Krux: Da wird Jugendlichen jahrelang in allen Bildungsinstitutionen beigebracht, dass sie das Recht und die Pflicht haben, sich politisch und gesellschaftlich einzumischen – und dann machen diese Lausebengel das auch noch. Unerhört. Teile der Politik schalten auf Durchzug. Wie sähe es wohl aus, hätte man das Alter bei Bundestagswahlen tatsächlich auf 16 herabgesetzt? Viele derer, die sich jetzt engagieren, dürfen bereits wählen. Was scheinbar übersehen wird: Die anderen sind die Wähler von morgen und nicht wenige davon haben das Gefühl, dass hier mit vollen Händen ihre Zukunft verschenkt wird. Dass man sie weder respektiert noch repräsentiert. Dass man ihnen ausschließlich mit Ignoranz begegnet, obwohl sie nachweislich in vielen Punkten recht haben – was natürlich nicht heißt, dass auf jede Forderung eingegangen werden muss. Oder, sie nehmen es gleich selbst in die Hand. Vielleicht spült die derzeitige Lust an der Mitbestimmung mehr junge Leute in die Parlamente. Schlecht wäre das nicht, obwohl das Alter allein erst einmal wenig aussagt. Schließlich ist selbst einer der jüngsten deutschen Parlamentarier dermaßen so konservativ, dass dagegen selbst Franz Josef Strauß fast schon funky wirken würde. Aber es würde eine Repräsentationslücke schließen. Und nur vielleicht würden wir dann auch intensiver über Klimaschutz reden. Sonst ist der Frühling bald neben dem Sommer die einzige Jahreszeit, die übrigbleibt.

Sebastian Schiller

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