„Techno als Weltkulturerbe, nicht undenkbar“

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Berliner Technofans wollen die elektronische Tanzmusik zum offiziellen Kulturerbe machen.

Wir sprachen mit Professorin Anna Amelina und ihrem Mitarbeiter Manuel Peters vom Lehrstuhl für das Studium des Materiellen und Immateriellen Erbes an der BTU Cottbus-Senftenberg darüber

Eine Gruppe von Techno-Anhängern rund um den Love Parade Erfinder Dr. Motte versucht, die elektronische Tanzmusik in den Rang des Immateriellen Weltkulturerbes zu bringen. Begründet wird das unter anderem damit, dass diese Musik  Menschen über staatliche, religiöse Grenzen hinweg verbindet. Was halten Sie von der Idee?

Prof. Anna Amelina: Als kulturelle Praxis ist Techno sicherlich nominierenswert. Wir können gespannt sein, ob Techno in Deutschland bereits so etabliert ist, dass es den Weg auf die Tentative Liste der potentiell listbaren Praktiken schaffen kann.

Warum steht nicht die Rockmusik oder der Blues auf der Welterbeliste?

Prof. Anna Amelina Foto: BTU

Prof. Anna Amelina: Wir dürfen nicht vergessen, dass die Liste des Immateriellen Erbes noch relativ jung ist. Das Beispiel von Reggea, der 2018 von Jamaika eingebracht wurde, zeigt aber, dass die UNESCO ein Interesse an der Listung solcher popkulturellen Praktiken hat, die auch politische Botschaften in ihrem Sinne transportieren. Hier etwa für Widerstand gegen Ungerechtigkeiten und für Menschlichkeit. Aus ähnlichen Gründen könnte man sich sicher auch für Blues und vielleicht etwas weniger für Rockmusik stark machen. Bisher ist aber noch keine nationale Initiative in dieser Richtung erfolgreich gewesen.

Es gibt ja auch eine nationale Liste des Immateriellen Kulturerbes. Wäre auf der auch der deutsche Schlager denkbar?

Prof. Anna Amelina: Denkbar ist potentiell alles. Die Frage ist, wie es um die Möglichkeiten steht, die Listung zu begründen und gesellschaftliche Mehrheiten für das Projekt zu finden. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, insbesondere des Kolonialismus und des  Nationalsozialismus, und der immer stärker werdenden neuen Rechten, muss man jedenfalls aufpassen. Die Listung des deutschen Schlagers müsste so begründet werden, dass jegliche Vereinnahmungsmöglichkeiten durch politische Kräfte ausscheiden.  

Ist das nationale Immaterielle Kulturerbe eine verkappte Definition: Was ist deutsch? Oder soll und kann es eine Orientierung sein, wie sich das heutige Deutschland mit allen Einflüssen kulturell darstellt?   

Prof Anna Amelina: Das Immaterielle Kulturerbe ist ein gutes Beispiel für die Bedeutung des Ortes im Hinblick auf das, was man als Erbe betrachtet. Vor allem im asiatischen Raum ist immaterielles Kulturerbe von immenser Bedeutung. Ihm kommt in Teilen ein ähnlich hoher Status zu, wie hierzulande dem materiellen Erbe. Gleichzeitig wurde mit der Kategorie des immateriellen Erbes versucht, einen starken Fokus auf die Gruppen zu legen, die das immaterielle Erbe praktizieren und nicht, wie häufig im Kontext des Weltkulturerbes, außen vor gelassen werden.

Das heißt zum Beispiel, dass Menschen als Träger und Bewahrer von Bräuchen und musikalischen Riten gewürdigt werden?

Prof. Anna Amelina: Ja, das ist sehr bedeutsam, unter anderem auch, weil hierin ein anderes Kulturverständnis zum Ausdruck kommt. Und zwar ein Verständnis, welches das Prozesshafte und Veränderliche der von Menschen gemachten Kultur(en) betont, während materielles Erbe die Beständigkeit über die Zeit hervorhebt, die so aus kulturwissenschaftlicher Perspektive gar nicht möglich ist.

Bestimmt wird das Immaterielle Kulturerbe  erstmal auf nationaler Ebene. Das ist der erste Schritt, um überhaupt auch die Chance auf den Welterbe-Status zu bekommen?

Prof Anna Amelina: Es sind weiterhin Nationalstaaten, die über die Listung des immateriellen Erbes bestimmen. Insofern ist es auch Ausdruck der kulturellen Einflüsse eines Landes. Wobei sich kaum alle kulturellen Einflüsse auf einer nationalen Liste wiederfinden, vor allem nicht diejenigen von marginalisierten Gruppen und Minderheiten. Die in der Cottbuser Region bedeutsame kulturelle Praxis der Sorben und Wenden, die eine lange Geschichte der Unterdrückung beschreibt, findet sich auch in Teilen auf der Liste. Dagegen spiegelt sich die Geschichte Deutschlands als Migrationsgesellschaft nicht im gelisteten immateriellen Erbe. Im Übrigen konnte Deutschland zunächst weniger als andere Länder mit der Kategorie des Immateriellen Erbes anfangen.

Warum nicht?

Prof Anna Amelina: Ähnlich wie auch in anderen sogenannten „westlichen“ Ländern, dominiert in Deutschland ein materielles Verständnis von kulturellem Erbe. Die Vorstellung vom Immateriellen Erbe kam aus anderen Teilen der Welt und ist insofern hier zunächst erst einmal gewöhnungsbedürftig und wenig etabliert. Darin liegen aber gleichzeitig enorme Chancen der Nominierung auch weniger etablierter Praktiken. Eine aktuelle Tendenz ist jedoch, dass das ältere, eher auf die Beständigkeit von Kultur zielende Verständnis auch auf das Immaterielle Erbe angewendet wird.

Warum und für wen ist es überhaupt wichtig, ein Kulturerbe – global wie national – zu definieren und zu schützen?

Prof Anna Amelina: Die Welterbe-Idee war vor allem geleitet vom Motiv einer gemeinsamen Verantwortung für das Erbe der Menschheit. Darüber hinaus ist das Weltkulturerbe jedoch immer Ausdruck einer aktuellen Interpretation der Geschichte ist und bildet nicht die Geschichte der Menschheit per se ab.

Manuel Peters Foto: priv

Manuel Peters: Generell lässt sich sagen, dass die Definition und der Schutz kulturellen Erbes zunächst eine sehr eurozentrische Idee war und zu großen Teilen wohl auch noch ist. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Unausgewogenheit von Welterbestätten im globalen Maßstab. Die Idee des Schutzes kulturellen Erbes geht ursprünglich auf die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg und die großflächige Zerstörung von Orten mit kultureller Bedeutung zurück. Deren Zerstörung ist ja immer auch der Versuch gewesen, Geschichte auszulöschen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Definition kultureller Orte von Bedeutung immer umstritten war und ist. Bedeutsame kulturelle Orte sind auch immer Widerspiegelung von bestehenden beziehungsweise veränderten Machtverhältnissen. Man denke nur an Abriss und Neubau des Berliner Schlosses oder an das sozialistische Zentrum in Cottbus. Es ist also wichtig zu bedenken, dass Kulturerbe und Macht eng miteinander verbunden sind und es ursprünglich auch um den Schutz vor Macht geht. Das geschieht global und national.

Kann ein Blick auf das Weltkulturerbe in der aktuellen, durchaus existenziellen Krise ein Mutmacher sein, weil es zeigt, was die Menschheit schon alles geleistet hat?

Manuel Peters: Das ist relativ schwer und nur subjektiv zu beantworten, da unterschiedlichen Menschen sicherlich sehr verschiedene Dinge Mut machen können. Vielleicht sollten wir auch vorsichtig sein, alles unter der Perspektive Covid-19 zu beurteilen.

Trotzdem mal überspitzt gefragt: Halten sie es für denkbar, dass eines Tages das solidarische Singen auf Balkonen fürs immaterielle Kulturerbe vorgeschlagen werden könnte?

Prof Anna Amelina: Das ist durchaus denkbar und hängt davon ab, ob es Initiativen möglich sein wird, das „solidarische Singen auf Balkonen“ zu einem national beziehungsweise international bedeutsamen Gegenstand der Erinnerung zu machen. Nicht zuletzt ist es auch abhängig von den Ausmaßen der aktuellen Pandemie und ihren Folgen für unser ganzes Leben. Ganz abstrakt ist „menschliche Solidarität“ ja bereits Gegenstand des Weltkulturerbes seit dessen Instituierung. Insofern nämlich, als es idealiter das Erbe der Menschheit repräsentiert, für das die Weltgemeinschaft auch solidarisch eine Verantwortung trägt.

Musik und Gesang sind vielfältig auf den UNESCO-Listen vertreten, zurecht, wie man auch an der Bedeutung für die Menschen in der Coronakrise sieht. Überall gibt es virtuelle Konzerte. Was es nicht gibt, sind aufgrund von Zuschaueraussperrungen Fangesänge von Fußballfans. Dabei sind Fangesänge nun auch seit über 50 Jahren Ausdruck von globaler Fußballkultur. Sollten solche Formen des Gesangs vielleicht auch als Kulturerbekandidaten in Erwägung gezogen werden?

Manuel Peters: Dass Musik und Gesang vielfältig in den Listen vertreten sind, ist sicherlich Ausdruck unseres weiterhin vorherrschenden Verständnisses von Kultur als Hochkultur. Beim Fangesang muss man vielleicht bedenken, dass sich darin einerseits die Bedeutung des Fußballs als gelebtes Massenphänomen zeigt, die Fans und der Fußball andererseits jedoch nicht der Gefahr ausgesetzt sind, marginalisiert zu werden und deshalb einen gewissen Schutz durch die Aufnahme ins Weltkulturerbe brauchen könnten.  Wenn man Fußballs als gelebtes Massenphänomen betrachtet und berücksichtigt, dass von der UNESCO alle kulturellen Ausdrücke als gleichwertig angesehen werden, spricht allerdings auch einiges dafür, über Fangesänge nachzudenken. Zumal Fußball deutlich populärkultuelle Prägungen besitzt und sich das moderne Phänomen Fußball in seiner Kommerzialisierung deutlich von älteren, traditionelleren Formen unterscheidet, die dadurch wiederum eine kulturelle Aufwertung erfahren könnten.

Abschließend eine Frage zu ihren Studierenden. In welchen Berufen werden die später einmal ihr Wissen nutzen? 

Prof. Anna Amelina: Wir haben momentan um die 60 Studierende pro Studienjahr aus allen Teilen der Welt, die in Museen, nationalen Kulturinstitutionen, bei der UNESCO selbst und in ihren beratenden Institutionen sowie in vielfältigen anderen Bereichen tätig sein werden. In der Regel haben sie nach dem Studium bei uns sehr gute Perspektiven.

Interview: Gunnar Leue

 

 

 

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