Tolle Frisuren, aber keinem ein Haar gekrümmt

0

Porträt einer Friseurin: Margret Kaiser übte 45 Jahre ihren Beruf aus

 Man soll die Feste feiern, wie die Haare fallen, sag ich mal in Abwandlung eines vom Volksmund formulierten Wortes. Im Cottbuser Friseursalon Veit gibt es dafür immer wieder mal Anlass. Im vorvorigen Jahr war es das 85. Firmenjubiläum. In diesem Jahr ging die Herrenfriseurin Margret Kaiser nach 45 Jahren in den Ruhestand. Bei diesem Anlass hatte die sympathische Haarschneiderin viele, viele Gäste, die mit zwei unterschiedlichen Augen in den Salon kamen: Einem lachenden, weil man lachen muss, wenn man der heiteren Frau begegnet, und einem weinenden, weil eine oft langjährige und „langhärige” Partnerschaft ihren Abschluss fand.

 Der Salon wurde von Herbert Gottwald 1934 gegründet. Manche sagen, er sei der älteste noch bestehende in Cottbus. Er befand sich damals in Sandow, wo heute das Café Engel einlädt und davor die Gaststätte Lucke ihre Besucher sättigte. Er blieb die vielen Jahre in Familienhand, zog 1952 an den heutigen Standort in der Straße der Jugend/Ecke Pyrastraße und fungiert unter dem Namen der Tochter des Gründers als Salon Veit.

Dort übte Margret Kaiser 45 Jahre lang ihr Handwerk aus. Ihre Kolleginnen machen mich neugierig auf sie, sind des Lobes voll. Evelin Veit: „Die wollte unbedingt zu uns. Es gab für sie nichts anderes:  Friseurin und das unbedingt bei Gottwald.” Katrin Klein: „Sie ist eine Frau, mit der eine(r) Pferde stehlen gehen kann.” Yvonne Resag: „Sie konnte die Ohren öffnen für jede Story und den Mund halten, weil Diskretion gefragt war.”

Bei der Begegnung mit ihr kann ich nicht umhin, ihr die Frage zu stellen, die ich sonst Sängerinnen und Sängern, Schauspielerinnen und Schauspielern stelle, die nach dem „Urknall”: „Wann und wodurch wussten Sie, dass Sie Friseurin und nichts anderes als Friseurin werden wollen?” Da muss Margret Kaiser nicht lange überlegen: „Meine Schulzeit ging damals zu Ende, und die Zeit drängte. Ich brauchte einen Beruf. Alles, was mit Schönheit und Kosmetik zu tun hatte, gefiel mir. Aber meine Haare gefielen mir nicht. Da schlug der Gedanke wie ein Geistesblitz ein: Wie, wenn du das selber könntest? Da war mein Berufswunsch geboren.”

Zu diesem Berufswunsch hatte sie auch ein Bild: Den Salon mit den großen Fenstern in der Straße der Jugend. Der sollte es sein. Aber Meister Gottwald hatte in diesem Jahr keine Lehrkapazität. Sie lernte trotzdem. Sie hatte eine Lehrerin in der Berufsschule, wie sie im Buche steht: Evelin Veit. „Die verstand ihren Beruf, konnte erklären, hatte Geduld, wenn der Groschen nicht gleich fiel, konnte auf Verständnis und auf Strenge machen, je nachdem, was die Situation erforderte. Der Frau wünschte ich einen Friseursalon.”

Manchmal gehen Wünsche auch in Erfüllung. In den Siebzigerjahren übernahm Evelin Veit den elterlichen Salon. Da hatte Margret Kaiser darin schon ihren Arbeitsplatz gefunden. Doch der geriet in Gefahr wegen der Chemie. Ihre Haut vertrug die scharfen Bestandteile der Farben und Tönungen nicht. Damen zu frisieren, kam für sie damit nicht mehr in Frage. Der Arzt bescheinigte ihr Berufsunfähigkeit – also Traumberuf-Unfähigkeit. Tragisch. Diese Tragik traf zeitnah mit einer anderen Tragik zusammen: Der Herrenfriseur des Salons verstarb. Wie in der Mathematik Minus mal Minus Plus ergibt, können im Alltag zwei Tragiken zu etwas Gutem führen: Margret Kaiser durfte als Herrenfriseurin weiterarbeiten.

Katrin Klein: „Ein Juwel war sie. Mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften, liebenswürdig, fürsorglich, robust, eckig. Sie kann herzzerreißend lachen. Und sie hatte immer Köpfe unter der Schere, sprich: Einen großen Kundenstamm.”

Ich habe es ja mit den Zahlen. Zahlen können Münder zum Aha-Erlebnis aufreißen. Ein Jahr hat etwa 200 Arbeitstage. Addiert man alle Arbeitstage aus 45 Jahren, kommen satte 9.000 zusammen. Wie viele Kunden hatte sie am Tag? „Wenn mal nur fünf kamen, war das wenig. Zehn, manchmal zwölf oder noch mehr. Das war so der Durchschnitt.” Das ergibt nach Adam Riese und Klaus Wilke über 90.000, fast so viele Köpfe, wie Cottbus Einwohner hat. Alle frisiert. Tolle Frisuren, aber niemandem ein Haar gekrümmt.

Von Kopf zu Kopf ging auch der Tipp, wo man seine Haare hintragen kann, freundlich bedient wird und häufig was zu lachen hat. Unter manch einem ihrer Kunden wurde der Friseurstuhl zum Beichtstuhl. Erinnerungen: Der junge Mann, der ihr sein Leid wegen des Liebes-Aus klagte und das nächste Mal freudestrahlend mit seiner neuen Liebe in den Salon kam, einem zuckersüßen Pudel. Ein anderer Herr, der ungewollt Papa geworden war. Nur seine Frau wusste nichts davon. Der betagte Doktor, der sie zu einer Veranstaltung einlud, für die er eine teure Karte erstanden hatte. Aber seine Partnerin war abhanden gekommen. Überhaupt ein fröhlicher Salon, in dem man nach Jahren noch lacht über die Fahrt mit der rbb-Stretch-Limousine in den Branitzer Park, über die gemeinsame Spreewaldtour, weil Margret sich ein Event unter blauem Himmel und grünen Wipfeln gewünscht hatte.

Unter ihren Kunden waren jung und alt, Journalisten, Fußballer, Ärzte, Wissenschaftler, Menschen unterschiedlicher Hautfarben.

Zuweilen wirkte ihre Arbeit auch Kulturen und Völker verbindend. Einer ihrer Kunden wollte aussehen wie  Keith Urban, der neuseeländisch-australische Sänger, Songschreiber und Gitarrist. Er hatte als Vorlage sein Tablet mitgebracht. Natürlich erhielt er von Margret Kaiser die gewünschte Frisur für seine Begegnung mit dem Künstler.

Apropos Künstler. Wie einer Künstlerin hatte ich ihr meine Eingangsfrage gestellt. Bleiben wir bei dieser Art: „Steckt in Ihrer Arbeit auch Kunst?” „Man braucht ein Gespür dafür, was dem Kunden steht. Frisieren ist ein Eingriff in die Persönlichkeit. Der Kunde muss sich danach wohlfühlen. Trotz aller Trends: Jede Frisur, jeder Kopf ist anders. Da ist schon Kunst dabei.”

Klaus Wilke

 

Teilen.

Hinterlasse eine Antwort