Daniel und Henning sind in diesem Jahr Filmkritiker von hermann und radioeins (rbb). Wir haben die beiden auserwählt, sich für eine knappe Woche ins aufregende Filmfestivalgeschehen zu stürzen. Dabei werden sie ab heute ihre täglichen Eindrücke hier schildern.
Los geht’s mit der Eröffnung am Dienstag im Großen Haus des Staatstheater Cottbus.
Die erste gute Idee: Zur Eröffnungsfeier des Filmfestivals im Staatstheater spielte auf der Bühne eine Cottbusser Beat-Punk-Band. So wusste gleich jeder im feierlichen Saal, dass die Veranstaltung wohl kaum zu steif werden würde. Auch gut: Die Moderation des Berliner Regisseurs und Schauspielers Axel Ranisch. Er leitete locker und spritzig durch den Abend und hatte in seinen Auftritten genug Witz und Emotion parat, um das Publikum ordentlich bei der Stange zu halten.
Nach einem filmischen Anti-Kriegsgedicht aus der Ukraine („Komm zurück“) folgte ein russischer Shortie, in dem die Eltern eines Kindes lieber ernst genommen hätten, was es bei seinen Streifzügen allein alles gesehen hat. Doch schieben sie alles auf seine Online-Manie, mit fatalen Folgen.
Auf dem Fuße folgte ein Highlight: Andreas Dresen als Überraschungsgast! Der ohnehin sympathische Regisseur hielt eine warmherzige Laudatio auf die erste Preisträgerin des 26. Festivals. Die Ehren-Lubina ging an Kirsten Niehuus, die als Chefin des Medienboards Berlin-Brandenburg über die Jahre außerordentlich viel für den regionalen Film-Standort getan hat. Sie konterte dann mit einer pointierten, ebenfalls einnehmenden Dankesrede.
Nach der nächsten Punk-Einlage wieder Kino. Ein Film aus Polen, der kraftvollste unter den vieren. „Der Tag der Oma“: Das wendungsreiche Interaktions-Spiel zwischen einer alkoholabhängigen Großmutter und einem jungen Kriminellen, der sich eigentlich nur Zutritt bei ihr erschwindelt hatte, um sie um Bares zu erleichtern … Stärkster Filmapplaus des Abends!
Das letzte Lied der Band und den letzten Streifen – eine sarkastische Lenin-Stalin-Satire aus Estland – verfolgten dann nicht mehr alle Gäste, für einige war es spät geworden. Was der Feier im Foyer nicht im Geringsten Abbruch tat; in gelöster Atmosphäre mischten sich Filmschaffende, Fernsehteams und lokale Größen mit Euphorie und Neugier aufeinander. So kann es gerne weitergehen. Henning Rabe
Was geschieht, wenn man irgendwo Bier und Wein für Lau anbietet? Leute betrinken sich, ganz klar. „Cottbus ist blau“, sagt sogar die Bürgermeisterin. Deswegen gibt es normalerweise Bier nicht umsonst.
Nicht so bei der Eröffnung des Cottbuser Filmfestivals. Je höher die Schicht, desto niedriger der Preis. Denn die geladenen Gäste aus nah und fern, Politiker, Filmemacher etc. betrinken sich nicht. Doch manchmal schon und küssen, glaubt man dem Moderator, anschließend den Außenminister Frank-Walter Steinmeier, so geschehen bei der Eröffnung 2008.
Filme gab es auch. Mir besonders gefallen hat ein polnischer Film, der die Tristesse ganzer abgehängter Plattenbau-Stadtteile im Hintergrund zeigt, während die dort lebenden Menschen versuchen, irgendwie aus ihren ausweglosen Situationen zu entkommen, der Konflikt ist unvermeidlich. Es prallen zwei ganz unterschiedliche Charaktere aufeinander: ein junger, kahlrasierter Mann, Marke Schlägertyp und eine charismatische, eigensinnige Oma. Sie beide haben eines gemeinsam: sie können austeilen und sind verschlagen. Der junge Mann versucht der Oma ihr Erspartes abzunehmen, doch diese lässt sich nicht lumpen und spannt den jungen Kerl selbst für ihre Zwecke ein. Die von der Gesellschaft Abgehängten versuchen auf ihre je eigene Art zu ihrem Vorteil zu kommen. Darunter lugt jedoch ein weiteres Bedürfnis hervor, nämlich Halt zu finden. Wegen solcher einzigartigen Filme gehe ich zum Filmfestival.
Wie im Hintergrund des Films die gesellschaftlichen und politischen Fehlentwicklungen erkennbar werden, so ist auch die Eröffnungsfeier nicht frei davon. Der Verweis auf aktuelle Entwicklungen bleibt in den Reden natürlich nicht aus: das Festival will politisch sein, Versöhnung fördern und Misstrauen abbauen helfen, natürlich. Flucht und Vertreibung sind aktuelle Themen, es gibt sie überall, sagt Ministerin Martina Münch. Gegen nationalistische Strömungen will man den Blick der Anderen setzen. Das ist erfreulich. Endlich! – kann man es quasi aufatmen hören – gehen Deutschlands beispiellose Verbrechen im Dickicht der allgegenwärtigen Existenz von Flucht und Vertreibung unter und man kann sich mit den schlimmen Folgen der Vertreibung, die ja auch Deutsche erleiden mussten, beschäftigen. Den Finger in die Wunde legen dagegen erfreulicherweise die Filmförderin und Ehrenpreisträgerin Kirsten Niehuss und der Programmdirekter Bernd Buder des Festivals. Politische Umbrüche und Entwicklungen in Osteuropa geben Anlass zur Sorge und berühren. Die Filme richten den Blick darauf und zeigen die unterschiedlichen Facetten der östlichen Nachbarländer. Auch das ein Grund für den Festivalbesuch! Daniel Riedel
Foto: Daniel Riedel (l.) und Henning Rabe (Mitte) gemeinsam mit hermann-Chefredakteur Heiko Portale.