Kritiker bereisen die (Film-)Welt

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Kuba im Fokus des Filmkritikers

Das Programm Fokus Kuba führt in der Kammerbühne an die weltberühmte Uferpromenade von Havanna, den Malecón. Der erste Film („Malecón Ecke 51ste Straße“) beschäftigt sich mit einem genau dort stehenden, aus der Nachbarschaft herausstechenden Haus; seiner Außenwirkung und seinen Bewohnern. Da gibt es die pensionierte Extremraucherin, die eigentlich aufhören will. Und den Autoschrauber, der noch jeden Oldtimer zum Laufen bringt. Gekonnt kontrastiert werden diese Momentaufnahmen mit unkommentierten Ansichten des Hauses, des Meeres oder der Stadt bei Nacht.

Der zweite mittellange Film wandert dann einige Blocks weiter: In „Zwölfte Straße Ecke Malecón“ steht das Leben in einem Studentenwohnheim im Mittelpunkt. Streit um die Reihenfolge beim Duschen, Wasserknappheit und lange Anreisen in überfüllten Landbussen gehören zum Alltag der Insassen. Über diese erwartbaren Dinge hätte der Film allerdings ruhig ein wenig hinausgehen dürfen.

Die Kuba-Pause nutze ich für den Wettbewerb in der Stadthalle. Gleich ein Treffer. Es ist ziemlich schwierig, dem slowenisch-kroatischen Beitrag „Houston, wir haben ein Problem!“ auf die Schliche zu kommen. Der „Dokumentarfilm“ über General Titos Raumfahrtprojekt – noch nie davon gehört? – präsentiert durchaus echte Bilder (z. B. Wochenschau- und Archivaufnahmen), nur werden sie durch (mutmaßlich meistens unechte) Zeitzeugen kommentiert und so willkürlich in Zusammenhang gebracht, dass eine völlig neue Lesart der jugoslawisch-amerikanischen Beziehungen entsteht. Ein Beispiel für einen so geschaffenen Fakt: Dass die NASA drei Milliarden Dollar für jugoslawisches Know-How und Technik ausgegeben hat, hat die Mondlandung um ganze drei Jahre verzögert. Zu Beginn hat Slavoj Žižek (als er selbst) apropos darüber gesprochen, wie Verschwörungstheorien entstehen. Raffiniert!

Weil’s so schön war noch ein Wettbewerbsbeitrag. In „Die letzte Familie“ aus Polen wird die wahre Geschichte eines bekannten Malers erzählt, der mit Frau, psychisch gestörtem Sohn und dessen beiden Großmüttern in einer Warschauer Neubau-Wohnung lebte. Wenig Platz für einiges an Tragik. Sehr lange Einstellungen mit unbewegter Kamera wechseln mit kurzen Handkamera-Schüben oder den Bildern aus der Hobbykamera des Vaters, (letztere 1:1 nach den Original-Aufnahmen des Malers inszeniert.) Bemerkenswertes Kino, das beim Festival im heimischen Gdynia gleich acht Auszeichnungen erhielt.

Dann hetze ich den blauen Linien nach zum Gladhouse. Fokus Kuba zeigt „Preludio 11“ von Kurt Maetzig, eine Kuba-DDR-Koproduktion von 1963. Ein Präludio war eine Landung von konterrevolutionären Exil-Kubanern an der Küste, die einer direkten Invasion von US-Truppen vorausgehen sollte. Einer dieser Konterrevolutionäre hat seine Liebste in Kuba sitzen lassen, wo sie sein Kind bekommen hat. Sie kämpft inzwischen aber für die Revolution. So stehen sie sich feindlich gegenüber und treffen schließlich direkt aufeinander …
Natürlich ist der Film ein Produkt des kalten Krieges, doch der Plot mit einigen Wendungen und Verrätern auf beiden Seiten konnte das meistens wettmachen.
Einen großen Lacher gab’s auch: der junge Fred Delmare spielte einen kubanischen Lift-Boy. Keckes Casting, würde ich sagen. Das Oben-Kino war übrigens bis auf die erste Reihe voll besetzt!
Henning Rabe

Auf den Spuren von Vertreibung und Trachten

„Genießt den Krieg solange er dauert. Der Frieden wird schlimmer als der Krieg“, wiederholt eine ältere Dame. „Sie haben getanzt auf den Straßen“, erinnert sich eine andere. Beide blicken auf das gleiche Ereignis, das Ende des Krieges 1945. Jene ist deutsch, die andere polnisch. Die Erinnerungen der beiden sind der Ausgangspunkt des Filmes „Mein Haus ohne mich.“ Zwischen die Aufnahmen der beiden Frauen mischen sich Archivaufnahmen. So wird nicht nur die Vergangenheit im Rückblick lebendig, sondern ihr Einfluss auf die Gegenwart spürbar. Die Deutsche musste gehen, die andere bezog ein Haus, das ihr fremd war.
„Genießt den Krieg solange er dauert. Der Frieden wird schlimmer als der Krieg“, offenbart auch die Gründe für die Flucht/Vertreibung der Deutschen auf die andere Seite der Oder. Wenn jene ihnen das antun, was sie den Polen, Russen, Juden, Tschechen antaten, dann wird der Frieden schlimmer als der Krieg.
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In „Kytlice“ erforscht die Regisseurin die Schätze, welche die Deutschen versteckten, bevor sie gingen. „Klar, jeder Mensch ist einzigartig. Aber als Deutsche mussten sie gehen, denn sie haben die Republik zerstört“, kommentiert es ein Überlebender. Die schönste Szene dabei ist, wie herzlich die schrulligen Vertriebenentouristen von den heutigen Bewohnern empfangen werden: herzlich und freundlich. Die Angst vor den Ansprüchen der vorherigen Eigentümer ist gewichen. Die Deutschen sind freundlich, neugierig, interessiert. So habe ich es auch in Wroclaw/Breslau selbst erlebt. Zahlreiche Angehörige ehemaliger Vertriebener zieht es (nach wie vor) zurück an die Stätte ihrer Eltern.
Die lokale Tourismusbranche freut’s.
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Würde man Jogginghose, Gürteltasche, Yakuza-Pulli als Tracht bezeichnen? Es wird schließlich in bestimmten Regionen häufig getragen. Was ist eine Tracht? Historisch muss sie sein, also mindestens länger existieren als eine Generation. Daher bastelt sich der Regisseur Martin Dusek seine eigene Tracht, sein „Kroj“, mit Versatzstücken aus seiner Familiengeschichte. Damit läuft er in seiner Heimatstadt herum und führt so die Trachtenfolkore in der nordböhmischen und heute tschechischen Kleinstadt genauso vor wie auf einem Treffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft irgendwo in Bayern. Den öden Alltag müssen die Gelangweilten ja mit irgendetwas verbringen, ob in Tschechien oder Deutschland.
Daniel Riedel

Foto: Filmstill aus MEIN-KROJ.
©CzechTelevision-Telexport

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