Von olympischem Gold, brennenden Fischen und Banater Punks

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Unser Filmfestivalreporter Henning Rabe berichtet vom 32. FilmFestival Cottbus.

Da letztes Jahr schon so viele begeisternde Beispiele für die tschechoslowakische Nouvelle Vague liefen, ist dieses Mal Věra Chytilová für mich natürlich Pflicht.

In der Special-Reihe „Frauenrollen im Sozialismus und danach“ läuft ihr Spielfilm

Von etwas anderem“ von 1963, der also drei Jahre vor ihrem internationalen Erfolg „Tausendschönchen“ entstand. Porträtiert werden zwei Frauen, die einfach mal ein wenig aus ihrer Alltagsroutine ausbrechen wollen, sie wollen „etwas anderes“, wie der Titel schon nahelegt. Die eine ist olympische Turnerin und möchte Ballett- und andere Elemente in ihr hartes Training einbringen. Die andere ist Hausfrau, überfordert von einem unmöglichen Sohn, vom Ehemann kaum wahrgenommen.

Während die von der echten Olympiasiegerin Evá Bosaková gespielte Sportlerin schließlich wieder in den Drill hineinfindet, internationales Turnier-Gold holt und anschließend Erfüllung als Trainerin findet, endet eine amouröse Affäre von Evá als Fiasko …

Munter springt der Film zwischen den sich nie treffenden Handlungssträngen hin und her und verleiht ihm so einen ganz wunderbaren Rhythmus. Die Kamera holt mit erstaunlichen und spielerischen Perspektiven alles aus noch so eintönigen Situationen. Das Schicksal der beiden Frauen stiehlt sich mit der Zeit immer mehr ins Herz des Betrachters und nimmt es schließlich ganz gefangen. Leichtfüßig, aber groß!

Langsames Kino war im Wettbewerb versprochen worden. Es läuft der aserbaidschanische Beitrag

Predigt an die Fische“

von Hilal Bajdarow. So langsam fände er den Film gar nicht, sagt anschließend Hauptdarsteller Orchan Iskanderli. Dem kann ich nur zustimmen. Zumindest im Vergleich zu Filmemachern wie Wang Bing aus China, Lav Diaz aus den Philippinen und dem US-Amerikaner James Benning. Bei letzterem dauert eine Einstellung mit starrer Kamera zwischen einer Minute und anderthalb Stunden. Der heutige Film begnügt sich mit Takes von ungefähr einer halben Minute, in denen aber unter auffälliger Musikuntermalung auch ständig etwas in Bewegung ist.

Die Ölpumpen von Sumgait sind am Arbeiten oder ein Auto fährt durch die herrlichen Landschaften des Vorkaukasus. Leer sind die Einstellungen also nicht, dafür aber das Dorf, in dem alle Bewohner aus mythisch verklärten Gründen gestorben sind. Übrig ist nur eine Frau, deren Bruder aus dem Krieg heimkehrt. Sie redet auf der Suche nach einer Gottheit mit den Bäumen und Gräsern, er wird beständig von den Gespenstern seiner gefallenen Kameraden angesprochen. Auch mit der Nahrung sieht es bedenklich aus: Die gefangenen Fische sind mit einem Ölfilm überzogen und daher brenn-, jedoch nicht genießbar.

Poetische Reflexion über die Folgen eines Krieges, die vor allem mit großartiger Kamera und sich verneigenden Béla Tarr-Zitaten besticht.

Schauspieler Orchan Iskanderli aus Baku FOTO: Henning Rabe

Im Kurzfilm-Programm des Spotlights Romania laufen sieben Beiträge. Erwartungsgemäß ist von „Hm, na ja, gibt Schlimmeres“ bis „sehr gut“ alles vertreten. Hervorheben möchte ich den knapp halbstündigen „Im Namen des Vaters“ von Vladimir Dembinski. Wie im gestrigen Mungiu-Film spielt die Handlung im winterlichen Siebenbürgen. Wir treffen auf ein befremdliches Milieu: Ein religiöser Fanatiker lebt mit seiner Tochter am Rande eines Weilers. Er unterdrückt sie und erklärt ihr immer wieder, dass ihre verschwundene Mutter eine verlorene, schmutzige Seele war, die den Satan angebetet habe.

Ihre Mutter hat Tochter Emma nun aber auf dem Markt in der Stadt gesehen und glaubt fortan nicht mehr an ihren Tod. Mausetot ist sie allerdings doch: Emma kommt einem abscheulichen Geheimnis auf die Spur. Eisiger Familien-Thriller.

„Swamp City“-Regisseur Bogdan Puslenghea FOTO: Henning Rabe

Erfreulichere Rumänen gibt es in der nächsten Vorstellung im Saal 2 des Weltspiegels. In der Dokumentation Swamp City von Bogdan Puslenghea und Ovidiu Zimcea geht es um den Aufstieg der Stadt Timişoara als Zentrum rumänischer Underground-Musik, das selbst der Hauptstadt schwere Konkurrenz machte. Alles begann schon zu Ceaușescu-Zeiten. In Radioprogrammen aus dem nahen Budapest und Belgrad („Jugoslawien war unser Westen.“) konnten Jugendliche Punk-Musik mitschneiden. Sie tauschten die Kassetten aus und bevölkerten den Hauptplatz des Städtchens.

Bald wurden erste Bands gegründet, die 1990 dann auch erste Konzerte spielten. Anhand vieler Interviews mit Musikmachern, -händlern und -veranstaltern zeichnen die beiden Regisseure ein mitreißendes Bild der Kleinstadt, in der sich die schwarzgekleideten Aufrührer ausleben konnten wie in so vielen anderen postsozialistischen Gegenden auch.

Weitere Parallele: Nach dem Punk kam die New Wave- und Gruftie-Musik. („Der hatte so einen russischen Flanger, den hat er auf den Bass gelegt. Wahnsinn, das klang wie The Cure.“) Manche Bands spielten nur drei Konzerte, von einigen gibt es überhaupt keine Aufnahmen, und doch genießen sie im Banat immer noch Kult-Status. Mit den neunziger Jahren kamen dann wieder neue Einflüsse, die vor Ort verarbeitet und teilweise mit traditionellen Musikmustern amalgamiert wurden, New Jazz, Hip Hop, Drum and Bass – es gab bis zur Jahrtausendwende scheinbar nichts, was es nicht gab in Timişoara. (Ein zweiter Teil ist geplant.)

Auf jeden Fall war es erfrischend zu sehen, wie Leute Feuer und Flamme für eine bis dato unerhörte Sache waren. Wie sie ähnlich tickten wie wir im Osten Deutschlands und zunächst gern auch ohne Können drauflosmusizierten. Und den Geist dieses unbefangenen Aufbruchs seit den Achtzigern heute schmerzlich vermissen …

In der Dunkelheit des Weltspiegels nicht so gut getroffen: „Swamp City“-Regisseur Ovidiu Zimcea FOTO: Henning Rabe

 

Mehr Infos zum Wettberwerb und das Programm:

www.filmfestivalcottbus.de

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