Weißes Gold

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Der Mensch sei die Krone der Schöpfung, heißt es. Als einzige Lebewesen bauen wir uns komplizierte Konstrukte aus moralischen und ethischen Prinzipien. Wir sind kulturelle Wesen, was sich in Theater, Musik und Literatur ausdrückt. Und wir haben gelernt, unsere Umgebung und vieles darin für unsere Weiterentwicklung zu nutzen. In der Diskussion um die mögliche Vorrangstellung des Menschen stehen diese Argumente klar auf der Pro-Seite. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass zu der von uns geschaffenen Kunst auch „Berlin Tag und Nacht“ und „Mitten im Leben“ gehören.

Dass der Mensch die Natur nicht nur zur Weiterentwicklung nutzt, sondern sie auch zweifelsohne hemmungslos ausbeutet. Und nicht zuletzt, um zum eigentlichen Thema dieser Kolumne zurückzukommen, dass manches Verhalten mich daran zweifeln lässt, dass sich zwischen unseren Ohren nicht doch nur bunte Knete türmt. Denken wir mal ein paar Monate zurück. Damals, als Covid-19 noch eine recht abstrakte Gefahr war. Als niemand wusste, was wirklich schützen kann – und was nicht.

In einem war sich die Nation einig: Klopapier ist es nicht. Aber es kann auch nicht schaden, mehr als die üblichen Reserverollen im Keller zu haben. Innerhalb kürzester Zeit wurde vom Säugling bis zum Vorruheständler jeder mit eingespannt, der nur halbwegs mobil war. Großfamilien mutierten zu Oompa-Loompa-Ketten und schaufelten die Bündelpackungen im Minutentakt aus den Supermärkten. Glauben Sie mir, ich hätte mir niemals träumen lassen, Klopapier mal zum Thema meiner Kolumne zu machen. Aber was bleibt einem Kolumnisten mit Hang zu Retrospektiven denn anderes übrig? Und natürlich hat der Run auf die Rollen auch mich verunsichert. Mehr als einmal habe ich mich gefragt: Was wissen die, was ich nicht weiß? Es kann doch nicht nur um das banale Hamstern gehen. Oder etwa doch?

Paradoxerweise hat genau das Tage später dafür gesorgt, dass Toilettenpapier tatsächlich knapp wurde. Fragen ploppten auf, wie: Eignen sich Tageszeitungen trotz der Druckerschwärze als Ersatz? Würden Schlagzeilen im Falle des Falles tagelang meine vier Buchstaben zieren? Und was ist eigentlich aus den unzähligen Rollen geworden? In Nachkriegszeiten wurden Zigaretten zu einer Art Ersatzwährung, einzelne Kippen hatten zwischenzeitlich einen Wert von umgerechnet über 30 Euro. Ich hoffe das bleibt uns dieses Mal erspart. Stellen Sie sich nur einmal vor, wie verzweifelte Händler auf dem Bauernmarkt versuchen, die Rollen im Geldbeutel zu verstauen. In meiner Vorstellung bauen sich die Menschen stattdessen aus den Reserverollen wetterunbeständige Schlösser und residieren darin bis zum Ende der Corona-Einschränkungen. Die Krone der Schöpfung. Nur eben mit viel bunter Knete.

 

Sebastian Schiller

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