Wir haben den Weggang von über 30.000 Menschen überstanden – mehr Struktur kann man nicht wandeln

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 25 Jahre Kufa Hoyerswerda: Das große hermann-Interview mit Vereinschef, Uwe Proksch

Etwa 16 Jahre lang verbrachte die Hoyerswerdaer Kulturfabrik in der Zwischenbelegung in der Alten Berliner Straße 26. Dorthin musste sie umziehen, weil das einstige Gesellschaftshaus in der Braugasse 1 mehr als nur baufällig war. Nach langen Jahren des Kampfes, Wartens und Arbeitens zog die Kufa zurück ins angestammte Heim und macht mit seinem Chef Uwe Proksch das weiter, was sie am besten kann: Kultur. „Es ist ein Kulturhaus“, sagt der Kufa-Chef. Seit dem Umzug gingen nun auch schon wieder fast fünf Jahre ins Land, nun wird die Kufa 25 Jahre alt. Das wurde mit einem großen Fest Ende vergangenen Monats gefeiert. Wir trafen Uwe Proksch in Hoyerswerda zum Jubiläumsgespräch.

 

Die Kufa vor dem Umbau. Fotos: kufa

25 Jahre Kufa Hoyerswerda, was macht das mit Dir?

 

Man staunt, dass man doch schon etwas älter geworden ist. Wie schnell die Zeit vergangen ist. Am verrücktesten waren ja die 16 Jahre Zwischenbelegung, die sich innerhalb der 25 Jahre Kufa abspielten. Das war ein so langer Zeitraum, wenn man das mal vom jetzigen Standpunkt betrachtet. Und dann war es plötzlich vorbei. Jetzt sind wir schon wieder fast fünf Jahre in dem neuen Gebäude. Daran merken wir, wie die Zeit wegrennt.

Ihr habt also hier in der Braugasse angefangen?

Ja. 1994 haben wir uns gegründet. Wir kamen aus der alternativen Jugendarbeit. Wir sagten uns: Wir sind alle so um die 30 Jahre alt und aufwärts, jetzt wollen wir auch mal Sachen für uns machen. Um diese Lücke zu füllen, sind wir auf die Idee gekommen, eine alte Brauerei, die es in der Stadt gab, zu übernehmen. Wir haben dazu mit der Treuhand verhandelt und dabei auch schon ein paar Sachen in der Bauruine gemacht, wie Sommerkino und erste Konzerte, zum Beispiel mit Keimzeit. Die Treuhand hatte unser Ansinnen aber abgelehnt, es gab merkwürdige Umstände, wie Quecksilbervergiftungen und Ähnliches, so dass wir nicht zum Zuge kamen. Aber wir nannten uns schon Kulturfabrik und haben unter diesem Namen verschiedene Veranstaltungen in der Stadt gemacht. Wir sagten uns: Jetzt heißen wir so, jetzt lassen wir das auch so. Dann sind wir in dieses Gebäude in der Braugasse eingezogen. Hier war ein Kinder- und Jugendtreff –  einst war es das Pionierhaus – und um 18 Uhr dunkel. Wir dachten uns: Mensch, wir bringen die Erwachsenen- und Kulturarbeit mit rein und machen ein soziokulturelles Zentrum daraus. Den Begriff hatten wir aus dem Westen aufgeschnappt und dachten uns: Das passt inhaltlich zu uns. Von 1996 bis 1999 konnten wir das dann hier auch machen. Dann kam aber die schlechte Bausubstanz zum Vorschein und es musste unbedingt saniert werden, sonst wäre uns das Haus über dem Kopf zusammengefallen. Der Saal war sowieso schon baupolizeilich gesperrt, manche Räume waren nur mit einem Ofen zu beheizen. Es ging echt nicht mehr. 1999 zogen wir aus, schafften Baufreiheit und in die Zwischenbelegung ein. Der Aufenthalt dort sollte drei Jahre dauern und hat dann halt 16 Jahre gedauert.

Die Prohibitionspartys waren immer ein großer Erfolg.

Was war die Zwischenbelegung?

Das war einst ein Kinder- und Jugendheim, vierstöckig mit einer angeschlossenen Mensa. Es gab Workshopräume und einen großen Saal, den wir als unseren Veranstaltungssaal umgebaut haben. Dort haben wir schöne Konzerte veranstaltet, von Knorkator bis David Knopfler, die ganzen Ostbands, das Liederfest Hoyschrecke ins Leben gerufen und und und.

Wie lange wäre es denn noch gut gegangen? 16 Jahre sind schon eine lange Zeit?

2015 war die Zwischenbelegungs-Zeit zu Ende. Wir hätten dort auch nicht mehr lange überlebt. Durch den demografischen Wandel und dem Wegzug von jungen Menschen in dieser Stadt, der auch nach wie vor anhält, fehlt einfach eine Szene, um dort ewig mit so einer einseitigen musikalischen und inhaltlichen Richtung fortfahren zu können. Uns war klar, wir müssen ins Zentrum der Stadt zurück. Und das ist ja dann auch glücklicherweise passiert. Mit dem Ort hier haben sich nun die Besucherzahlen stabilisiert. Wir haben ganz andere Zielgruppen. Wir alle im Verein sind jetzt selber alle im Durchschnittsalter von 53, 54 Jahre…

Wer ist denn eigentlich „wir“?

Der Verein Kulturfabrik e.V., der etwa aus 140 Mitgliedern besteht. Etwa 70 davon gehören zum aktiven Kern und davon wiederum 30, 40 machen dann auch viel mit. Die sind dabei, wenn zum Beispiel das große Theaterstraßenfest gemacht wird. Dann braucht man 30 Leute, die auf- und wieder abbauen oder Helfer die den Einlass- oder Tresendienst übernehmen. Diese Leute planen, organisieren und denken mit. Und es sind die zehn Hauptamtlichen, die hier beschäftigt sind, die hier die tägliche Arbeit stemmen.

Wie ist es denn gelungen, dass ein solch großes Haus, wie die Braugasse 1, in der ihr nun wieder seid, zu sanieren und wieder flott zu bekommen? Hoyerswerda ist ja eher eine mittelgroße Stadt.

Das ist auch für mich ein interessantes Phänomen. Das ist sicherlich dadurch gelungen, dass wir die vorhin genannte Lücke besetzten und wir Sachen gemacht haben, die sonst niemand gemacht hat. Damit gab es eine Bedeutung, eine Daseinsberechtigung. Man hat wohl gedacht: Die erreichen bestimmte Gruppierungen und bestimmte Schichten, die für die Stadt einfach wichtig sind. Es ist nicht üblich, dass in einer Stadt dieser Größenordnung, solche Konzerte, Lesungen oder Kunstprojekte automatisch stattfinden. Wenn man sich die Orte ringsum anschaut, ist es schon ein großes Alleinstellungsmerkmal, das wir hier erreicht haben. Das hängt aber auch mit den Leuten zusammen, die das von Anfang an betrieben haben. Ich habe im Verein und auch bei den Leuten, die hier arbeiten, welche dabei, die machen das seit über 20 25 Jahren. Diese Bedeutung, die wir erreicht haben, hat dann auch dazu geführt, dass sich der Verein „Braugasse 1“ gegründet hat, der dieses Haus vor dem Verfall bewahrt hat. Das war 2010. Es hieß: Jetzt ist aber Schluss, warum wird denn hier nicht saniert! Die Leute bauten einen Druck in Verwaltung und Politik auf. Irgendwann kamen wir an den Punkt, als Oberbürgermeisterwahlen anstanden und Stefan Skora, der dann auch gewählt wurde, sagte, dass sei nun Chefsache. Und auch ohne das jahrelange Engagement des Büros „lienig & baumeister architekten“ wäre es nie dazu gekommen. Ein Vorteil, der uns in die Hände spielte, war sicher auch, dass dieses Haus hier direkt am Markt steht, wo zu der Zeit schon alle Häuser saniert waren. Alles sah schick aus, aber das hier verfiel. Man hätte also sowieso etwas machen müssen – vielleicht wäre auch ein Altersheim draus geworden. Aber durch die gute inhaltliche Arbeit, die wir gemacht haben, rang man sich durch, die immerhin sechs Millionen Euro zu investieren. Das waren zum großen Teil Fördermittel vom Freistaat, aber auch ein großer städtischer Eigenmittelanteil. An den Fördermitteln gebunden war das mit uns gemeinsam erstellte Betreiberkonzept. Und das galt es dann, u.a. mit unserem Verein, umzusetzen.

Ausstellungen sind Fester Bestandteil der Kulturarbeit im Hause.

Wie stark ist der Einfluss des Wegzugs von Leuten für euer Haus?

Der ist extrem stark im negativen Sinne. Wenn wir die jungen Leute mit Veranstaltungen erreichen – es sind ja meisten Gymnasiasten, die sich für die Projekte engagieren, die wir machen – dann erreichen wir sie bis 18 oder 19, dann kommen sie noch mal am Wochenende und dann sind sie weg. So geht das Jahr für Jahr für Jahr. Ganze Jahrgänge verschwinden aus der Stadt. Seit der Wende ist hier die Hälfte der Einwohner verschwunden. Die ganze Generation zwischen 20, 30 und 40 Jahren fehlt komplett im Stadtbild. Es gibt ein paar Rückkehrer – wir sind froh, dass sich das so langsam ein bisschen entwickelt. Aber die kommen dann meist mit kleinen Kindern zurück, weil sie ihre Großeltern hier haben und sind daher auch nicht so sehr unsere Zielgruppe, weil sie sich um ihre Kinder kümmern. Insofern schlägt sich das auch auf unsere Programmgestaltung nieder. Wir fragen uns: Welche Konzerte können wir machen oder Filme zeigen, damit überhaupt Leute zu uns kommen. So ist unser Fokus auf die Menschen gerichtet, die halt noch da sind. Das ist die Altersgruppe ab 40.

 

Welches Konzept verfolgt ihr, um das Haus voll zubekommen?

Wir setzen auf Programmvielfalt. Wir machen Kinder- und Jugendprojekte, kulturelle Bildung heißt das bei uns, immer in Zusammenarbeit mit Kitas und Schulen. Diese Projektarbeit läuft sehr intensiv und erfolgreich. Wir haben zum Beispiel ein Kultur-Schulprojekt mit dem Lessing-Gymnasium, das seit zehn Jahren läuft. Es gibt die Theatergruppe oder eine Video-AG. Da haben wir immer mindestens zehn Kinder, weil die über die Schule organisiert zu uns kommen. Das Projekt findet auch teilweise im Unterricht statt. Und wenn sie etwas im Unterricht nicht geschafft haben, dann kommen sie auch am Nachmittag noch mal wieder, um ihre Sachen zu Ende zu führen. So binden wir sie ans Haus, das funktioniert auch wunderbar und ist so auch sehr effektiv.Das Andere sind generationsübergreifende Workshops, bei denen das Angebot von Tango über Malen und Keramik bis zum Trommeln, Fotostammtisch oder Theater reicht. Wir haben 20 Kurse in der Woche. Große Außenwirkung haben dabei für uns die Inszenierungen der Kufa Tanzkompagnie „Eine Stadt tanzt“ oder unser Bürgerchor. Dazu gesellt sich eine breite Veranstaltungsvielfalt vom Programmkino bis zum Galerieprojekt Kunstraum, Konzerten und Theater bis Kabarett. Neue Formate wie After Work Lounge, Jam Session oder unser Kneipenquiz (mit Seitenquiz) werden großartig angenommen.

Wichtig auch unsere im Stadtraum platzierten Großprojekte wie das internationale Straßentheaterfest, Picknickwiesen auf Brachen, den Kunstlandstrich oder zahlreiche Projekte zum Stadtumbau oder zum demografischen Wandel.
Andererseits ist dieses Haus auch als Bürgerzentrum konzipiert. Das heißt, dass wir als Kufa neben der Veranstalterfunktion auch als Verwalter des Zentrums auftreten. Das machen wir auch, indem wir Privatveranstaltungen, wie Hochzeiten und Ähnliches zulassen. Wir haben in der Zwischenzeit über 80 Partner, die das Haus mitnutzen, ob es die RAA, der Gundermanns Seilschaft e.V. oder die Musikschule Bischof sind. Die mieten sich hier ein oder schließen mit uns eine Kooperation ab. Das führt eben auch zu eine Breite an Publikum. Für den Stadtsportbund haben wir zum Beispiel eine tolle Ehrenamtsveranstaltung mit Theater gemacht. Die Sportler sagten uns am Ende, dass sie jede Sporthalle in der Stadt kennen würden, aber nicht die Kufa. Und so kommen wir auch an neues Klientel heran. Wir haben viele Familienangebote, sogar eine Kinderkrabbelgruppe haben wir. Mitmieter im Haus sind das NATZ, das eigene Kinder- und Jugendarbeit im naturwissenschaftlichen Bereich macht und die Touristinformation – dadurch finden uns auch die Touristen.

 

Wie sehr wird euch der bevorstehende Strukturwandel treffen?

Ich empfinde das nicht als so belastend. Wir befinden uns seit der Wende im permanenten Strukturwandel. Wir haben den Weggang von über 30.000 Menschen überstanden – mehr Struktur kann man nicht wandeln. Ich finde es auch wichtig, den Ausstieg langfristig anzusetzen. Das ist eine planbare Zeit. Durch das viele Geld, das nun hoffentlich auch kommen wird, kann sicher eine Menge abgefangen werden. Das wird nicht unser Problem sein. Unser Problem wird eher die Altersstruktur der Stadt sein – wenn es uns nicht gelingt, einen größeren Zuzug und eine Stabilität in der Einwohnerzahl hinzubekommen, wenn uns in den nächsten Jahren die 70-, 80-, 90-Jährigen davonsterben, wird es schwer, die ausbleibenden Pro-Kopf-Zuschüsse vom Land und die fehlenden Steuermittel zu kompensieren. Dann steht die Frage im Raum, kann sich eine Stadt, wie Hoyerswerda eine solche Einrichtung überhaupt noch leisten? Unsere Infrastruktur ist zurzeit großartig, ob es Kultur, Bildung oder Soziales ist. Es ist alles gut vorhanden. Auch Wohnraum ist genügend da. Dazu das entstehende Seenland. Aber es fehlen uns die jungen Menschen, die diese Stadt weiterhin beleben könnten. Das muss sich rumsprechen. Zum Beispiel durch die Rückkehrerinitiativen oder andere Projekte. Wenn man bedenkt, wie schwer es ist, in den Großstädten Wohnraum und Kita-Plätze zu bekommen, ist doch eine Kleinstadt wie Hoyerswerda eher lebenswert. Zumal es nun auch im Umland Arbeitsplätze geben wird, müsste Hoyerswerda eigentlich wieder attraktiv sein. Ich würde nie hier weggehen wollen. In 40 Minuten bin ich in Cottbus im Theater oder in Dresden, Bautzen – man weiß gar nicht, was man zuerst machen soll, wenn man diese Angebote schon wahrnehmen würde und das schaffe ich nicht, weil wir hier genug machen.

 

Wenn Du Dir etwas wünschen könntest…?

Eine bessere finanzielle Ausstattung wäre schön. Wir arbeiten hier alle an der Schmerzgrenze. Die Mitarbeiter haben einen Tarif von 2012. Seitdem gab es keine Erhöhung mehr. Das ist eigentlich alles nicht mehr tragbar in der heutigen Zeit. Wenn bei mir eine, einer weggehen würde, könnte ich bei der Bezahlung gar keinen Neuen mehr einstellen. 25 Jahre ist eine lange Zeit, bis 30 werden wir das schon noch gern machen,  aber man muss sich schon mal ein bisschen umgucken.

 

Interview: Heiko Portale

 

 

 

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