2017 und das Wunder von Bern(dt)?

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Ein bisschen Understatement war vielleicht doch dabei, als  Verantwortliche und Spieler die Konkurrenz aus Stralsund und von den Füchsen aus Berlin vor der Saison zu den eindeutigen Klassenprimi erklärten.
Es wäre schon ein Wunder, wenn sich gleich beide 3. Liga-Absteiger den direkten Wiederaufstieg nehmen lassen würden, erklärte beispielsweise Keeper Florian Berndt im Sommer noch. Nun ist eine halbe Saison abgeschlossen, weder Berlin noch Stralsund konnten Cottbus besiegen, und mit nur einem Punkt Abstand zur Tabellenspitze träumt so manch ein Cottbuser jetzt vielleicht doch den Traum vom Aufstieg und dem „Wunder von Berndt“ 2017.

Dass es hier um Handball und nicht um Fußball geht, dürfte dem aufmerksamen Leser bereits aufgefallen sein. Eine zusätzliche Erwähnung ist, auf Grund des zu häufigen Schattendaseins dieses Sports in Deutschland, dennoch notwendig. So gesehen ziehen die deutschen Nationalspieler und die LHC-Jungs aber an einem Strang.
Während die DHB-Auswahl im Januar, bei der WM in Frankreich, auch wieder für eine steigende Popularität des Sportes kämpfte, so sorgt auch der LHC in den letzten Saisons wieder für steigendes Interesse beim Lausitzer Sportpublikum. Nach dem zweiten Platz in der vergangenen Saison hat man sich auch in dieser Spielzeit wieder ganz oben in der Tabelle festgebissen. Nur eine Niederlage, leider gleich am zweiten Spieltag gegen Überraschungsteam Altlandsberg, mussten die Cottbuser Bullen bisher hinnehmen und sind seither unbesiegt.

Dass zwei der drei Unentschieden in dieser Saison trotz eigener 7-Tore-Führung zustande kamen, zeigt, dass sich der LHC trotz der guten Hinserie in der Punkteausbeute sogar noch Luft nach oben gelassen hat. Im allgemeinen profitiert das Cottbuser Trainergespann um Linge, Fürstenberg und Sklenar mittlerweile von einer gewissen Eingespieltheit der Truppe, einer Art Ertrag nach viel gezahltem Lehrgeld. Kapitän und Punktemaschine Marcus Meier sowie Hoyerswerda-Import Nick Widera dienen dabei als langjährige und wichtige Stützen. Doch auch die Takev- Brüder stehen in nichts nach. Während der „9er“ Robert bereits so eine Art Cottbuser Legende ist (er war als Jungspund sogar schon im LHC-Zweitligakader 2009/10), stellen seit geraumer Zeit auch die Brüder Florian („19er“) und Alexander („29er“) das Sporttalent der Familie Takev unter Beweis.

Mittlerweile entscheidet regelmäßig ein anderer den inoffiziellen familieninternen Wettkampf des „Takkos of the Match“. Einen weiteren Eckpfeiler für das Team findet Trainer Linge in Ernst Efa, quasi Mr Zuverlässig persönlich. Dass nach einem Intermezzo in Lübbenau auch dessen guter Freund Julien Adam den Weg zurück nach Cottbus gefunden hat, ist für Fans und Mitspieler gleichermaßen erfreulich.
Zusammen mit Florian Berndt bildet er in dieser Saison das beste Torhüterduo der Oberliga Ostsee-Spree. Berndt vernichtete gegen Brandenburg gleich sieben 7-Meter, spielte sich im anschließenden Match gegen Grünheide in einen Rausch und brachte die Angreifer in dieser Saison reihenweise zur Verzweiflung. Genauso wie Adam, der nicht nur, aber vor allem bei den Auswärtspartien in Berlin gegen Lichtenrade und die Zweitvertretung der Füchse, mit Topparaden überzeugte.

Als Newcomer der bisherigen Saison sind Nick Stenzel und Richard Lößner, die aus dem Anschlusskader respektive der eigenen Jugend hinzustießen, hervorzuheben.  Marc Hiesener, der sich nach einer starken Debütsaison im letzten Jahr nun mit weniger Einsatzzeit konfrontiert sieht, wird auch aus dieser Phase herauskommen und steht für die Unvorhersehbarkeiten der Rückserie ebenso parat wie sein wiedergenesener Bruder David oder Cottbus-Rückkehrer Marcel Otto. Auch mit Marcus Fischer ist nach überstandener Kreuzbandverletzung wieder zu rechnen.
Apropos Kreuzband: Die Beachtung, dass Glenn Nietzel, etatmäßiger 7-Meterwerfer und absolute Stammkraft, in dieser Saison nach seiner Verletzung nicht einmal zur Verfügung steht, wertet die Leistung der Cottbuser bis dato zusätzlich auf und lässt, gleich dem Ausgang der Saison, bereits jetzt positiv in die Zukunft blicken. Nietzel unterstützt im Übrigen derweil das Trainergespann und bildet so, am Anfang der Saison noch an Krücken gefesselt, dennoch selbst eine Stütze des Teams.

Dass Handball nicht nur Siege und Endorphine, sondern auch Pech und Verletzung bedeuten kann, weiss Trainer Linge übrigens genauso gut wie sein Pendant auf der Bank des Nationalteams, Dagur Sigurðsson. Letzterer musste bei der WM in Frankreich beispielsweise verletzungsbedingt auf LHC-Keeper Berndts Jugendkumpel Fabian Wiede verzichten. Auf einen (mindestens) halben Cottbuser konnte der Isländer auf der deutschen Bank allerdings zurückgreifen: Europameister, Olympiamedaillengewinner und amtierender Champions League Sieger Tobias Reichmann.

Reichmann, der vom heutigen LHC-Co-Trainer Falk Fürstenberg in der Jugend trainiert wurde und einst fulminante 179 Zweitligatore für Cottbus erzielte, ist der Beweis, dass die Verknüpfungen zwischen dem LHC und dem DHB einer gewissen Logik also nicht entbehren. Handball erlebt einen Aufschwung, im Kleinen wie im Großen, und es ist auch nach dem Karriereende von Stefan Kretschmar, vor gefühlten Ewigkeiten, endlich wieder „cool“. Dass von den selbsternannten #BadBoys der Nationalmannschaft das Böseste wohl eher Kartenspielen nach der Bettruhe, Unterhosen zweimal tragen oder das Soundsystem im Wohnzimmer ohne Punkte auf dem „o“ ist, sei dabei dahin- gestellt.

Aber Titel wie den Sieg der Europameisterschaft und Olympia-Bronze 2016 haben den Sport wieder ins Interesse des allgemeinen Publikums gerückt. Dass man, um zu begeistern, vielleicht nicht gleich Europameister werden muss, haben die LHC-Jungs diese Saison bereits ebenso unter Beweis gestellt. Die Cottbuser Spieler schaffen es, wieder Einsatz, Willen und Enthusiasmus auf die Ränge zu übertragen. Das Publikum dankt es seinerseits mit steigenden Besucherzahlen und zunehmend lautstarker Unterstützung.
Eine weitere Parallele zur Nationalmannschaft, aber tatsächlich auch zur Lausitzer Fußballvertretung, dem FC Energie, und dessen neugewonnenen Aufstiegshoffnungen! Dabei sind beide Cottbuser Vereine in der durchaus auch vorteilhaften Situation, nicht die Gejagten darstellen zu müssen und auf Platz zwei jederzeit in Lauerstellung zu liegen. Denn die Ente wird bekanntlich hinten fett.

Und wer weiß, vielleicht gibt es am Ende dann in diesem Sommer nicht nur ein, sondern sogar zwei echte Cottbuser Wunder zu erleben.
Wir werden dabei sein!

Stefan Göbel
Foto: Der LHC ist auf Kurs. © Steffen Beyer

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