Frisches Design, neuartiger Netzauftritt und Ausweitung der kulturellen Bildung – der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien feiert Silberhochzeit
Es ward in Sachsens Hauptstadt, gefühlte Weltkulturerbin, nahezu vergessen: Vor 25 Jahren gebar der sächsische Landtag sein vermeintlich einziges bislang einstimmiges Gesetz: jenes Kulturraumgesetz zur Förderung der das dichteste Netz an Kulturinstitutionen in Mitteleuropa, wozu in Ostsachsen auch Tierparks, Musikschulen und Bibliotheken zählen. Allein die Präambel zählt in einem Satz 125 Worte und 1025 Zeichen und spricht von Überzeugung, Bewusstsein und Sicherung und drei Mal Freiheit (für geistiges Leben, Künste und Bürger), trat dann am 01. August 1994 in Kraft und machte – deutschlandweit einmalig – per Inanspruchnahme der Förderung fortan Kultur zur Pflichtaufgabe.
Aber nun, im Osten anno 2019, also im Jahre 101 und 30 nach den letzten quasi-revolutionären Akten, geht ein Gespenst um: das vom gemeinen bis undankbaren Wähler. Das treibt auch in Sachsen diverse Blüten, vor allem terminlicher wie hektischer Natur. Nicht nur Ministerpräsident Michael Kretschmer ist mehr denn je auf dem Weg zum Fußvolke unterwegs, mehr noch als einst Wilhelm II, unser großer Reisekaiser, in Brandenburg und Niederschlesien (als Preußenprovinz) auch als bislang letzter König bekannt. Er will nach seinem verlorenen Bundestagsdirektmandat gegen einen Görlitzer Malermeister, die ihn mangels anderen Jobangeboten und Kraft eines Sorben zum jüngsten Landesvater aller Zeiten machte, am kommenden Weltfriedenstag nicht noch eine Wahl für die CDU verlieren.
Doch zuvor wird nicht nur europäisch und kommunal gewählt, sondern gefeiert: jenes sächsische Kulturraumgesetz, dass mit recht üppiger freistaatlicher Hilfe die Kommunen und Regionen beim Erhalt ihrer kulturellen Institutionen unterstützt, wobei allerdings die Träger, meist Städte oder Landkreise, per Kopfpauschale einen Eigenanteil zu leisten haben. So erlebt auch der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien genau am 1. August seinen 25. Gründungs- als Geburtstag als Zweckverband und macht sich zuvor selbst ein paar Geschenke. Man könnte auch von Silberhochzeit sprechen, weil er genau die heutigen beiden Landkreise Bautzen und Görlitz umfasst – trotz bislang umfassender CDU-Herrschaft keine einfache Beziehung.
Im Einzelnen sind es nicht nur Vorhaben wie die „Runderneuerung“ des Netzauftrittes, eine große Klausurtagung für die Orientierung der institutionellen Förderung für die nächsten Jahre, der Eintritt der Stadt Görlitz in den Konvent, die Übernahme des Projektes „KuBiMobil“ in den hauseigenen Bereich der Kulturellen Bildung, sondern auch (erstmals in seiner ganzen Kulturraumgeschichte!) ein neues Corporate Design, das von der Görlitzer „Magnet Werbeagentur“ entwickelt ward und samt Gestaltungshandbuch nun auf Broschüren, Plakaten und der Geschäftspost prangen soll, auf dass „der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien immer und in jedem Kommunikationskanal wiedererkennbar“ bleibe.
Kultur als runde Einladung
Nun gibt es ein griffiges, luftiges Logo – und Kulturraumsekretär Joachim Mühle freut sich über die neue Leichtigkeit, mit der der Kulturraum zu den anderen aufschließt: Die Farbigkeit rings um das O für Oberlausitz als Kugel stehe für Vielfalt, Toleranz und Respekt voreinander. Die Kernaussage des Erscheinungsbildes lautee: „Kultur lädt ein!“
Mühle ist schon seit 2001 Kulturraumsekretär. Denn damals, gleich bei dessen erstem Kulturkonvent in Löbau, ward sein Chef Bernd Lange, damals frisch gewählter CDU-Landrat des Niederschlesischen Oberlausitzkreises (NOL), überraschend zum Konventsvorsitzenden gekürt – und er als sein Sachgebietsleiter für Kultur damit quasi zum Kulturraumsekretär. Beide arbeiteten noch in Niesky, denn Görlitz war kreisfrei, und einige, so resümiert Mühle heute, nahmen wohl zu recht an, dass ein Landrat ohne eigene Bühne im Kulturraum die immer als Finanzierungskonflikt schwelende Theater- und Orchesterfrage in der Oberlausitz neutral behandeln würde.
Es waren „spannende Zeiten“ (O-Ton Mühle) vor der zweiten Kreisreform, als noch sieben Stimmberechtigte um Mehrheiten ringen mussten. Derzeit sind im Kulturkonvent, der in der Regel drei Mal im Jahr tagt nur noch drei Stimmberechtigte: für den Landkreis Görlitz Landrat Bernd Lange, für den Landkreis Bautzen die Beigeordnete Birgit Weber und für die sorbische Minderheit der Chef der Stiftung fürs Sorbische Volk, Jan Budar.
Flankiert wird das frische, runde Erscheinungsbild im neuen Jahr von zwei Investitionen, die beim 111. Konvent im Oktober 2018 beschlossen wurden und beide auf das neue Corporate Design aufbauen: Einerseits eine Neugestaltung der Netzpräsenz – und zwar gleich samt aller drei Bausteine: also neben der Kulturraumseite die nahezu baugleiche Schwester für Kulturelle Bildung. Auch der seit März 2010 angebotene kostenlose Kulturwegweiser, der als Ableger von einem bundesweiten Anbieter, der Stiftung kulturserver.de kommt, gilt laut Beschlussvorlage als „überaltert, technisch und moralisch verschlissen“.
Für den neuen Vertrag mit dem selben Anbieter zur „umfassenden Aktualisierung und Erweiterung“ für Wegweiser und Kulturraumauftritt wurden noch fürs Haushaltsjahr 2018 knapp 25 000 Euro bewilligt, die Folgekosten für den Support und einen neuen Wartungsvertrag auf höherem Level sind mit 1600 Euro per anno veranschlagt. Die sieben derzeit aktiven Schnittstellen, die ein gegenseitiges automatisches Terminabgreifen ermöglichen, nutzen zum Beispiel der Verkehrsverbund ZVON, das Gerhart-Hauptmann-Theater und die Städte Zittau, Bautzen und Görlitz. Drei neue sollen hinzukommen, besonders die Marketinggesellschaft Oberlausitz und das Deutsch-Sorbische Volkstheater sind als echte Quotenbringer avisiert.
Webbasierte Förderanträge und neue Orientierung
Die zweite Baustelle digitaler Natur, die noch im ersten Halbjahr fertig werden soll, heißt „FoundationPlus“ und wird von der Firma Zetcom gepachtet. Das ist eine spezielle Software für Gremienarbeit und Fördermittelbearbeitung und soll als externe, webbasierte Lösung gebucht werden. Die sogenannte „Software as a Service“ (SaaS) bedarf keinerlei technischer Aufrüstung vor Ort, weil alles (von Hardware über Betrieb, Wartung und Software inklusive der Daten und deren Sicherheit) bei der Firma bleibt, was im Haushaltsjahr 2019 mit 26.918 Euro und in den Folgenjahren mit je 4.998 Euro zu Buche schlägt. Die Firma mit Kunden in mehr als 30 Ländern unterhält nach eigenen Angaben Niederlassungen auf drei Kontinenten, so auch in Denver, Barcelona, Paris, Athen, Signapur oder Riad – für die Lausitz wird aber jene in Berlin direkt zuständig sein.
Noch bevor diese Neuanschaffungen ihre volle Wirkung entfalten können, treffen sich am 7. März Konvent und Beirat gemeinsam zur großen Klausurtagung für eine neuerliche „Orientierungsliste“ für die institutionelle Förderung. Die alte galt für vier Jahre von 2016 bis 2019, die Anträge fürs nächste Jahr sind immer aktualisiert bis zum 15. Juno einzureichen und werden in der Regel im Oktober bewilligt. Nun wird sowohl die Verteilung unter den einzelnen Sparten, als auch die Höhe der Förderungen und generell die Liste der Institutionen, die derzeit allesamt ihre Haushalte überprüfen, neu diskutiert. Auch die Länge der künftigen Orientierungsfrist steht zur Debatte. „Wir gehen von drei bis fünf Jahren aus“, sagt Mühle. Zur Zeit umfasst diese Liste eine Summe von 15,9 Millionen Euro, die neue Liste soll dann im Mai-Konvent beschlossen und veröffentlicht werden.
Lausitzer Grüße an Piwarz
Neben dem internen oder kosmetischen Nutzen wird vor allem der spezielle Bereich Kulturelle Bildung aufgewirbelt: Die gleichnamige Netzwerkstelle, als erste in einem ländlichen sächsischen Kulturraum schon seit 2006 am Start, wird seit Beginn 2018 von Livia Knebel allein verantwortet. Sie sitzt in einem vom Theater Görlitz angemieteten Raum, gleich neben dem ViaThea-Büro und den Theaterwerkstätten. Schon 2007 war sie als Abiturientin kurz zu Besuch in Görlitz, als ihr Vater als Schauspieler beim Historienspiel auf dem Untermarkt mitwirkte. 2010 kam sie zum Kulturmanagementstudium wieder – und blieb nach dem Abschluss in der Europastadt hängen: privat wie dienstlich.
Ihr oblag in Malschwitz der überraschendste Konventsauftritt. Denn sie hat einerseits den größten Spannungsbogen im Arbeitsportfolio: von frühkindlicher Bildung bis hin zu Angeboten für die Generation 55+, dazu die Arbeit mit Akteuren der kulturellen Bildung aller Art, die bei ihr Beratung oder Vernetzung suchen. Andererseits vielleicht – im besten Fall – die meiste Arbeit. Dafür nutzt sie bewährte Förderstrukturen, wagt sich aber auch an andere Fördertöpfe. Der Kulturraum unterstützt die Netzwerkstelle mit der Bereitstellung der nötigen Eigenmittel. So will sie zum Beispiel die „Lausitzer Spatzen“ und die „Musikhelden“, beide dank auslaufenden Förderperioden gefährdet, retten, indem neue Kooperationen mit benachbarten Kulturräumen eingegangen werden.
Dann hat sie den Trägerwechsel beim ambitionierten „Kubimobil“ vor der Brust. Denn das Modellprojekt, seit September 2017 aktiv, wechselt ab 2019 den Träger: vom Deutsch-Sorbischen Volkstheater in Bautzen zu ihrer Netzwerkstelle. Eine in Bautzen angesiedelte Vollzeitstelle zur Leitung des Modellprojektes soll den Weg dafür bereiten, verkehrstechnisch oder sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche die Teilnahme an Angeboten kultureller Bildung in beiden Kreisen zu erleichtern. Mit der Erstattung von Fahrtkosten bis auf zwei Euro pro Schüler ist der Eigenanteil für diese ebenso niederschwellig wie für die Einrichtungen die Antragshürde.
Durch die Trägerschaft, den Charakter als Modell und die sukzessive Ausweitung ist die erste Bilanz bis Juni 2018 noch recht bautzenlastig, was aber normal sei: Knebel rechnet insgesamt damit, dass man bis Ende dieses Jahres insgesamt rund 18 000 Kinder und Jugendliche aus dem ganzen Kulturraum erreicht haben wird. Anhand der Antragsteller kann man die Nutzung recht genau zuordnen: bis Anfang Juno 2018 waren 112 von 205 bearbeiteten Anträgen von Kitas oder Grundschule gestellt, 41 (also genau ein Fünftel) aller erfüllten Wünsche kamen aus dem Landkreis Görlitz. Das soll sich nun ändern.
Und sie hat mit dem Antrag für „Fläche trifft Kultur“ im Förderprojekt „Landkultur“ beim Bundeslandwirtschaftsministerium bereits den nächsten dicken Fisch im Visier – hier sind Ältere (P55) und körperlich oder geistig eingeschränkte Personen die Zielgruppe zur beförderten Teilhabe, ansonsten soll es ähnlich dem „Kubimobil“ funktionieren. Wichtig bei beiden Modellprojekten: „Es muss neben Transport und Eintritt immer noch ein Angebot kultureller Bildung genutzt werden, es geht nicht um reine Rezeption, sondern das Eintauchen in Kunst und Kultur über ästhetische Praxis.“
Sie kritisiert offen, dass bislang immer nur vom Sächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst die Initiative ausgehe, die Probleme aber alle gemeinsam aktiv angehen müssten: zum Beispiel auch die Bereiche Kultur oder Soziales. Sie plädiert dafür, dass endlich auch andere Fachgebiete ihre Verantwortung übernähmen und zumindest in gemeinsame Förderungen einträten.
Es könne doch nicht sein, sagte sie energisch beim Kulturkonvent, dass „wir aus dem raren Kulturtopf die Versäumnisse anderer bezahlen müssen.“ Und meint damit vor allem das gemeine sächsische Schulwesen.
„Lausitzer Grüße an Piwarz“ – so könnte man das süffisant nach Dresden telegrafieren, um den Jungunionsfreund vom derzeit amtierenden Ministerpräsidenten, der sich mit dessen Hilfe just als Bildungsminister versucht, auf eine Horizonterweiterung zu programmieren. So als Kulturraum-Geburtstagsgruß, denn in Dresden vergisst man leicht, dass das gerühmte Kulturraumgesetz zwar am 20. Januar 1994 im Landtag beschlossen ward, aber die wesentlichen Ideen und Verfahren zur Ausgestaltung – wie zum Beispiel Konventbegriff oder Facharbeitsgruppen – allesamt aus Ostsachsen stammen. Spannend nachzulesen in den kulturpolitischen Leitlinien des baldigen Jubilars mit frischem Antlitz.
Aber welcher Politiker liest denn heute noch ehrwürdige Papiere mit philosophischen Anspruch? Und auch der Vergleich mit dem Kaiser hinkt natürlich: Jener reiste nur bei herrlichem Fotosonnenschein (also bei Kaiserwetter) und nie zu Tagebauern.
Andreas Herrmann
Titelbild: Mit diesem magnetischen Erscheinungsbild geht der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien seit Januar frisch auf den 25. Gründungstag am 1. August 2019 zu. Quelle: PR / Kulturraum Oberschlesien-Niederlausitz